Kulturelle Integration als Kunstform

Warum kulturelle Integration den Erfolg von Post-Merger-Integrationen sichert – und wie Unternehmen dabei echte Mehrwerte schaffen können.

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Finanzielle Synergien und operative Effizienz stehen oft im Fokus von Fusionen und Übernahmen. Doch laut Dr. Patrick Heinemann, Senior Partner bei Roland Berger, liegt der wahre Hebel für nachhaltigen Erfolg in der Unternehmenskultur. Gemeinsam mit Dr. Jörg Delhaes, Principal bei Roland Berger, spricht er über die zentralen Erkenntnisse der aktuellen Studie „Die kulturelle Symphonie in PMIs“, die häufigsten Fallstricke und warum kulturelle Integration als strategisches Asset verstanden werden muss.

Unternehmeredition: Herr Dr. Heinemann, die Roland Berger-Studie zeigt, dass bis zu 30% des erwarteten Wertes einer Fusion verloren gehen können, wenn kulturelle Integration vernachlässigt wird. Warum ist dieser Faktor so entscheidend?

Dr. Patrick Heinemann: Kulturelle Integration ist oft der entscheidende Hebel, um den langfristigen Erfolg einer Fusion zu sichern. Kultur beeinflusst, wie Entscheidungen getroffen werden, wie Zusammenarbeit funktioniert und wie sich Mitarbeitende in der Organisation verhalten. Wenn diese Aspekte nicht berücksichtigt werden, kann das die Umsetzung strategischer und operativer Ziele erheblich behindern. Gleichzeitig sehen wir, dass kulturelle Prinzipien nicht nur „weiche Faktoren“ sind – sie müssen in die Strukturen und Prozesse der Zielorganisation integriert werden. Nur wenn Kultur und operative Gestaltung im Einklang stehen, kann eine Fusion wirklich Mehrwert schaffen.

Dr. Jörg Delhaes: Das unterstreichend: Es geht nicht nur um eine theoretische Abstimmung, sondern darum, kulturelle Unterschiede aktiv in den Prozess einzubringen. Oft werden kulturelle Barrieren erst sichtbar, wenn es schon zu spät ist. Deshalb ist es entscheidend, kulturelle Arbeit als festen Bestandteil der Integration von Anfang an mitzudenken.

Gibt es typische Stolpersteine, die Unternehmen immer wieder übersehen?

Dr. Heinemann: Ein häufiges Problem ist, dass kulturelle Themen erst nach dem Closing angegangen werden. Dabei beginnt die kulturelle Integration schon vor dem Signing, insbesondere bei der Planung der Zielorganisation – dem sogenannten Target Operating Model (TOM). Ein weiterer Stolperstein ist die Annahme, dass eine Kultur einfach übernommen werden kann. Kultur ist kein „One-Size-Fits-All“-Ansatz. Stattdessen geht es darum, eine gemeinsame Vision zu entwickeln, die die besten Elemente beider Organisationen miteinander verbindet.

Hinzu kommt, dass Unternehmen oft die Tiefe der Integration unterschätzen. Kulturelle Prinzipien sollten nicht nur auf der Ebene von Werten oder Verhaltensnormen betrachtet werden, sondern auch Governance, Entscheidungsprozesse und operative Strukturen prägen. Diese Dimensionen werden häufig übersehen, obwohl sie für eine erfolgreiche Integration essenziell sind.

In Ihrer Studie verwenden Sie die Metapher eines Orchesters, um den PMI-Prozess zu beschreiben. Können Sie das näher erklären?

Dr. Delhaes: Die Metapher zeigt, wie wichtig das Zusammenspiel verschiedener Akteure in einer Fusion ist. Der CEO ist der Intendant, der die Gesamtvision vorgibt, während das Integration Management Office (IMO) als Dirigent fungiert, der sicherstellt, dass alle Teams harmonisch zusammenarbeiten. Aber – und das ist entscheidend – die Noten, also die strukturellen und operativen Elemente der Organisation, müssen ebenfalls stimmen. Nur wenn kulturelle Prinzipien in die operativen Prozesse und Strukturen integriert werden, können alle „Instrumente“ effektiv und effizient zusammenspielen.

Dr. Heinemann: Es geht nicht nur um das „Wie“, sondern auch um das „Was“. Das bedeutet, dass kulturelle Prinzipien direkt in die Ausgestaltung des Geschäftsmodells, der Governance und der Entscheidungsprozesse einfließen müssen. Nur so entsteht eine harmonische Integration, die Werte kreiert und eine nachhaltige Performance und Performance-Kultur sicherstellt.

Ihre Studie beschreibt fünf Phasen der kulturellen Integration. Welche ist die wichtigste?

Dr. Delhaes: Jede Phase hat ihre Bedeutung, aber der Schlüssel liegt in der ersten: „Das Orchester zusammenstellen.“ Hier geht es darum, durch kulturelle Assessments, Workshops und klare Verantwortlichkeiten die Grundlagen zu schaffen. Diese Phase ist entscheidend, um sicherzustellen, dass kulturelle Erkenntnisse nicht nur auf der „soften“ Ebene verbleiben, sondern in die operative Planung der Zielorganisation integriert werden.

Sie erwähnen kulturelle Dissonanzen. Wie gehen Unternehmen am besten damit um?

Dr. Delhaes: Der erste Schritt ist, Dissonanzen zu akzeptieren und offen anzusprechen. Kulturelle Unterschiede – ob in Entscheidungsprozessen, Hierarchien oder Kommunikationsstilen – sind normal. Der Schlüssel liegt darin, diese Unterschiede als Chance zu sehen. Workshops und gezielte Konfliktlösungsmaßnahmen können helfen, Spannungen produktiv zu nutzen. Gleichzeitig sollten diese kulturellen Unterschiede nicht nur analysiert, sondern auch in die strukturelle Gestaltung integriert werden. Wenn beispielsweise Entscheidungsprozesse in den beiden Organisationen stark divergieren, muss dies im TOM berücksichtigt werden, um reibungslose Abläufe zu gewährleisten.

Welche Rolle spielen Mitarbeitende in diesem Prozess?

Dr. Heinemann: Mitarbeitende sind der Motor einer erfolgreichen Integration. Sie durchlaufen während einer Fusion eine emotionale Reise – von Unsicherheit über Widerstand bis hin zur Akzeptanz. Unternehmen müssen diese Reise aktiv begleiten, durch transparente Kommunikation und die Einbindung in den Gestaltungsprozess. Wichtig ist, dass Mitarbeitende nicht nur informiert, sondern auch aktiv eingebunden werden – etwa durch Pulse-Checks, Townhall-Meetings und Change-Botschafter. Besonders wirkungsvoll ist es, Mitarbeitende auch an der operativen Ausgestaltung der Zielorganisation zu beteiligen.

Ein weiterer Punkt Ihrer Studie ist die Einführung eines Kulturmanagers. Warum halten Sie diese Rolle für so wichtig?

Dr. Delhaes: Der Kulturmanager ist eine Schlüsselfigur, die dafür sorgt, dass kulturelle Themen nicht in den Hintergrund geraten. Er oder sie agiert als Bindeglied zwischen den operativen und kulturellen Ebenen, um sicherzustellen, dass kulturelle Prinzipien in die Gestaltung der Zielorganisation integriert werden – sei es in Entscheidungsprozesse, Governance-Strukturen oder die Zusammenarbeit zwischen Teams.

Dr. Heinemann: Ein Kulturmanager kann außerdem Spannungen entschärfen und Mitarbeitende motivieren, die Veränderung als Chance zu sehen. Unsere Erfahrung zeigt, dass Unternehmen mit einem Kulturmanager in der Regel erfolgreicher in der Integration sind.

Was ist Ihr wichtigster Rat für Unternehmen, die vor einer Fusion stehen?

Dr. Heinemann: Investieren Sie von Anfang an in die kulturelle Integration – und denken Sie Kultur und Struktur immer zusammen. Eine erfolgreiche Fusion erfordert nicht nur eine klare Vision, sondern auch die Fähigkeit, kulturelle Prinzipien in die operative Realität zu überführen.

Dr. Delhaes: Und haben Sie den Mut, kulturelle Arbeit als strategisches Asset zu begreifen. Eine Fusion ist keine Einbahnstraße – sie kann eine echte Chance sein, aus zwei Organisationen etwas Neues und Besseres zu schaffen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Heinemann und Herr Dr. Delhaes.

Dr. Patrick Heinemann, Foto: Roland Berger
Dr. Patrick Heinemann, Foto: Roland Berger

Dr. Patrick Heinemann ist Senior Partner im Büro in Stuttgart von Roland Berger. Er leitet die globale Transaction Services Practice, zu der Portfoliostrategie, PMIs, Carve-outs und Joint Ventures gehören. Er verfügt über mehr als 18 Jahre Erfahrung in der Unternehmensberatung und im operativen Geschäft als Leiter der Abteilung M&A/Strategie und CFO eines börsennotierten Unternehmens.

 

 

 

Dr. Jörg Delhaes, Foto: Roland Berger
Dr. Jörg Delhaes, Foto: Roland Berger

Dr. Jörg Delhaes ist Principal im Transaction & Investor Services-Team von Roland Berger in München. Er steht für Beratungsexpertise in Post-Merger-Integration (PMI), Carve-out und Joint Venture. In der Target Operating Model-Entwicklung folgt er einem ganzheitlichen Ansatz, der Kultur und Zukunftsorientierung berücksichtigt. Jörg Delhaes konzentriert sich  vor allem auf die Beratung von Industrie- und Automobilunternehmen.

Autorenprofil

Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.

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