„Digitale Geschäftsmodelle sind für uns ein Megatrend“

Interview mit Hartmut Jenner, Vorsitzender des Vorstands von Kärcher

Die Kärcher Hochdruckreiniger eignen sich zur Reinigung großer Flächen wie Häuserfassaden, Terrassen und Steinplatten; Foto: © Kärcher

Jeder kennt sie, die gelben und anthrazitgrauen Reinigungsgeräte von Kärcher. Das Familienunternehmen gilt heute als der weltweit führende Anbieter von effizienten, ressourcenschonenden Reinigungssystemen. Der Hidden Champion mit Sitz in Winnenden setzt auf Spitzenleistung, Innovation und Qualität. Wir sprachen mit dem Vorsitzenden des Vorstands, Hartmut Jenner.

Unternehmeredition: Herr Jenner, Kärcher hat das Krisenjahr 2020 mit einem Rekordumsatz von 2,72 Mrd. EUR abgeschlossen. Wie ist das möglich gewesen?

Hartmut Jenner: Corona hat sowohl im Konsumentenverhalten als auch in der Supply Chain zu Veränderungen geführt. Wir haben 50% B-to-B-Anteil und 50% B-to-C-Anteil. Die B-to-B-Kunden mussten aufgrund der ungewissen Lage an manchen Stellen Investitionen zurückstellen. Viele Menschen hatten ja Kurzarbeit, da werden natürlich auch weniger Produkte von uns nachgefragt. Wichtige Zielgruppen sind Gebäudereiniger und Hotels, und da die Hotels nicht mehr betrieben und die Büros weniger besucht wurden, haben diese Zielgruppen weniger bestellt.

OPC-Dampfreiniger; Foto: © Kärcher

Auf der anderen Seite waren viele Menschen zu Hause und konnten für die normalen Themen des Alltags wie Reisen oder Restaurantbesuche weniger Geld ausgeben. So wurde mehr in das Zuhause investiert. Das B-to-C-Geschäft hat somit das B-to-B-Geschäft überkompensiert. Aber natürlich war es eine spannende Situation, dass wir gleichzeitig Werke mit 17 Schichten und Werke mit Kurzarbeit hatten, je nachdem, welches Produktprogramm in welchem Werk lief.

Welches Produktprogramm lief denn besonders erfolgreich?

Das ganze Consumerprogramm, Dampfreiniger aufgrund der Reinigungswirkung – ein Dampfreiniger ist ein wirksames Mittel gegen Viren sowie haushaltsübliche Bakterien und reinigt ganz ohne Chemie –, aber auch Hochdruckreiniger, Gartengeräte und Haushaltsgeräte wie Bodenreiniger und Fensterreiniger liefen sehr erfolgreich. Den überraschendsten Anstieg unter unseren Produkten erlebte aber sicherlich der Dampfreiniger.

Glauben Sie, dass dabei auch der Hygienefaktor unter dem Blickwinkel Corona eine Rolle gespielt hat?

Wir konnten auch in anderen Zusammenhängen einen relativ guten Absatz bei Desinfektionsmitteln verbuchen – wir haben ja auch Reinigungsmittel im Programm, die desinfizieren. Aber der Dampfreiniger ist ein Produkt, das wirklich effizient ist und kein Reinigungsmittel benötigt.

Ein Grund für den Erfolg ist sicher, dass wir schon lange vor Corona beschlossen hatten, mit den Vorlieferanten näher an die Werke heranzurücken. Beispielsweise bezog unser Werk in Rumänien 2014 zu 90% Vormaterial aus China; heute sind es keine 10% mehr.

Hinzu kommt, dass wir relativ früh ins Onlinegeschäft eingestiegen sind und die entsprechenden Distributionskanäle sowie die Logistikkette gut funktioniert haben. Wir hatten natürlich Einschränkungen im Transport und dadurch, dass die Schichten entzerrt worden sind, weniger Produktivität. In Summe aber sind die Lieferketten stabil geblieben.

Und wie sind Ihre Erwartungen für dieses Jahr?

Werksproduktion im Bühlertal; Foto: © Kärcher

Dieses Jahr werden wir auch wachsen, voraussichtlich sogar noch stärker als im vorigen. Das liegt zum einen daran, dass sich der B-to-C-Bereich weiter dynamisch entwickelt hat, zum anderen hat der B-to-B-Bereich deutlich aufgeholt. Der Unterschied zum Vorjahr ist: Generell gab es weniger Lockdowns, die die Produktion beeinträchtigt hätten. Die B-to-B-Bereiche haben wieder funktioniert, und dadurch war die Nachfrage wieder da. Auf die Lieferengpässe können wir in der Regel gut reagieren, weil wir genügend Reserven haben. Aber es gibt natürlich Bereiche, in denen wir die Aufträge nicht so leicht erfüllen können. Hier greifen wir auf andere Strategien zurück, zum Beispiel auf den Ersatz technischer Bauteile.

Birgt das nicht die Gefahr eines Qualitätsverlusts?

Wir bauen in der Regel nur höherwertiges Material ein. Das kostet zwar mehr, aber ein anderer Weg ist für uns nicht denkbar. Kärcher steht für Spitzenqualität – hier können wir uns keine Abstriche leisten.

Ist Corona heute immer noch ein Thema?

Wir sind weltweit tätig und insofern betreffen uns die neuen Lockdowns auch wieder. 85% unseres Umsatzes erwirtschaften wir im Ausland. Beispielsweise hatte Vietnam jetzt einen scharfen Lockdown mit kompletter Ausgangssperre, da musste das Militär Reissäcke vor die Türen werfen. Auch wenn Vietnam nicht einer unserer größten Märkte ist − Corona ist latent da und beeinflusst die Absätze. Auch die Unsicherheit, ob wir morgen noch zu einem Geschäftstermin reisen und ein Meeting abhalten können, ist nach wie vor gegeben und beeinträchtigt unser Geschäft.

Was erhoffen Sie sich von einer neuen Ampelregierung?

Im Rahmen seines Kultursponsorings reinigte Kärcher die Hufeisentreppe am Schloss Fontainebleau in Paris; Foto: © Kärcher

Ein wettbewerbsfähiges Umfeld für Unternehmen. Das fängt bei der digitalen Infrastruktur an. Ich kann bei uns immer noch nicht mit 5G telefonieren. Wenn Sie mit dem Zug von Stuttgart nach Frankfurt fahren, werden Sie zehn Mal unterbrochen, obwohl das eine Hauptstrecke ist. Dann diese überbordende Bürokratie und unser Steuersystem, das zu den komplexesten der Welt gehört. Genehmigungsverfahren dauern bei uns viel zu lange. Wenn ich in China etwas bauen möchte, kann ich in drei Wochen anfangen – bei uns dauert das Monate oder sogar Jahre. Diese Liste könnte ich noch endlos weiterführen.

Haben Sie Hoffnung, dass die neue Regierung diese Probleme in den Griff bekommt?

Das wird sicher schwierig werden, aber es wäre schön, wenn der Beginn mal käme.

Welche Einstellung haben Sie zum Thema Klimaschutz und CO2-Reduktion?

Wir bei Kärcher haben diesbezüglich schon sehr früh sehr weitreichende Programme aufgelegt. Ein Programm nennt sich „Reduce, Reuse, Recycle“. Wir haben beispielsweise bei den Hochdruckreinigern 30% Recyclingmaterial im Einsatz, unter anderem in Form von defekten und ausrangierten Airbags. Jedes Jahr stimmen wir uns über einen entsprechenden Katalog von über 100 Einzelmaßnahmen im Vorstand ab, die wir dann genehmigen und freigeben. Seit 2020 haben wir zudem in allen Kärcher-Werken weltweit CO2-Neutralität.

Wo geht bei Ihnen der Trend bei der Produktentwicklung hin?

Wir versuchen, unsere Produkte schneller, ergonomischer, effizienter und umweltfreundlicher zu gestalten, indem wir die manuelle durch mechanische Reinigung ersetzen. Dafür haben wir schon zahlreiche neue Produkte entwickelt, darunter solche, die es früher gar nicht gab, wie zum Beispiel einen mechanischen Fensterreiniger oder Unkrautreiniger.

Das zweite Thema ist die Akkutechnologie. Bei uns wurden die ersten Akkus schon 1987 eingesetzt. Akkutechnologie ist in unserem Umfeld typisch. Das ist für uns ein Megatrend, den wir immer weiter fortführen.

Das Familienunternehmen Kärcher gilt heute als der weltweit führende Anbieter von effizienten, ressourcenschonenden Reinigungssystemen.
Reinigung mit Industriekletterern am Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Porta Westfalica; Foto: © Kärcher

Der dritte Trend ist für uns die Robotik. Wir setzen vor allem auch im gewerblichen Bereich mehr autonome Reinigungsmaschinen ein. Der Hintergrund ist dabei nicht, die vermeintlichen teuren Menschen durch Roboter zu ersetzen. Heute bekommen Gebäudereiniger fast kein Personal mehr. Übrigens können Sie den Menschen beim Reinigen ohnehin nicht ersetzen: Sie können mit Robotik lediglich unterstützen und dort reinigen, wo Sie plane Flächen haben, wie im Supermarkt, am Flughafen oder in Logistikzentren. Überall dort, wo es ins Vertikale geht und wo Sie eine „zerklüftete“ Oberfläche haben, wird ein Roboter, mindestens noch für die nächsten 50 Jahre, an seine Grenzen stoßen.

Den vierten Trend bilden die Digitalisierung und digitale Geschäftsmodelle. Ein Beispiel: Normalerweise werden die Büros nach einem statischen Reinigungsplan gereinigt. Das heißt, das Büro wird beispielsweise jeden Donnerstag um 17 Uhr gereinigt, unabhängig davon, wie viele Mitarbeiter da waren, Homeoffice oder Urlaub hatten oder wie viele Sitzungen stattgefunden haben. Das ist doch aber nicht sinnvoll. In Zukunft werden die Modelle die Reinigung bedarfsorientiert einsteuern. Wenn Sie in einer großen Ladenkette sind und in der Tiefgarage anhand des Zählers sehen, dass an diesem Tag 980 Autos da sind, bedeutet das eine hohe Frequenz und dass die Toiletten öfter gereinigt werden müssen. Das nennt sich dynamisierte Reinigung. Der Effekt ist, dass man schneller, kostengünstiger und besser ist, weil man dort ist und dort reinigt, wo Bedarf besteht.

Wie sichern Sie Ihre Wettbewerbsfähigkeit und wie heben Sie sich von der Konkurrenz ab?

Wir sind mit Abstand die innovativsten Anbieter in diesem Segment. Wir haben inzwischen über 2.000 geschützte Patente und Designs. Wenn die anderen hier 5% oder 10% haben, ist das schon viel. Zweitens sind wir eine gute Marke, weil wir neben der Innovation auch eine hohe Qualität haben. Wir geben ein Leistungsversprechen ab und der Kunde bekommt, was wir versprechen. Außerdem bieten wir einen weltweiten Rundumservice.

Wie kam Ihr internationaler Unternehmensverbund zustande und welche Strategie verfolgen Sie dabei?

Kärcher ist mit 150 Firmen in 78 Ländern aktiv und verfügt weltweit über 17 Produktionsstätten. Das Thema Globalisierung war für uns von Anfang an wichtig. Das Reinigen ist ja keine Wissenschaft. Es gibt eine Hygieneprofessur, aber keine Reinigungsprofessur. Sie können den Reinigungsprozess nicht normieren. Reinigen hängt sehr stark von der Sozialisation ab und davon, wie man es gewohnt ist. Deshalb ist das Reinigen – also wie man reinigt, was man reinigt und wie oft man reinigt – international sehr unterschiedlich ausgeprägt. Daher ist es so wichtig, dass man als Unternehmen immer eine lokale Präsenz hat, um diese Bedürfnisse aufzunehmen und zu bedienen – und das war von Anfang an auch unser Anspruch.

Spielen Zukäufe eine Rolle?

Wir bevorzugen organisches Wachstum. Wir tätigen ab und zu durchaus eine Akquisition, aber eher kleinere. Wir übernehmen eine Technologie oder einen Händler, aber es geht nicht darüber hinaus. Als Familienunternehmen sollte man nicht zu große Zukäufe tätigen; das beeinflusst die Kulturentwicklung zu stark. Arrondieren mit Zukäufen ist in Ordnung, aber diese Politik sollte nicht den Schwerpunkt bilden. Nichtsdestoweniger verfügen wir über ein riesiges Partnernetzwerk. Wir haben über 3.000 verschiedene Produkte und hatten nie die Arroganz, dass wir das ohne Partner machen können, aber man muss sie ja nicht gleich kaufen.

Das Kärcher-Werk im Bühlertal erhielt jüngst die Auszeichnung „Fabrik des Jahres“ für den konsequenten Ausbau auf dem Gebiet der Automatisierung. Wird das ein Role Model für Ihre anderen Fabriken?

Wir hatten im Bühlertal, unserem weltweit größten Werk, das Projekt „Bühlertal 5.0“. Dieses Werk haben wir vollkommen durchdigitalisiert. Und ja: Wir übertragen das auch auf die anderen Fabriken – aber natürlich nur das, was für den jeweiligen Standort sinnvoll ist.

Wo sehen Sie Kärcher in 20 Jahren?

Wir sind in 20 Jahren ein noch besserer Weltmarktführer, als wir es heute schon sind, noch globaler, noch innovativer, noch breiter aufgestellt, und werden neue Produktfelder mit weiterentwickeln und weitere bahnbrechende Innovationen ins Leben rufen, sodass die Marke noch heller strahlen wird.

In Gelb und Anthrazit diesbezüglich wird sich nichts mehr ändern, oder?

Nein.

Wir danken Ihnen für das interessante Gespräch.


ZUR PERSON

Foto: © Kärcher

Hartmut Jenner, 56, stammt aus dem Kärcher-Heimatdorf Winnenden. An der Universität Stuttgart erwarb er Abschlüsse als Diplom-Ingenieur und Diplom-Kaufmann. 1991 trat er bei Kärcher ein, seit 2001 ist er Vorsitzender der Geschäftsführung (CEO). Die Alfred Kärcher SE & Co. KG gilt als Weltmarktführerin in Reinigungstechnik und als Erfinderin des Hochdruckreinigers. Die Farbe Gelb ist seit 2013 Geräten für Privatkunden vorbehalten, Industriegeräte sind anthrazit. Kärcher erwirtschaftet 2,7 Mrd. EUR Umsatz (2020) und beschäftigt mittlerweile mehr als 14.000 Mitarbeiter.


KURZPROFIL Kärcher SE & Co. KG

Sitz des Unternehmens: Winnenden (Baden-Württemberg)
Gründungsjahr: 1935
Branche: Reinigungsgeräte, Maschinenbau
Produktionsstandorte: weltweit
Umsatz 2020: 2,72 Mrd. EUR
Mitarbeiterzahl: 14.000
www.kaercher.com/de/

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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