Was passiert mit der ESG-Berichtspflicht?

Zwischen politischer Lockerung und unternehmerischer Verantwortung

Die EU hat angekündigt, den Umfang der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu reduzieren und viele Unternehmen auszunehmen.
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Die EU hat angekündigt, den Umfang der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu reduzieren und viele mittelständisch geprägte Unternehmen, die bisher unter die Berichtspflicht fielen, von dieser wieder auszunehmen. Spätestens damit drängt sich mancherorts die Frage auf: Ist das Thema ESG überhaupt noch relevant? An den Fakten ausgerichtet ist die Antwort simpel: ja.

Mit der „Omnibus“-Initiative der EU-Kommission sollen viele ursprünglich CSRD-berichtspflichtige Unternehmen von ebenjener Pflicht befreit werden. Wer weniger als 1.000 Mitarbeiter beschäftigt soll künftig nicht zwangsweise CSRD-konform berichten müssen. Dies gilt ebenso für Unternehmen, die zwar mehr als diese 1.000 Mitarbeiter haben, aber einen Umsatz von < 50 Mio. EUR oder eine Bilanzsumme < 25 Mio. EUR aufweisen. Wenn dieser Vorschlag der EU-Kommission so 1:1 verwirklicht würde, was aufgrund der EU-Gesetzgebungsverfahren nicht zwingend anzunehmen ist, würde für einen Großteil der bisher verpflichteten Unternehmen perspektivisch der Zwang zur Offenlegung entfallen. Mit dem Thema ESG im gleichen Atemzug ebenso zu verfahren, ist hingegen aus einer Reihe von Gründen wenig ratsam.

Stakeholder-Kommunikation

Die Omnibus-Initiative möchte – durch noch unbekannte Maßnahmen – explizit verhindern, dass es zukünftig für nicht berichtspflichtige Unternehmen zu einem Tickle-Down-Effekt durch die verpflichtende Nachhaltigkeitsberichterstattung großer Unternehmen kommt. Gleichwohl wird es nicht ausbleiben, dass Geschäftspartner – Unternehmen entlang der Wertschöpfungskette sowie Kapitalgeber – Nachhaltigkeitsinformationen abfragen müssen und werden. Dessen ist sich auch die EU bewusst. Der seitens der EU bereits veröffentlichte Standard auf freiwilliger Basis, der Voluntary SME-Standard, kurz VSME, wird allen Unternehmen, die nach der Omnibus-Initiative aus der CSRD-Berichtspflicht fallen sollen, von der EU als vorläufiger Standard zur Anwendung empfohlen. Die Betonung liegt hier auf vorläufig, da die EU hat verlautbaren lassen, noch ein auf den VSME aufbauendes Set freiwilliger Standards veröffentlichen zu wollen. Die aktuelle Unsicherheit ist damit leider nicht entschärft. Festzuhalten ist aber, dass die VSME vor dem Hintergrund eines bedarfsorientierten Stakeholder-Austauschs von Nachhaltigkeitsinformationen entstanden sind und insoweit unter dem VSME Datenpunkte anzugeben sind, deren Bereitstellung von großen berichtspflichtigen Unternehmen sowie von Banken ausdrücklich erwünscht ist. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung bleibt insoweit trotz etwaig entfallender Berichtspflicht ein wesentliches Instrument zur Stakeholder-Kommunikation.

Risikomanagement

Während der Umfang an Datenpunkten der ESRS-Berichterstattung einer Revision unterzogen wird, bleibt uns das Underlying dieses Themas, das Erfordernis zu einer weitwinkligeren Risikobetrachtung zweifelsfrei erhalten. Insoweit spricht nichts dafür, dieses auszublenden oder stiefmütterlich zu behandeln.

Herzstück der ESRS ist die Wesentlichkeitsanalyse: das Herausarbeiten von Auswirkungen des eigenen Unternehmens auf sein soziales und ökologisches Umfeld und die Analyse der sich daraus ergebenden unternehmerischen Risiken und Chancen. Die VSME sehen das Instrument der Wesentlichkeitsanalyse zwar nicht vor, leiten den Anwender der Standards aber durch Ja-Nein-Abfragen und Wenn-Dann-Formulierungen durch offenzulegende Datenpunkte beziehungsweise geben damit Orientierungshilfe in der Prioritätensetzung hinsichtlich zu erhebender und zu berichtender Informationen.

Die Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse im Rahmen der ESRS sowie das Anwenden der VSME werden beide Nachhaltigkeitsaspekte identifizieren, die aufgrund der unternehmerischen Tätigkeit sowie der allgemeinen gesellschaftlichen und ökologischen Entwicklungen heute und perspektivisch gegebenenfalls verstärkt von Relevanz sind. Dass mit der Anwendung der weniger umfangreichen VSME beziehungsweise mit dem Weglassen einer individuellen Wesentlichkeitsanalyse relevante Themenfelder unerkannt bleiben, erscheint erwartbar. Auf das Element der Steuerung von Risiken und Chancen, unterstützt durch Rahmenwerke zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, werden wir in nachfolgenden Beiträgen noch genauer eingehen.

Zeit zu fokussieren

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Die Initiative der EU birgt – unabhängig vom Umfang der zukünftigen Änderungen der CSRD – einen großen Vorteil: sie verschafft den Unternehmen Zeit. Zeit für berichtspflichtige Unternehmen, die ursprünglich über 2025 in 2026 erstmalig berichten sollten und voraussichtlich nun erst ab 2028 über 2027 berichten müssen, um Ihre Berichte auf ein stabiles Fundament zu stellen. Unternehmen, die aus der Berichtspflicht fallen, bekommen Zeit, die idealerweise dazu genutzt wird, sich auf die eigenen Ziele im Kontext und insoweit auf das Wesentlich zu fokussieren: Ist der Weg, der eingeschlagen wurde, nach wie vor der Richtige? Sollten gewisse Themenfelder tiefer oder weniger tief beleuchtet werden und damit verbundene Bestrebungen intensiviert oder reduziert werden? Wie können nicht nur Berichtsstandards effizient erfüllt und potenzielle Synergien gehoben, sondern auch eine fundierte Erkenntnis über relevante Implikationen für Strategie und Geschäftsmodell gewährleistet werden? Dies erfordert eine grundlegende strategische Positionierung beziehungsweise falls bereits erfolgt, eine Reevaluation dieser Positionierung im ESG-Bereich: sollen Mindestanforderungen erfüllt werden? Wird ein Gleichschritt mit der Peer-Group angestrebt oder soll das Thema ESG aktiv vorangetrieben und daraus ein potenzieller Wettbewerbsvorteil geschaffen werden? Je nach strategischem Ansatz empfiehlt sich die Wahl des Nachhaltigkeitsstandards, an den die Berichterstattung angelehnt wird. Nach Bekanntwerden der geplanten Erleichterungen scheinen Unternehmen mit weniger als 1.000 Mitarbeitenden diesbezüglich derzeit alle Wege offen zu stehen.

ESRS, VSME oder Einstellung der Berichterstattung?

Für die Erfüllung von Mindestanforderungen und gegebenenfalls für den Gleichschritt mit der Peergroup kann die Ausrichtung anhand der VSME (unter Vorbehalt) ausreichend sein. Sollen Synergien aus der Nachhaltigkeitsberichterstattung genutzt und Erkenntnisse aus Analyse und Datenerhebung in das unternehmerische Handeln einfließen, kann ein Implementieren der ESRS – trotz Ausnahme von der Berichtspflicht – von großem wertstiftendem Nutzen sein. Festzuhalten bleibt dabei, dass mit Anwendung der ESRS keine Pflicht zur Umsetzung von Richtlinien, Maßnahmen oder dem Erreichen bestimmter Ziele einhergeht.

Zwingend im Rahmen der ESRS sind die Durchführung einer Wesentlichkeitsanalyse sowie die Erhebung wesentlicher Kennzahlen und bestimmter qualitativer Informationen. Nach EU-Taxonomie müssten mit Inkrafttreten des Entwurfs der Omnibus-Initiative hingegen nur Unternehmen berichten, deren Umsatz 450 Mio. EUR p.a. überschreitet. Damit dürfte ein bislang großer Mühlstein für viele Anwender entfallen. Wer sich dennoch sowohl gegen die VSME als auch die ESRS entscheidet, kann auf nationale oder internationale Rahmenwerke zugreifen. Die prominentesten Beispiele hierfür sind die GRI-Standards, die Standards des ISSB sowie der DNK. Insbesondere die beiden Erstgenannten haben jedoch Schnittmengen mit den ESRS in nicht unbeträchtlichem Umfang.

Bei aller berechtigten Kritik an überbordender Bürokratie im Allgemeinen und im Kontext: keinen Standard auszuwählen und die Berichterstattung zu streichen kommt Realitätsverweigerung gleich und ist insoweit keine sinnvolle Option. Mindestanforderungen im Sinne von Datenabfragen zu nachhaltigkeitsrelevanten Aspekten sind schon heute Standard und werden perspektivisch sachlogisch verstärkt auf Unternehmen zukommen und im Einzelfall ausschlaggebend für Kapitalgeber und Geschäftspartner sein.

Ausblick: Konkrete Änderungen bleiben abzuwarten

Bei den geplanten Erleichterungen im Rahmen der Omnibus-Initiative und sich daraus etwaig ergebender neuer Vorgehensweisen ist aktuell zu beachten, dass es sich zunächst nur um Vorschläge der EU-Kommission, nicht aber um finale Änderungen handelt. Für eine Verabschiedung müssen diese sowohl den Europarat als auch das EU-Parlament passieren. Dass dies ohne Korrekturvorschläge seitens des Parlaments und des Rates geschieht, ist zwar möglich, wäre aber ein historisches Novum. Insoweit ist davon auszugehen, dass es noch mehrere Monate dauern wird, bis Erleichterungen Einzug in die ESRS halten und in der Folge Datenanforderungen aus den ESRS gestrichen werden. Das Überarbeiten der CSRD und damit einhergehend die Änderung der Schwellenwerte für berichtspflichtige Unternehmen wird ebenfalls noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Autorenprofil
Dr. Philip von Boehm-Bezing
Geschäftsführer at  | Website

Dr. Philip von Boehm-Bezing ist Geschäftsführer der Boehm-Bezing & Cie. GmbH, seit 25 Jahren eines der führenden deutschlandweit agierenden Beratungsunternehmen für nachhaltige Corporate Finance und für M&A mit Sitz in Stuttgart.

Autorenprofil
Claudia Priester
Senior Associate at  | Website

Claudia Priester ist Senior Associate bei Boehm-Bezing & Cie. und verantwortet dort den Bereich Nachhaltigkeitsberichterstattung.

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