Von der Unternehmertochter zur Chefin

Unternehmerin Stefanie Bindzus lernt im Nachfolgeprozess sich selbst kennen

Stefanie Bindzus stieg in das Familienunternehmen ITV ein
Stefanie Bindzus stieg in das Familienunternehmen ITV ein; Foto:© Vanessa Battré

Stefanie Bindzus stieg in zweiter Generation ins Familienunternehmen ITV ein. Sie startete abrupt, ohne Vorbereitung und fand sich nicht zurecht in der neuen Rolle. Wie Stefanie geht es vielen Nachfolgerinnen und Nachfolgern, die schlecht vorbereitet ins kalte Wasser springen und daran scheitern können. Ihr gelang der erfolgreiche Übergang noch, dank Coach. Heute kann sie aufklären, wie es besser geht und was es braucht, damit Unternehmensnachfolge gelingt. 

Foto: © Leslie Johannmeier, Agentur The Trailblazers GmbH

Dass Stefanie Bindzus die Nachfolge ihres Vaters an der Spitze des Familienunternehmens antreten würde, war lange allen klar, auch ihr selbst. Doch interessanterweise bereitete sie niemand darauf vor, was es bedeutet, ein Unternehmen zu führen. Die Kauffrau und Ingenieurin arbeitete zwar jahrelang in dem Unternehmen, aber nicht an der richtigen Stelle. Schon ihr Einstieg Jahre vor der Übernahme war etwas planlos. „Als ich anfing, gab es eigentlich keine freie Stelle“, erinnert sich die 51-Jährige. „Ich habe mir meine Nische selbst gesucht.“

Führungspersönlichkeit geht nicht über Nacht

Die herzliche und höfliche Stefanie konzentrierte sich auf die technische Leitung. In dem Unternehmen, das ihr Vater Helmut Bindzus gemeinsam mit seinem Partner Claus Hoenig-Ohnsorg 1981 gegründet hatte, baute sie einen engen Draht zu ihren Kollegen auf. Sie war menschlich, nahbar und empathisch in dem technischen Umfeld, das im ersten Moment kühl wirkt. ITV (Industrie-Teile Vertrieb) handelte damals noch mit allem, was Maschinenbauer brauchen. Später spezialisierte sich ITV auf Verschraubungen und Kupplungen für Druckluftleitungen und wurde hier zum erfolgreichen Mittelständler mit heute fast 20 Mio. EUR Umsatz. 2009 zogen sich die Firmengründer aus Altersgründen zurück. Stefanie Bindzus, Peter Wittkämper und ein weiteres Familienmitglied wurden zu gleichberechtigten Geschäftsführern.

Ehrliches Eingeständnis: Es braucht einen Coach

Stefanie wurde überrumpelt: Sie war auf einmal die Vorgesetzte ihrer Kollegen und wusste nicht, wie Führung ging und wie sie sich nun verhalten sollte. „Ich habe bis zu diesem Tag nicht reflektiert, wie ich auftreten will, was meine Ziele sind“, sagt Bindzus. Die Folge: Unsicherheit – auch mit ihren Mitgeschäftsführern. „Ich hatte wirklich keine Ahnung, was ich will, und dann wurde es für mich noch schlimmer. Ich bemerkte, dass wir als Führungsteam ebenso planlos waren. Wir hatten keine gemeinsame Vision und Maßstäbe“, so Bindzus.

Coaching ist Teil der Führungs-DNA

Die Lösung: knallharte Selbstreflexion und ein externer Coach. Stefanie gestand sich ein, noch nicht genug über sich selbst zu wissen, und ließ zu, dass das Führungsteam sich Hilfe nahm. „Es galt herauszufinden, was jeder erst einmal für sich wollte. Diese Vorstellungen mussten raus, danach haben wir einen Kompromiss gefunden. Jeder musste dann aus seiner Ich-Sicht rauskommen. Wir wurden langsam zum Team“, sagt Bindzus. Jeder setzte sich aber auch mal durch – gerade das war für Stefanie wichtig. Sie legte ihre vormals immer zurückhaltende Art ab und wurde entschlossener. Auch heute vertraut die Führung weiterhin auf externes Coaching. Dieser Prozess ist nie abgeschlossen. Die wichtigsten Zielmeetings werden bis heute von Coaches begleitet.

Dieses Vorgehen half auch in der Krise, in die sie während Corona schlitterten. Bis dahin war ITV konstant um 4% bis 5% pro Jahr gewachsen. Corona deckte die Schwächen von ITV gnadenlos auf, sie waren schlichtweg ein verschlafener Mittelständler. „Wir mussten auf allen Ebenen digitale Prozesse einführen, Remote Work war vorher bei uns undenkbar. Wir agierten bei Übergaben noch mit Zetteln – das war alarmierend. Wir konnten gar nicht digital arbeiten“, erzählt die 51-Jährige.

Personalmanagement verändert die Kultur

ITV GmbH
Bildquelle: © Leslie Johannmeier, Agentur The Trailblazers GmbH

Im Personalmanagement wurde ebenso neu gestartet. Heute geht es um mehr als um reine Personenabwicklung. Es gibt Homeoffice-Regelungen im kaufmännischen Bereich und Gleitzeit. Die Arbeitszeit wurde bei vollem Lohnausgleich von 42 auf 39 Stunden reduziert. „Wer als Mittelständler mit Großunternehmen um gute Mitarbeiter konkurriert, muss schon einiges bieten“, weiß die Geschäftsführerin. Eines aber hat sich nicht geändert – das Duzen. „Ich bin weiterhin nah dran, aber ich kann auch unpopuläre Entscheidungen treffen“, sagt Bindzus.

Mitgeschäftsführer Wittkämper bestätigt: „Wir sind uns heute sicher, dass unsere Mitarbeiter der Schlüssel zu langfristigem Erfolg sind. Danach agieren wir alle. Und so blöd das klingt: Dass das so wichtig ist, haben wir wirklich erst im Coaching entdeckt, und handeln jetzt konsequent danach.”

Keine Angst mehr vor harten Entscheidungen

Ebenso stringent wird jetzt die Nachfolge im Unternehmen bereits geplant. „Hier fällen wir die wichtigsten personellen Entscheidungen für die Zukunft“, sagt Bindzus. In der Gesellschafterrunde werden derzeit verschiedene Möglichkeiten für die Zukunft des Unternehmens ausgelotet. Eine wichtige Entscheidung ist bereits gefallen: „Wir suchen eine neue Geschäftsführungsgeneration, keine neuen Gesellschafter. Nun werden wir intern prüfen, wer will und die nötigen Fähigkeiten hat, sonst suchen wir extern“, so Bindzus. Den Generationswechsel im Betrieb sieht die Geschäftsführerin als Chance. „In den kommenden Jahren werden viele verdiente Kollegen in den Ruhestand gehen. Wir prüfen, ob wir nachbesetzen oder lieber neue Fähigkeiten in Abteilungen bringen. Gerade beim Einkauf wollen wir nicht nur neue Persönlichkeiten haben, sondern auch neue Prozesse. Wir können den Einkauf so neu strukturieren“, erklärt Bindzus. Aus der Unternehmertochter ist eine Anführerin geworden, die nun klare Entscheidungen trifft. Die einstige Unsicherheit ist verflogen, die Nähe zu Kollegen eine Stärke. Stefanie will zur Hilfe von außen ermutigen, damit Nachfolger von heute es leichter haben, als sie es hatte.


KURZPROFIL ITV GmbH

Geschäftsführung: Stefanie Bindzus, Peter Wittkämper

Gründungsjahr: 1981

Branche: Entwicklung und Produktion von Pneumatik für nahezu alle Industriebranchen

Firmensitz: Bielefeld

Mitarbeiter: 80

Umsatz: 19,5 Mio. EUR

https://itv-gmbh.de/


„Das größte Problem bei der Nachfolge war ich“

Interview mit Stefanie Bindzus, CEO, ITV GmbH

Unternehmeredition: Welche Rolle hatte es gespielt, dass sie die Tochter waren? Wäre es als Sohn einfacher gewesen?

Foto: © Vanessa Battré

Stefanie Bindzus: Es gibt keinen Unterschied zwischen Mann und Frau. Für uns war das nie ein Thema. Ich bemerke es eigentlich jetzt erst, wenn ich darauf angesprochen werde. Ich will klar senden: Mädels, traut euch mehr zu. Man braucht nicht 100% haben und alles können. Auch Menschen mit Schwächen schaffen es. Das zu erkennen ist eine Stärke. Wenn man sich seiner Person sicher ist, dann funktioniert alles.

Worin lagen für Sie die größten Herausforderungen?

Ganz ehrlich: Das war ich selbst. Ich hatte zwar wenig bis keine Unterstützung dabei, habe mich aber auch selbst nicht gut genug damit auseinandergesetzt. Es war hart zu spüren, dass ich selbst nicht wusste, wer ich bin und wie ich sein wollte. Das ist das A und O für wahrhaftige Führungskräfte, zu denen aufgesehen wird. Das musste ich lernen und es war mit Coaching etwas erträglicher, weil es nicht nur mir in der Führungsriege so ging.

Was nehmen Sie für sich als wichtigste Erfahrung aus dem Nachfolgeprozess mit?

Es braucht eine Begleitung von innen und außen. Wenn es die Chance gibt, langfristig zu planen, sollte man interne Mentoren bestimmen und externe Coaches. Für die erfolgreiche Übergabe sollte das wirklich das Mindeste sein – es geht hier schließlich um die Schlüsselposition des Unternehmens. Gerade bei Mittelständlern wird das Thema zu stiefmütterlich behandelt. Es wird sich oft eingeredet, dass der Familienname oder teure Business Schools ausreichend wären. Es braucht eine langfristige Begleitung und übrigens auch die Chance, rechtzeitig wieder auszusteigen. Es kann ja auch mittendrin vorkommen, dass potenzielle Nachfolger bemerken: Das ist echt nichts für mich, ich fühle mich unwohl.

Welche Hürden mussten Sie überwinden?

Ich musste mich von meinen vormaligen Kolleginnen etwas lösen und das zu freundliche Image ablegen. Ich wollte vormals Menschen gefallen, dieses Problem haben viele Menschen in sich. Das ist aber kontraproduktiv, wenn es darum geht, ein Unternehmen zu führen. Dazu hatte ich den Drang, mich zu beweisen – auch der falsche Antrieb, aber es war dann wohl die Verwandlung von Tochter in Chefin. Wenn man nicht Erfolge vorweisen kann, bleibt man eher die Tochter, und daher ist es wichtig, sich Veränderung zuzutrauen, anstatt alles beim Alten zu lassen. Nur dann kann man die Erfolge darauf zurückführen.

Was sind Ihre weiteren Ziele für das Unternehmen? Wie schätzen Sie die Marktchancen ein?

Ich will das Unternehmen in die dritte Generation bringen und unsere wirtschaftliche Unabhängigkeit stärken. Das ist der Kern. Dazu ist es mir wichtig, dass wir bei unserer Unternehmensgröße auch aus der Zurückhaltung herauskommen. Unternehmen müssen heutzutage offen kommunizieren. Auch mich hier so zu öffnen gehört dazu. Mir ist es ein großes Anliegen, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Wir werden uns auch dann positionieren, wenn es nicht jedem gefällt.

Was werden Sie beim nächsten Nachfolgeprozess anders machen?

Alles.

Was stört Sie im deutschen Mittelstand?

Deutschland hat ein Hierarchiedenken, was völlig aus der Zeit gefallen ist. Wir müssen damit aufhören, in Rollen und Titeln zu denken. Das will ich auch bei uns im Unternehmen ändern. Das gehört auch zum Thema Unternehmensnachfolge, weil es wichtiger sein sollte, was jemand kann, als wer jemand ist. Nur so entstehen funktionstüchtige Teams.

Wir danken für das interessante Gespräch!

Autorenprofil
Autorin Kristina Pfeil
Kristina Pfeil

Kristina Pfeil ist freie Journalistin und Texterin mit Schwerpunkt Storytelling. Breit aufgestellt, schreibt sie für eine Vielzahl von Partnern, u. a. für ITV, EDEKA Minden-Hannover und die Bielefelder Kommunikationsagentur The Trailblazers. Besonders technische Themen reizen die studierte Chemie-Ingenieurin.

 

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