Mein Nachfolger ist eine KI!

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Jeder, der selbst ein Unternehmen gegründet und groß gemacht hat, weiß etwas, was andere nicht wissen, und macht Dinge, die andere nicht machen – darum war das Unternehmen erfolgreich. Wie kann KI helfen, dieses implizite Wissen an die Nachfolgegeneration zu übertragen?

Ich habe 1983 mein erstes Computerprogramm geschrieben. Zwei Hochschulabschlüsse in Informatik und Systemanalyse später habe ich zusammen mit meiner Co-Gründerin Claudia Dietze vor über einem Vierteljahrhundert meine eigene Softwarefirma gegründet: freiheit.com technologies in Hamburg.

Wahrscheinlich haben Sie noch nie von uns gehört. Wir sind keine Weltmarktführer, aber trotzdem eine der erfolgreichsten Softwarefirmen der Welt und so etwas wie ein Hidden Champion: Wir bauen „Custom Large-Scale Software Platforms“ und jedes Großprojekt, das wir seit 1998/1999 gestartet haben, wurde erfolgreich ausgeliefert. Jeder, der uns kennt, redet mit Respekt von uns.

Offensichtlich können wir etwas, was andere nicht können – denn bis heute scheitern mindestens 75% aller Softwareprojekte. Und wahrscheinlich denken Sie auch nur mit Grauen an die Softwareprojekte, die Sie in der eigenen Firma vorantreiben mussten, weil Ihnen schon vorher klar war, dass es schiefgehen würde.

Was machen wir anders?

Natürlich machen wir nicht die gleichen Dinge, die alle tun – dann würden wir ja auch die gleichen Ergebnisse erzielen wie die anderen Firmen. Aber selbst wenn diese exakt die gleichen Prozesse verwenden würden, die wir verwenden, dann würde sehr wahrscheinlich nicht das gleiche Ergebnis dabei herauskommen.

Der Grund: Große Mengen implizites Wissen führen dazu, dass diese Prozesse in unserem Unternehmen auf eine ganz bestimmte Art interpretiert und ausgeführt werden. Und das ist wahrscheinlich in Ihrer Firma auch so.

Gründer sind eine besondere Spezies. Es gibt ihrer nicht viele. Für mich sind erfolgreiche Gründer vergleichbar mit Topathleten: Es gibt nur wenige Messis und Ronaldos – und eben auch nur einen Jeff Bezos und nur zwei Google-Gründer.

Und wenn man die Nachfolge plant, dann ist es schwer, echte Unternehmer zu finden, die dieses besondere Gefühl haben, was man anders machen muss als der Wettbewerb.

Wenn man nun aber adäquate Nachfolger ausgewählt hat, dann ist das Kernproblem bei einer Nachfolgeregelung, dass die Nachfolger dieses implizite Wissen nicht haben und die Chance beträchtlich ist, dass sich das Unternehmen dann schrittweise dem Marktdurchschnitt nach unten anpasst und seine besondere Leistungsfähigkeit verliert.

Dieses implizite Wissen ist natürlich auch in Ihren Mitarbeitern gespeichert, die lange in der Firma sind. Aber wenn diese ein neues Management bekommen, dann können selbst durch kleine Veränderungen wichtige, jahrzehntealte Erkenntnisse verloren gehen.

Wie kann KI dabei helfen, das Problem zu lösen?

Wir hatten die gleiche Herausforderung in unserer Firma: Nachdem wir über viele Jahre mit Wirtschaftsprüfern und Steuerexperten Ideen für mögliche Nachfolgekonstellationen diskutiert hatten, haben wir uns 2021 dafür entschieden, unsere Firma an die deutsche Private-Equity-Gesellschaft Deutsche Beteiligungs AG (DBAG) zu verkaufen und dabei en passant zahlreiche unserer „Members“, wie wir unsere Mitarbeiter nennen, zu beteiligen.

Das Ziel ist nun, die Firma so aufzustellen, dass sie ohne uns funktioniert und dabei die Marge und das Wachstum beibehält.

Es gibt nichts zu ändern – die Firma funktioniert hervorragend. Natürlich müssen wir uns ständig an den Fortschritt in der Welt anpassen oder ihn auch voraussehen, aber das machen wir ja auch seit zweieinhalb Jahrzehnten. Das ist Teil unserer DNA. Auch hier stellt sich allerdings die Frage, was diese DNA eigentlich genau ist und wie wir sie erhalten und weitertragen können.

Selbstverständlich haben wir uns nicht davon überraschen lassen.

Vor einigen Jahren haben wir angefangen, eine digitale Wissensbasis (Knowledge Base) aufzubauen, in der alle Best Practices unserer Firma aufgeschrieben sind, und einen „Request-for-Comments-Prozess“ eingeführt, damit sich dieses Wissen ständig ändern und erweitern lässt. Von allen Members in unserem Unternehmen. Wie ein betriebliches Vorschlagswesen auf Steroiden.

Da wir dieses Wissen verschriftlicht haben, können wir schon heute sehr einfach ein ChatGPT-artiges Large Language Model trainieren, das dieses Wissen in Form von Chatdialogen weitergeben kann.

Das ist der erste Schritt – aber das reicht nicht aus

Jetzt arbeiten wir daran, das Wissen zwischen den Zeilen zu konservieren. Wir formulieren die Grundprinzipien unseres Handelns aus und erklären, durch welche Erfahrungen diese entstanden sind. Das machen wir zum einen textuell und zum anderen zeichnen wir Videos auf, in denen das zugrunde liegende Mindset und die dahinterliegende auslösende Erfahrung erklärt wird.

Die Idee ist, dass in der Zukunft jeder Mitarbeiter in der Firma die Möglichkeit hat, eine KI um Rat zu fragen, wie ein bestimmtes Problem gelöst werden oder wie eine schwierige, neue Situation gemeistert werden kann – basierend auf dem, was über Jahrzehnte gelernt wurde.

Denn eine KI wird nicht einfach nur das gelernte Wissen reproduzieren, sondern es auch auf neue Probleme anwenden können.

So ersetze ich meine Co-Gründerin Claudia Dietze und mich schrittweise durch eine KI, die nicht nur unseren Nachfolgern und dem Führungsteam, sondern der gesamten Firma als Sparringspartner zur Verfügung steht und natürlich auch neues Wissen erlernt und integriert.

Und weil es jetzt technisch schon möglich, aber noch nicht sehr verbreitet ist, kann sich jeder vorstellen, dass eine solche KI dann auf eine entsprechende Frage und Problemstellung nicht nur mit einer Textantwort reagiert, sondern mit einem Videostream.

In Zukunft werden die Mitarbeiter in Ihrer Firma also wie in einem Videochat mit einer KI diskutieren können, als wäre es eine echte Person, die sich mit allen Details in Ihrer Firma und in Ihrem Geschäft auskennt.
Diese virtuelle, digitale Identität kann genauso aussehen wie Sie. Oder eben auch nicht.

Anstatt eines Ölbilds für die Familiengalerie kann man sich heute auch digital verewigen – allerdings mit einem weit größeren Impact.

Und damit das morgen Wirklichkeit wird, muss man heute damit beginnen.
Willkommen in der Zukunft.

Autorenprofil
Stefan Richter

Stefan Richter ist Co-Founder und Head of Engineering bei freiheit.com technologies. Der studierte Ingenieur und Informatiker gründete die Software Engineering Company 1999 zusammen mit Claudia Dietze in Hamburg. Er ist seit 40 Jahren leidenschaftlicher Programmierer, entwickelt seit einem Vierteljahrhundert große Softwaresysteme mit seiner Firma für das internationale Who’s Who in Wirtschaft und Industrie, spielt Bass und betreibt CrossFit seit 2009.

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