
Unternehmeredition: Haniel startete vor 266 Jahren als „Packhaus“ für Kolonialwaren, heute sind Sie eine Investmentholding – wie kam es zu diesem radikalen Wandel?
Stefan Zobel: Kolonialwaren waren der Anfang, doch das Geschäft entwickelte sich schnell weiter: zunächst Richtung Bergbau und Stahlindustrie, dann Binnenschifffahrt und zuletzt Einzelhandel. Wir waren immer Pioniere und haben eine Tradition der Transformation etabliert. Dieser stetige Wandel und mutiges Unternehmertum sind aus meiner Sicht das, was Haniel auszeichnet. Die heutige Aufstellung ist eine Fortsetzung davon – denn wir setzen mittlerweile konsequent auf „enkelfähige“ Investments, die Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Performance verbinden.

ihres Mannes 27 Jahre lang. Auf ihr Wirken hin stieg Haniel früh in den Transport von Kohlen
und Eisenwaren im Ruhrgebiet ein. Foto: © Frank Haniel & Cie.
Die Familie Haniel ist eng mit dem Unternehmen verbunden, möchte mit der Trennung von Management und Kapital sicherstellen, dass unabhängig von Namen jederzeit die bestmögliche Mannschaft an der Spitze steht. Trotzdem sind wir auch ein typisches Familienunternehmen. Wir sind wertegetrieben, übernehmen Verantwortung für unser unternehmerisches Handeln und sind langfristig engagiert. Wir bauen Firmen mit dem Ziel auf, sie weiterzuentwickeln und zu verbessern – und nicht, um sie schnell wieder zu verkaufen. Das unterscheidet uns von anderen Investoren: Wir kaufen, um Werte langfristig zu entwickeln!
Seit 2019 wurde eine umfangreiche Neustrukturierung der Haniel Holding unter dem neuen CEO Thomas Schmidt vorgenommen. Es ging um die Frage, wie wir eine schlagkräftigere Aufstellung erreichen können, die insbesondere unseren bestehenden Portfoliounternehmen in der Entwicklung hilft und dafür sorgt, dass wir weitere interessante Unternehmen erwerben können.
Ein zentraler Schritt in der Transformation der Holding war der Aufbau eines professionellen Investmentteams. Dies hat die Aufgabe, interessante neue Opportunitäten zu finden sowie Transaktionen umzusetzen, und verantwortet zudem die Weiterentwicklung der Portfoliounternehmen. Daneben wurde das sogenannte Haniel Operating Way (HOW) Team mit Zuständigkeit für Talentmanagement, Nachhaltigkeit und Leanmethoden etabliert. Der Haniel Operating Way ist unser gemeinsames Führungssystem, welches uns über die verschiedenen Portfoliounternehmen hinweg verbindet. Durch den Aufbau der Teams gelingt es uns, auf Holdingebene Mehrwerte für unsere Unternehmen zu schaffen. Wir halten unsere Beteiligungen nicht passiv, sondern steuern und unterstützen sie aktiv.
Was genau lief vorher schief und welches sind Ihre Lessons Learned?
Wir sind deutlich näher an die Unternehmen herangerückt und stärker involviert – als aktive Gesellschafter. Wir beteiligen uns an den unternehmerischen Entscheidungen und wollen einen echten Mehrwert schaffen. Vorher war es anders – und daraus haben wir gelernt.
Ihr neuer Ansatz ist mit „enkelfähig: Wert schaffen für Generationen“ überschrieben. Welche Ziele verbinden Sie damit?
Unser Ziel ist es, Europas führender pur-posegetriebener Investor zu werden. Enkelfähigkeit zielt entsprechend darauf ab, heute und in Zukunft wirtschaftlichen Erfolg und Nachhaltigkeit miteinander zu verbinden. Der klare Fokus und die konsequente Ausrichtung des Handelns entlang dieses Ansatzes sind für Haniel neu. Die Idee und der Begriff existieren aber schon sehr lange bei uns: Über viele Jahre hieß zum Beispiel unser Unternehmensmagazin „enkelfähig“.
Wie finden Sie die passenden „enkelfähigen“ Unternehmen?

Unsere Investmentstrategie ist themenbezogen und setzt sich aus drei Ps zusammen: People – das steht für gesunde und zufriedene Menschen, hier geht es um die Bereiche Healthcare, Safety und Security sowie Bildung; Planet – dabei geht es um die Erhaltung unseres Planeten für zukünftige Generationen, wichtige Stichworte sind Ressourceneffizienz und Zirkularität; Progress – dahinter stehen Themen wie technischer Fortschritt, industrielle Automatisierung und Robotics. Alle drei Säulen werden enkelfähig ausgerichtet. Um das sicherzustellen, haben wir ein internes Rating auf Basis der Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen entwickelt. Unser eigenständiges Expertenteam bewertet potenzielle Zukäufe. Ist das Rating zu niedrig, investieren wir nicht. Das Team macht außerdem bereits vor dem Einstieg Vorschläge, wie man die Unternehmen nachhaltig weiterentwickeln kann.
Was sind die wichtigsten Stellschrauben bei der Weiterentwicklung Ihrer Portfoliounternehmen?
Nachhaltigkeit sehen wir als einen großen Werttreiber in jedem unserer Unternehmen. Ein langfristig entscheidendes Thema ist dabei, aus linearen Geschäften zirkuläre Geschäftsmodelle zu machen. Es geht darum, heute noch nicht im Kreislauf agierende Unternehmen idealerweise mehr in Richtung Kreislaufwirtschaft zu entwickeln. Das wird nicht von heute auf morgen funktionieren, aber darin sehen wir einen ganz großen Werthebel. Darüber hinaus nutzen wir Leanmethoden, führen konsequentes Talent- und Performancemanagement als Teil unseres Haniel Operating Way ein und unterstützen beispielsweise bei der Strategieentwicklung und M&A-Transaktionen.
Was können Sie heute schon? Wo haben Sie bereits Werte gehoben?

Unsere Portfoliounternehmen arbeiten bereits erfolgreich mit neuen, nachhaltigen Produkten und Services. Beispielsweise hat die CWS, ein Unternehmen, das Hygienelösungen und Berufskleidung anbietet, Textilstoffe durch nachhaltige Baumwolle ersetzt. Ratioform, eine Tochter der Takkt-Gruppe, vertreibt sehr erfolgreich eine nachhaltige Verpackungslinie. Nachhaltigkeit allein verkauft sich jedoch nicht. Kunden erwarten gleichzeitig ein gutes Produkt – nur dann wird Nachhaltigkeit zum Erfolgsfaktor.
Können Sie uns anhand eines Beispiels aufzeigen, wie ein „enkelfähiges“ Investment bei Ihnen aussieht?

Ein gutes Beispiel ist „das kinderzimmer“ in Hamburg und München, ein dynamisch wachsender Bildungsträger für frühkindliche Erziehung. Als privater Träger unterstützt das kinderzimmer Städte und Kommunen auf Grundlage der öffentlich-rechtlichen Rahmenbedingungen, den staatlich zugesicherten und gesellschaftlich relevanten Anspruch auf frühkindliche Bildung sicherzustellen. Wir adressieren mit der Beteiligung und der aktiven Weiterentwicklung des Unternehmens also die Chancengerechtigkeit in der Gesellschaft. Aktuell ist das kinderzimmer noch verhältnismäßig klein. Perspektivisch wollen wir weiter expandieren und das Modell auch auf andere Bundesländer ausdehnen. Unser Ziel ist es, auch zukünftig weitere Talente für das Unternehmen zu gewinnen sowie die Strukturen und Prozesse gemeinsam mit dem Management zu professionalisieren.
Soll Ihr aktuelles Portfolio wachsen?
Wir haben momentan acht Portfoliounternehmen und eine Finanzbeteiligung an Ceconomy. Zu unserem Portfolio gehören BauWatch, BekaertDeslee, CWS, Emma – The Sleep Company, das kinderzimmer, Optimar, Rovema und Takkt. Es gibt keine harte Zahl, auf die wir zusteuern. Aber wenn wir darüber nachdenken, wo wir in fünf Jahren sein wollen, dann reden wir über ein Portfolio von etwa zwölf bis 15 unabhängigen Unternehmen innerhalb der Haniel Gruppe. Wir werden also sicherlich noch in eine Reihe weiterer Unternehmen investieren.
Wie wird bei Ihnen die Unternehmensnachfolge geregelt?
Unternehmensnachfolge im klassischen Sinne ist bei Haniel kein Thema. Die derzeit 720 Familiengesellschafter geben ihre Anteile innerhalb der Familie weiter.
Welches waren Ihre jüngsten Akquisitionen und Verkäufe und wo geht der Zug hin?

2021 haben wir BauWatch, einen Anbieter videobasierter Sicherheitslösungen vornehmlich für Bau- und Infrastrukturprojekte, und das kinderzimmer erworben. Die ELG, ein Spezialist für Handel, Aufbereitung und Recycling von Rohstoffen für die Edelstahlindustrie sowie von Hochleistungswerkstoffen wie Superlegierungen und Titan, wurde veräußert. In allen drei Bereichen (People, Planet, Progress) sind weitere Akquisitionen geplant. Das Thema Planet steht dabei im Mittelpunkt. Hier wollen wir uns ganz besonders positionieren, da Aspekte wie Zirkularität und Ressourceneffizienz am stärksten auf unsere enkelfähige Kernstrategie einzahlen.
Wie sehen Ihre nächsten Pläne aus?
In der Regel investieren wir in Unternehmen mit einem Unternehmenswert zwischen 200 Mio. und 1 Mrd. EUR. Wir haben allerdings festgestellt, dass es gerade in den Bereichen Ressourceneffizienz und Zirkularität zahlreiche spannende Unternehmen gibt, die sich aktuell noch in einer frühen Wachstumsphase befinden. Deshalb haben wir gerade hier auch Start-up-Unternehmen im Blick, um dort pro Beteiligung 10 Mio. bis 20 Mio. EUR im Rahmen von Series-A- und Series-B-Runden zu investieren. Dabei wird beispielsweise der Bereich Dekarbonisierung eine große Rolle spielen.
Wir danken Ihnen für das interessante Gespräch.
rathgeber@unternehmeredition.de
ZUR PERSON

Stefan Zobel ist seit 2020 Investment Partner und Mitglied des Operating & Investment Committee von Haniel. Zuvor war er als Partner bei Montagu Private Equity tätig, einem britischen Finanzinvestor.
KURZPROFIL
Franz Haniel & Cie.
Gründungsjahr: 1756
Branche: Mischkonzern
Unternehmenssitz: Duisburg
Umsatz 2020: 3,105 Mrd. EUR
Mitarbeiterzahl 2020: 20.400
www.haniel.de
Als Redaktionsleitung der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.