Produktfehler − und nun?

Was Unternehmen angesichts hoher Haftungsrisiken tun können

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Ein platzender Airbag, ein Autokindersitz, der sich aus der Verankerung löst oder ein Hausnotrufgerät, das in Flammen aufgeht. All das sind keine Einzelfälle. Wo produziert wird, passieren auch Fehler und solche Produktfehler können zu erheblichen Sicherheitsrisiken für Endnutzer der Produkte und unbeteiligte Dritte führen. Dem gegenüber stehen hohe Haftungsrisiken für das herstellende Unternehmen und die Gefahr eines spürbaren Vertrauens- und Reputationsverlusts. Was also ist seitens des herstellenden Unternehmens zu tun, wenn der Verdacht eines Produktfehlers im Raum steht?

Schnelles Handeln erforderlich

Zunächst ist in solchen Fällen schnelles Handeln gefragt. Nach § 6 Abs. 4 Satz 1 Produktsicherheitsgesetz muss ein Hersteller unverzüglich die an seinem Geschäftssitz zuständige Marktüberwachungsbehörde informieren, wenn ein von ihm auf dem Markt bereitgestelltes Verbraucherprodukt ein Risiko für die Gesundheit und Sicherheit von Personen darstellt. „Unverzüglich“ bedeutet dabei „ohne schuldhaftes Zögern“. Wie viel Zeit dem Hersteller für die Behördeninformation bleibt, wird durch vielfältige Einzelfallrechtsprechung bestimmt und kann von wenigen Tagen bis zu zwei Wochen reichen. Die Meldepflicht besteht nicht nur bei Verbraucherprodukten, sondern aufgrund zahlreicher harmonisierter EU-Vorschriften auch für bestimmte Produkte im B2B-Bereich.

Sachverhaltsaufklärung vornehmen

Der Hersteller sollte folglich bereits beim Verdacht eines sicherheitsrelevanten Produktfehlers schnellstmöglich damit beginnen, den Sachverhalt aufzuarbeiten. Neben der internen Aufklärung wird häufig ein externer Sachverständiger eingeschaltet, der den Vorfall untersucht und technisch bewertet. Dabei wird in der Regel eine Analyse anhand des „RAPEX“-Leitfadens (Rapid Exchange of Information System) der EU vorgenommen.

Gemäß diesem Leitfaden lässt sich das Risiko, das von einem Produkt ausgeht, in drei Schritten ermitteln. Zunächst muss das Verletzungsszenario, bei dem die Produktgefahr zu einer Schädigung des Verbrauchers führt, beschrieben und der Schweregrad der Verletzung bestimmt werden. Anschließend wird die Wahrscheinlichkeit eingeschätzt, mit der die Produktgefahr tatsächlich zu einer Verletzung des Verbrauchers führt.

Zuletzt wird die Gefahr (als Schweregrad der Verletzung) mit der Wahrscheinlichkeit (angegeben als Bruchteil) kombiniert, um so das Risiko zu ermitteln.

Zuständige Marktüberwachungsbehörde informieren

Liegt ein entsprechendes Risiko nach den RAPEX-Leitlinien vor, muss das betroffene Unternehmen umgehend die zuständigen Marktüberwachungsbehörde informieren. Diese zu ermitteln, kann im Einzelfall schwierig sein, daher empfiehlt es sich häufig, spätestens an dieser Stelle externen Rechtsrat einzuholen. Welche Behörde letztlich zuständig ist, richtet sich nach dem jeweils betroffenen Produkt. Zwischenzeitlich gibt es auf EU-Ebene eine Vielzahl an harmonisierten Vorschriften, die für gewisse Produkte die Spezialzuständigkeit einer bestimmten Behörde anordnen.

Hinweis: Die bekannteste Spezialzuständigkeit besteht im Automobilbereich für das Kraftfahrtbundesamt im Fall des Rückrufs von Kraftfahrzeugen. Eine weitere Spezialzuständigkeit besteht für bestimmte elektronische Komponenten bei der Bundesnetzagentur.

Hat das herstellende Unternehmen die zuständige Behörde ermittelt, muss es dieser den Vorfall melden und gleichzeitig auch mögliche geplante Abhilfemaßnahmen mitteilen. Die Marktüberwachungsbehörde prüft den Sachverhalt und entscheidet dann, welche Maßnahmen sie anordnet. Diese können von der Vorlage von Proben oder Dokumenten über die Inspektionen beim Unternehmen vor Ort bis hin zur Anordnung eines Produktrückrufs, einer öffentlichen Produktwarnung oder einer Untersagung des Produkts auf dem Markt und dessen Vernichtung reichen.

Bei Produktwarnung oder -rückruf: Krisenkommunikation anstoßen

Ordnet die Marküberwachungsbehörde eine Produktwarnung oder einen Rückruf an, meldet sie dies der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), welche wiederum die europäischen Marktüberwachungsbehörden informiert. Diese veröffentlichen bestimmte Informationen auf der europäischen Plattform ICSMS, auf der Verbraucher Informationen über gefährliche Produkte einsehen können. Damit wird der Vorfall öffentlich bekannt.

Spätestens jetzt empfiehlt sich eine entsprechende Krisenkommunikation des betroffenen Unternehmens einschließlich einer einheitlichen Sprachregelung zum möglichen Produktfehler, betroffenen Produkten, Schadensrisiko und möglichen Abhilfemaßnahmen, um Schäden für die Reputation des Unternehmens abzuwenden.

FAZIT

Ein Produktrückruf hat im Einzelfall weitreichende Konsequenzen für das betroffene Unternehmen und kann schnell kostspielig werden. Wurden die fehlerhaften Produkte in großer Anzahl und in verschiedenen ausländischen Märkten bereitgestellt, muss der Rückruf global einheitlich gesteuert und koordiniert werden. Dafür muss mit vielen nationalen und internationalen Behörden gleichzeitig verhandelt werden. Daher empfiehlt es sich, neben der frühzeitigen Einbindung der Produkthaftpflichtversicherung auch eine auf Produkthaftung- und Produktrückrufe spezialisierte Kanzlei hinzuzuziehen.

Autorenprofil
Dr. Manuela Martin

Dr. Manuela Martin ist Rechtsanwältin und Partnerin bei Ebner Stolz in Stuttgart. Sie ist spezialisiert auf die Verteidigung von Unternehmen in Zivilprozessen, Massen- und Schiedsverfahren. Einer ihrer Tätig­keits­schwer­punkte liegt in der Ver­tei­di­gung und Ko­or­di­na­tion von kom­ple­xen in­ter­na­tio­na­len Pro­dukt­haf­tungs­strei­tig­kei­ten für nam­hafte Her­stel­ler und Zu­lie­fe­rer aus verschiedenen Industriezweigen, mit Fokus auf die Automobil- und Zulieferindustrie. Darüber hin­aus berät sie Mandanten in al­len Fra­gen des Pro­dukt­haf­tungs- und Pro­dukt­si­cher­heits­rechts sowie der Produkt-Compliance, insbesondere im Um­gang mit Pro­dukt­war­nun­gen, Pro­duktrück­ru­fen und Kri­sen­kom­mu­ni­ka­tion.

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