„Wir verbinden Kunsthandwerk und Innovation“

Die Wilhelm Schimmel Pianofortefabrik GmbH zählt zu den Innovationsführern im Klavierbau und besitzt die höchste Fertigungstiefe in Deutschland. Nach der erfolgreichen Sanierung über ein Insolvenzplanverfahren startete das traditionsreiche Familienunternehmen im Frühjahr 2010 eine in der Branche einzigartige Modell- und Innovationsoffensive. Im Interview spricht Geschäftsführer Hannes Schimmel-Vogel über die Erfolgsfaktoren des Turnarounds, seine Innovationsstrategie und sein Bekenntnis zum Produktionsstandort Braunschweig.

Unternehmeredition: Herr Schimmel-Vogel, 2003 haben Sie die Geschäftsführung von Ihrem Schwiegervater Nikolaus Wilhelm Schimmel übernommen. Was bedeutet es für Sie, in vierter Generation an der Spitze des 126-jährigen Familienunternehmens zu stehen?

Schimmel-Vogel
: Nikolaus Schimmel kam im Jahr 2000 auf mich zu, ob ich Interesse hätte, und ich sagte zu. Bis dahin war ich Unternehmensberater, aber es hatte mich schon immer gereizt, in einem produzierenden Betrieb zu arbeiten. Die Verantwortung war groß, ich habe sie mit Leidenschaft und Freude übernommen. Gleichzeitig stellte sich mir eine doppelte Herausforderung. Einerseits erfolgte die Übergabe zu einem schwierigen Zeitpunkt für das Unternehmen, andererseits war die Erwartungshaltung an mich als Schwiegersohn sehr hoch. Eine Nachfolgelösung innerhalb der Familie war von Anfang an gewollt. Die Gesellschaftsanteile gingen im Wesentlichen an meine Frau, eine von drei Töchtern, um sicherzustellen, dass es eine klare Mehrheit gibt. Wir haben vertraglich die Weichen für die nächsten Generationen gestellt, um sicherzustellen, dass die Firma erhalten bleibt.

Unternehmeredition: Nach starken Umsatzeinbrüchen infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise musste Schimmel am 31. Juli 2009 Insolvenz anmelden. Im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens gelang die Sanierung. Was waren die entscheidenden Erfolgsfaktoren?

Schimmel-Vogel
: Infolge der Subprime-Krise ist unser Umsatz in Amerika um 90% gefallen, schließlich ging auch die Nachfrage in allen anderen Märkten, bis auf Deutschland, zurück, sodass wir in Summe Einbußen von 50% hatten. Glücklicherweise haben wir zuvor eine Wachstumsphase durchlaufen und Zeitverträge mit neuen Mitarbeitern geschlossen, die im Dezember 2008 ausliefen – so konnten wir schnell die Kosten senken. Allerdings sind die Verhandlungen mit den Banken gescheitert, sodass als letzte Lösung nur noch die Insolvenz übrig blieb. Wir haben uns bewusst für das Insolvenzplanverfahren entschieden, da wir das Unternehmen vollständig erhalten wollten. Eine große Herausforderung war, die Zustimmung der Gläubiger zu bekommen. Aber unser Insolvenzverwalter konnte sich mit Verhandlungsgeschick, aber auch mit der notwendigen Härte, durchsetzen. In diesem Zuge haben wir auch die langjährigen 24,9% Anteile von Yamaha zurückgekauft, sodass wir seit der Insolvenz wieder zu 100% in Familienhand sind.

Unternehmeredition: Nach dem Neubeginn im Frühjahr 2010 haben Sie eine Modell- und Innovationsoffensive gestartet. Welche Kernpunkte umfasste diese Strategie?

Schimmel-Vogel
: Auf diese Innovationen haben wir bereits seit einigen Jahren hingearbeitet. So gelang uns der Paukenschlag, dass das Insolvenzende, die Modelloffensive und das 125-jährige Firmenjubiläum zeitlich zusammentrafen. Unser klares Alleinstellungsmerkmal ist die Verbindung von Kunsthandwerk und Innovation. Wir wollen die Marke Schimmel im Markt ganz oben positionieren, und das geht ausschließlich über Qualität und permanente Verbesserungen. Wir haben eine ganze Reihe von Innovationen am Musikinstrument, beim Gehäuse, in der Gestaltung und beim Klang vorgenommen. Bei unserem Trilogie-Konzept etwa wurden die anspruchsvollen Konstruktionsideen der großen Flügel-Baureihen in die kleineren Baureihen integriert. Damit erhält der Pianist auch bei diesen Modellen die Klangcharakteristik eines großen Konzertflügels. Außerdem haben wir einen patentierten Mineralbelag für die Tastaturen entwickelt, der den Eigenschaften von Elfenbein sehr nahekommt – um nur wenige Beispiele zu nennen. Zudem haben wir charakteristische Gestaltungslinien für die Klaviergehäuse eingeführt. Damit wollen wir unserer Markenfamilie ein unverwechselbares Gesicht geben und aus der Masse der Klaviere hervorstechen.

Unternehmeredition: Neben den Innovationen im Produktbereich verfolgen Sie auch innovative Produktionsprozesse. Was zeichnet diese aus?

Schimmel-Vogel
: Bei der Einführung des neuen Schimmel-Produktionssystems stand für uns die Rückbesinnung auf das Wesentliche im Mittelpunkt. Das klingt sehr einfach, ist aber schwierig umzusetzen. In allen Prozessen muss man zwischen Wertschöpfung und Verschwendung unterscheiden. Wertschöpfend ist letztendlich nur die Arbeit am Instrument. Alles andere, Bestände, Leerlauf, Wartezeiten, Transport, ist Verschwendung. Also muss man ganz systematisch versuchen, den Produktionsprozess nach dem Fließprinzip zu optimieren. Das heißt, ich darf nur produzieren, was im nächsten Schritt gebraucht wird, und das möglichst fehlerfrei. Das klingt einfach, aber damit breche ich Prinzipien, die Ingenieure und Meister über Jahrzehnte verinnerlicht haben, wie etwa: „Eine Maschine ist nur dann gut, wenn sie möglichst hohe Losgrößen erzielt.“ Ein großes Ziel ist auch, die Produktionssteuerung völlig vom EDV-System zu lösen, um die Verantwortung wieder dahin zu bringen, wo sie eigentlich hingehört, nämlich in die Hände der Meister. Sie sollen sich untereinander abstimmen, was wirklich gebraucht wird, und nicht einfach Zettel aus der EDV abarbeiten.

Unternehmeredition: Wie konnten Sie die Finanzierung des Wachstums sichern?

Schimmel-Vogel
: Da wir in der Krise negative Erfahrungen mit den Banken gemacht haben, wollen wir das operative Klaviergeschäft nicht mehr mit Fremdkapital finanzieren. Deswegen setzen wir heute auf Factoring und konnten außerdem unser Working Capital durch ein neues Produktionssystem optimieren. Für die Zukunft können wir uns ein Mitarbeiterbeteiligungsmodell vorstellen, wobei hier die emotionale Bindung ans Unternehmen im Vordergrund stehen würde, oder eine Anleihe.

Unternehmeredition: Sie setzen auf „made in Braunschweig/Germany“. Wie wichtig ist für Sie das Bekenntnis zum Standort Deutschland in Zeiten der Globalisierung?

Schimmel-Vogel
: Sehr wichtig. Schließlich werden Schimmel-Instrumente vollständig in Braunschweig hergestellt. Wir besitzen die höchste Fertigungstiefe von allen Klaviermanufakturen in Deutschland, und das aus gutem Grund. Der hochwertige Klavierbau ist sehr stark geprägt von den kunsthandwerklichen Fähigkeiten der Klavierbauer und Tischler. Diese Fertigkeiten brauchen Zeit und lassen sich nicht einfach ersetzen. Deswegen sind die hochqualifizierten und erfahrenen Mitarbeiter so wichtig, von denen einige sogar bereits in dritter Generation für uns arbeiten. Das hat mit der großen Klavierbau-Tradition in Braunschweig zu tun, die äußerst spezielles, tiefes Know-how hervorgebracht hat, das es woanders schlichtweg nicht gibt. Das machen wir mit dem Zusatz „made in Braunschweig/Germany“ deutlich.

Unternehmeredition: Wie ist die aktuelle Geschäftsentwicklung? Was ist Ihre Vision?

Schimmel-Vogel
: Von Januar bis August konnten wir mit unseren 190 Mitarbeitern den Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um 25% deutlich steigern. Für das Gesamtjahr rechnen wir mit Erlösen in Höhe von 18 Mio. EUR und planen, 3.000 Klaviere zu verkaufen. Wir versuchen ganz gezielt das Markengesicht, das wir seit 2007 entwickelt haben, noch weiter nach außen zu tragen. Wir sind stark fokussiert auf Europa, aber wir wollen unseren Marktanteil auch in den USA, in Japan, in Russland und in China weiter ausbauen. Daran arbeiten wir intensiv. Das große Ziel ist, die Marke Schimmel im Klaviermarkt nach ganz oben zu bringen. Und das geht nur über Qualität und Innovationsführerschaft.

Unternehmeredition: Herr Schimmel-Vogel, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Markus Hofelich.
markus.hofelich@unternehmeredition.de

Zur Person: Hannes Schimmel-Vogel
Hannes Schimmel-Vogel ist Geschäftsführer der Wilhelm Schimmel Pianofortefabrik GmbH (www.schimmel.de). Das Braunschweiger Traditionsunternehmen beschäftigt 190 Mitarbeiter und hat dieses Jahr einen Umsatz in Höhe von 18 Mio. EUR im Visier.

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