Mentale Gesundheit stärken – wie man eine Caring Company wird

Was Familienunternehmen tun können, um psychische Belastungen früh zu erkennen und wirksam zu handeln

Psychische Gesundheit fördern: Das Kompendium der Stiftung Familienunternehmen zeigt praxisnah, wie Früherkennung und Hilfe gelingen können.
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Psychische Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen nehmen zu – mit weitreichenden Folgen für Betroffene und Betriebe. Für Familienunternehmen ist das Wohlergehen ihrer Mitarbeitenden eine Herzensangelegenheit, menschlich wie betrieblich. Gesunde, motivierte und leistungsfähige Arbeitskräfte sind auch die Schlüsselressource am Standort Deutschland. Ein neues Kompendium der Stiftung Familienunternehmen zeigt, wie man frühzeitig helfen und mentale Gesundheit gezielt fördern kann.

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Erschreckend, aber wahr: Pro Jahr leiden ein Drittel der Frauen und gut ein Fünftel der Männer an mindestens einer psychischen Störung – so eine Langzeitstudie des Robert-Koch-Instituts. Kurzzeitbefragungen deuten zudem daraufhin, dass seit Corona einzelne Symptome wie Depressionen oder Angststörungen deutlich zugenommen haben. Bei den Gründen für eine erstmalige Erwerbsminderung hat sich der Anteil der psychischen Erkrankungen seit 1996 von 20% auf 42% mehr als verdoppelt. Je nach Krankheitsbild kann neben seelischen Belastungen auch die genetische Veranlagung entscheidend sein.

Unternehmen sehen sich bei diesen Erkrankungen mit Leistungs- und Arbeitsausfällen bis hin zu langen Fehlzeiten oder gar frühzeitigem Renteneintritt konfrontiert. Zudem nehmen Vorgesetzte und die Belegschaft häufig Anteil an den persönlichen Schicksalen von Mitarbeitern beziehungsweise Kollegen. Gerade in Familienunternehmen besteht oft ein enges Verhältnis zwischen Unternehmerfamilie und Beschäftigten. Menschen in ihrem Betrieb muss geholfen werden, wenn psychische Probleme auftreten.

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Die Früherkennung seelischer Erkrankungen liegt in allseitigem Interesse und kann durch eine Sensibilisierung für Betriebsangehörige unterstützt werden. Diese können erste Hilfestellung geben oder vermitteln, bevor sich Krisensituationen bei Kollegen zu gravierenden Störungen auswachsen. Das Kompendium „Psychische Gesundheit im Betrieb“, in einer zweiten, aktualisierten Auflage von der Stiftung Familienunternehmen veröffentlicht, möchte genau dazu beitragen. Es informiert praxisorientiert zu allen wichtigen Aspekten im Umfeld psychischer Erkrankungen und zum Umgang mit Betroffenen. Insgesamt ist das Thema Psychische Gesundheit in deutschen Unternehmen noch nicht flächendeckend verankert, obwohl eine Reihe von Maßnahmen sogar im Rahmen des Arbeitsschutzes gesetzlich vorgeschrieben ist.

Krankheitsbilder

Ängste sind die häufigste seelische Erkrankung und später oft mit weiteren psychischen Störungen verbunden. Dabei kann eine generalisierte Angststörung, bei der Menschen anhaltend von Sorgen über verschiedene Lebensbereiche geplagt werden, in jedem Lebensalter auftreten. Spezielle Angststörungen beginnen dagegen meist in der Jugend oder im frühen Erwachsenenalter. Spezifische Phobien sind vor allem bei Frauen nicht selten.

Depressionen treten in Episoden und mit verschiedensten Merkmalen auf. Rechnerisch ist es sogar mit über 200 Symptomkombinationen möglich, die Kriterien für eine Diagnose zu erfüllen: Neben emotionalen Anzeichen können Verhaltensauffälligkeiten, kognitive wie auch körperliche Symptome Teil einer Depression sein, die laut einer US-Studie die wichtigste einzelne Ursache für Krankschreibungen ist und auch in Selbsttötungsabsichten münden kann.

Zum sogenannten Burnout gibt es bis heute keine genaue Definition. Typisch sind aber Erschöpfung vor allem im Kontext von Arbeitsbelastungen und eine damit verbundene mentale Distanz zur Arbeit. Das Krankheitsbild weist einen engen Zusammenhang zu Depressionen auf.

Posttraumatische Belastungsstörungen in der Folge von z.B. Verkehrsunfällen, Gewaltverbrechen, gesundheitlichen Extremerfahrungen oder Naturkatastrophen gehören ebenfalls zu den psychischen Erkrankungen. In Deutschland erlebt etwa ein Viertel der Bevölkerung ein solches Trauma einmal im Leben. Entwickelt sich daraus eine Störung und wird diese nicht erkannt sowie behandelt, sind die Risiken erheblich, da sich daraus oft Depressionen oder auch körperliche Einschränkungen ausbilden.

Zwanghafte Verhaltensweisen und Gedanken sind in harmloser Ausprägung erstaunlich vielen Menschen bekannt. In der krankhaften Form, die das Leben Betroffener massiv einschränken kann, lassen sie sich mit therapeutischer Begleitung immer besser behandeln.

Psychosen kennzeichnen sich durch eine verzerrte Realitätswahrnehmung trotz gegenteiliger Beweise aus. Die häufigste Form ist die Schizophrenie, bei der Verfolgungswahn und Stimmenhören auftreten können.

Zu einem weiteren Feld psychischer Krankheiten zählen Suchterkrankungen wie Alkoholismus, sonstiger Substanzgebrauch oder problematisches Glücksspiel. Bei letzterem sind heute auch manche Computerspiele einzubeziehen, die ähnlich wie Glücksspiele aufgebaut sind.

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Dem Thema Suizidgefahr widmet sich das Kompendium in einem eigenen Kapitel. Seit 2022 liegen die jährlichen Todesfälle in Deutschland durch Selbsttötung wieder bei über 10.000. Auch wenn erlaubte assistierte Suizide beim Anstieg der Zahlen eine Rolle spielen, ist der Trend alarmierend. Im Rahmen psychischer Erkrankungen ist das Risiko einer Selbsttötung bei einer bipolaren Störung sowie Alkoholabhängigkeit am größten.

Fazit: Mentale Gesundheit im Betrieb strategisch fördern

Neben den Behandlungsmöglichkeiten bei den einzelnen Erkrankungen gibt das Kapitel „Wie Sie helfen können“ Hinweise, wie man auf Kolleginnen und Kollegen in einer Krise zugeht. Ergänzend wird das System „Mental Health First Aid“ vorgestellt. Das wissenschaftlich fundierte Programm bietet deutschlandweit Ersthelfer-Kurse zur Früherkennung an und wird vom Institut für Seelische Gesundheit Mannheim getragen. Es kann ein sinnvoller Baustein in einer umfassenden Strategie zur Förderung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz sein, die über die vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen hinausgeht.

Die Auflistung professioneller Anlaufstellen für die einzelnen Krankheitsbilder rundet das Angebot zur psychischen Gesundheitsvorsorge in Familienunternehmen ab, das hier heruntergeladen werden kann. Es entstand mit fachlicher Begleitung von apl. Prof. Dr. Michael Deuschle vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim.

Autorenprofil
Sibylle Gausing

Sibylle Gausing ist Referentin im Bereich Wissenschaft und Programme bei der Stiftung Familienunternehmen und betreut in dieser Funktion Fachkräfte- und Bildungsthemen sowie die wirtschaftshistorischen Veröffentlichungen.

Autorenprofil
Jochen Paulus
Freier Journalist | Website

Jochen Paulus ist Autor des Kompendiums, freier Journalist und studierter Psychologe. Er beschäftigt sich mit Themen aus Psychologie, Medizin, anderen Wissenschaften und der Gesellschaft. Seine Artikel erschienen zum Beispiel in Die Zeit, Bild der Wissenschaft, Geo Wissen und Psychologie heute.

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