“Ich gehe nicht davon aus, dass wir den Stand von 2008 bald wieder erreichen werden” (Ausgabe 3/2010)

Interview mit James J. Bonsall, Managing Director, AlixPartners

Der US-Amerikaner Jim Bonsall ist im Januar in das deutsche Team von AlixPartners zurückgekehrt und hat die Leitung der Turnaround & Restructuring Practice übernommen. Bonsall arbeitete zuletzt vor fünf Jahren bei dem Beratungsunternehmen für Turnarounds und Ertragssteigerungsprogramme in Deutschland

Der US-Amerikaner Jim Bonsall ist im Januar in das deutsche Team von AlixPartners zurückgekehrt und hat die Leitung der Turnaround & Restructuring Practice übernommen. Bonsall arbeitete zuletzt vor fünf Jahren bei dem Beratungsunternehmen für Turnarounds und Ertragssteigerungsprogramme in Deutschland. Damals hatte er den angeschlagenen nordrheinwestfälischen Kabelanbieter ish als Interim-CEO aus der Krise geführt und an einen neuen Eigentümer verkauft. Bonsall besitzt mehr als 30 Jahre Erfahrung in der Leitung von Unternehmen in Europa, den USA und Südamerika. Im Interview spricht er über die weitere Entwicklung der Konjunktur, wie sich Unternehmen verhalten sollten und das deutsche Insolvenzrecht im internationalen Vergleich.

Unternehmeredition: Herr Bonsall, wie schätzen Sie die gegenwärtige Wirtschaftslage ein? Auf der einen Seite scheint sich eine leichte Konjunkturerholung anzudeuten, auf der anderen Seite belasten ein schwacher Euro, sinkende Aktienkurse und eine hohe Staatsverschuldung die Märkte.
Bonsall: 2009 ist der Umsatz in vielen Branchen dramatisch eingebrochen: von Verbrauchsgütern über die Automobilindustrie und ihren Zulieferern bis hin zur Logistik und Schiffsindustrie. Von diesem Schlag müssen sich die Volkswirtschaften nun wieder erholen. Erst wenn die Ausgaben der Verbraucher steigen, wird sich die Lage verbessern. Die Frage ist, auf welchen Level sich die Lage mittelfristig verbessern wird. Es gibt Unternehmer, die davon ausgehen, dass die Wirtschaft sich schnell wieder auf Vorkrisen-Niveau erholt, und ihre Firma nicht restrukturieren, sondern eher eine Politik des Stillhaltens und Abwartens verfolgen. Das ist meiner Meinung nach gefährlich und sicher der falsche Weg. Die Wirtschaft erholt sich derzeit zwar langsam auf niedrigem Niveau – aber ich gehe nicht davon aus, dass wir den Stand von 2008 bald wieder erreichen werden. Besser ist es, sich der veränderten Lage anzupassen, die Produktionskapazitäten zu reduzieren und an einer eher längerfristig niedrigen Nachfrage zu orientieren. Dennoch wird 2010 eher ein Jahr sein, durch das die meisten Unternehmen relativ gut durchkommen werden, größere Probleme wird es meiner Meinung nach erst 2011 geben.

Unternehmeredition: Wie dramatisch stellt sich die Finanzierungssituation für Unternehmen dar?
Bonsall: Ende Januar veröffentlichte AlixPartners eine Studie, die zeigt, dass Unternehmen der vier größten europäischen Industrienationen schon bald mit einer Refinanzierungskrise im Umfang von knapp 400 Mrd. EUR konfrontiert sein könnten. Davon entfallen rund 115 Mrd. EUR alleine auf Deutschland. Diese Krise kann Firmen aller Art treffen. Das heißt, europäische Unternehmen müssen dieses Jahr in großem Umfang Kredite umschulden.

Unternehmeredition: Was sollten die Unternehmen tun?
Bonsall: Selbst wenn die Unternehmen bereit sind, erhebliche Risiko-Aufschläge zu bezahlen, sind die Möglichkeiten umzuschulden begrenzt. Deshalb besteht die ernste Gefahr, in eine Liquiditätskrise zu geraten. Firmen haben jedoch weitere Möglichkeiten, an Liquidität zu gelangen. Sie müssen die noch im Unternehmen gebundene Liquidität freisetzen, zum Beispiel indem sie Bestände reduzieren, Kosten senken sowie Forderungen und Verbindlichkeiten optimieren. Viele sind oft überrascht, wie schnell diese verborgenen Geldquellen gefunden und für die Finanzierung genutzt werden können. Der Schlüssel liegt darin, Engpässe in der Außenfinanzierung durch eine entsprechende Innenfinanzierung auszugleichen.

Unternehmeredition: Wird die angespannte Finanzierungssituation die Zahl der Konkurse erhöhen?
Bonsall: Nicht sofort. Ich erwarte 2010 zunächst weniger Insolvenzen. Zwar können zahlreiche Unternehmen ihre auslaufenden Kredite nicht bedienen, aber die Banken sind heute vielfach zu Zugeständnissen bereit und geben einen Zahlungsaufschub von ein bis zwei Jahren. So hoffen die Banken, dass die Unternehmen ihr Geschäft wieder in den Griff bekommen und ihre Kredite später zurückzahlen werden. Erst wenn diese Fristverlängerung in ein bis zwei Jahren ausläuft, wird sich die Lage dramatisch verschärfen. Dann kann es zu einer echten Kreditklemme kommen. Deswegen rechne ich erst 2011 mit einem weiteren starken Anstieg der Insolvenzen.
Unternehmeredition: Worin sehen Sie den Haupttreiber eines künftigen Aufschwungs für Deutschland? In der Nachfrage aus den Schwellenländern und dem Export?
Bonsall: Wie gesagt, stärkste Treiber eines wirtschaftlichen Aufschwungs sind letztendlich das Vertrauen und die Zuversicht der Verbraucher. Wenn sie ihre Ausgaben steigern, zieht es die gesamte Wirtschaft mit nach oben. Aktuell wirken sich die Instabilität des Euro, sinkende Aktienkurse und die hohe Staatsverschuldung in Griechenland und weiteren europäischen Staaten sowie den USA in dieser Hinsicht negativ aus. Auch wenn ein schwacher Euro den Export deutscher Produkte beflügeln dürfte – ein stabiler Euro wäre besser. Instabilität tut der Wirtschaft niemals gut.
Unternehmeredition: Wie bewerten Sie das deutsche Insolvenzrecht im internationalen Vergleich? Was könnte Deutschland besser machen?
Bonsall:
In Deutschland bedeutet eine Insolvenz meist das Ende einer Firma. In den USA stehen mehr Werkzeuge zur Verfügung, um angeschlagene Firmen zu retten, allen voran das “Chapter 11”, das man auch in Deutschland einführen sollte. Aber es geht nicht nur darum, einfach Gesetze zu ändern, viel wichtiger ist es, auch die Einstellung im Umgang mit Firmen in der Krise zu verändern – das würde viele Unternehmen und Arbeitsplätze retten.
Unternehmeredition: Herr Bonsall, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Markus Hofelich.
markus.hofelich@unternehmeredition.de

Zur Person: James J. Bonsall
James J. Bonsall ist Managing Director bei AlixPartners. Seit der Gründung im Jahr 1981 hat das auf Turnarounds und Ertragssteigerungsprogramme spezialisierte Unternehmen mit rund 900 Mitarbeitern in weltweit vierzehn Standorten über 2.000 Projekte abgeschlossen. AlixPartners ist seit 2003 mit eigenen Büros in Deutschland vertreten und setzt ausschließlich erfahrene Führungskräfte aus Industrie und Beratung ein, die vielfach als Manager auf Zeit auch operative Führungsverantwortung übernehmen. www.alixpartners.com

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