Insolvenzen auf Finanzkrisenniveau?

Unternehmensinsolvenzen
© h_lunke – stock.adobe.com

Die deutsche Wirtschaft kämpft erneut mit einer Insolvenzwelle, die das Niveau der Finanzkrise 2009 erreicht hat. Nach Einschätzung von Steffen Müller, Leiter der Insolvenzforschung am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), liegt die Zahl der monatlichen Unternehmensinsolvenzen aktuell bei etwa 1.400. Besonders betroffen sind größere Unternehmen, was die volkswirtschaftliche Substanz stark belastet. Während zur Finanzkrise 2009 zusätzlich viele Kleinstunternehmen Insolvenz anmeldeten, liegt deren Zahl heute deutlich niedriger. Laut Müller gehen derzeit etwa 500 Kleinstunternehmen pro Monat in die Insolvenz, während größere Firmen verstärkt betroffen sind. Diese Entwicklung verschärft die Auswirkungen auf die Wirtschaft, da mit größeren Insolvenzen auch höhere Schulden und mehr bedrohte Arbeitsplätze einhergehen. Ein Bericht der Wirtschaftsauskunftei Creditreform untermauert diese Entwicklung: Die Zahl der gesamten Unternehmensinsolvenzen stieg 2024 um 25 Prozent auf 22.400 Fälle – der höchste Wert seit 2015. Auch größere Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten verzeichnen einen überdurchschnittlichen Anstieg. Hier lagen die Fallzahlen 2024 um mehr als 40% höher als im Vorjahr.

Ursachen für die Pleitewelle

Die Gründe für den Anstieg der Insolvenzen sind vielfältig. Ein Teil lässt sich auf Nachholeffekte zurückführen. Während der Corona-Pandemie war die Insolvenzantragspflicht zeitweise ausgesetzt. Dies führte dazu, dass wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen künstlich am Leben gehalten wurden. Hinzu kommt der Druck durch die steigenden Zinsen nach einer jahrelangen Nullzinsphase der Europäischen Zentralbank (EZB). Unternehmen, die sich früher zu günstigen Konditionen finanzieren konnten, geraten nun unter finanzielle Belastung. Zudem offenbaren die Insolvenzen strukturelle Schwächen der deutschen Wirtschaft. Hohe Energie- und Arbeitskosten, eine zunehmende Bürokratisierung und eine sinkende internationale Wettbewerbsfähigkeit setzen Unternehmen unter Druck. Besonders energieintensive Branchen wie die Automobilindustrie und der Maschinenbau leiden unter diesen Entwicklungen.

Schlüsselbranchen in der Krise

Die Auswirkungen der Insolvenzwelle sind besonders in Deutschlands Schlüsselindustrien spürbar. Die Automobilindustrie, lange das Rückgrat der Wirtschaft, steht vor systemischen Herausforderungen. Der Übergang zur Elektromobilität, Absatzprobleme in wichtigen Märkten wie China und hohe Energiepreise setzen vor allem Zulieferer unter Druck. Viele kleinere Unternehmen können die nötigen Investitionen nicht stemmen und melden Insolvenz an. Auch der Maschinenbau verzeichnet eine deutliche Zunahme von Insolvenzen. Falkensteg, eine Restrukturierungsberatung, meldete für 2024 einen Anstieg der Großinsolvenzen in dieser Branche um 33%. Hohe Produktionskosten und eine sinkende Nachfrage verschärfen die Lage. In der Bauwirtschaft und Immobilienbranche wirkt sich die Zinswende massiv aus. Projekte werden storniert, Investoren zögern, und Unternehmen wie die prominente Gröner Group mussten 2024 Insolvenz anmelden. Die Folge: Ein starker Rückgang bei Neubauprojekten und ein Anstieg der Insolvenzen in nachgelagerten Branchen wie Handwerk und Innenausbau. Allerdings bleiben die langfristigen Aussichten ungewiss. Selbst bei einer wirtschaftlichen Erholung könnten Nachholeffekte zu weiterhin steigenden Insolvenzzahlen führen, warnt Müller vom IWH.

Autorenprofil

Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.

Vorheriger ArtikelWegfall von Subventionen für Investoren in China?
Nächster ArtikelVR Equitypartner veräußert Beteiligung an Votronic