Website-Icon Unternehmeredition.de

„Hanf ist unsere Mondlandung“

Papierrollen im Lager: Die Papierfabrik Gmund ist bekannt für ihr durchgefärbtes Design- und Naturpapier. Foto: © Gmund Papier

Gmund Papier steht für die Herstellung von ästhetischen und zugleich umweltfreundlichen Design- und Naturpapieren. Weltweit bekannt wurde die Papierfabrik im Jahr 2011 durch die mit Gold veredelten Papiere, aus der die Umschläge und Gewinnerkarten für die Oscarverleihung angefertigt werden. Wir sprachen mit Florian Kohler, dem alleinigen Inhaber und Geschäftsführer, über aktuelle Strategien und Entwicklungen.

Unternehmeredition: Herr Kohler, Sie leiten seit gut 40 Jahren die Papierfabrik Gmund. Wie hat sich die Fabrik seitdem entwickelt?

Florian Kohler: Wir sind zwar nicht die größte, aber vermutlich die spezialisierteste Papierfabrik. Es existieren weltweit zahlreiche sehr große Papierfabriken, die meisten sind börsennotierte Konzerne. Eine private Papierfabrik, wie wir eine sind, gibt es eigentlich nicht mehr. Wir sind sozusagen das gallische Dorf.

Ich würde sagen, dass wir in den letzten 20 bis 30 Jahren aus einem hervorragenden mittleren Industriebetrieb ein Markenunternehmen in doppelter Hinsicht gemacht haben,
in dem Sinne, dass wir nur für und mit Marken gearbeitet haben.

Das ist in unserer Branche sehr ungewöhnlich: Normalerweise macht eine Papierfabrik Papier, und dann werden Angebote über den Handel rausgeschickt, bei denen es darum geht, der billigste und schnellste zu sein.

Wir gehen auf Markenartikler wie Beiersdorf zu – oder sie kommen auf uns zu, was übrigens immer häufiger vorkommt – und versuchen, deren Markenauftritt über die Kommunikation und das Packaging zu verbessern. Im analogen Designmaterialbereich steckt ein enormes Potenzial!

Trotz Digitalisierung?

Ehrlich gesagt tun mir die Leute fast leid, die nur an Digitalisierung denken. Das ist doch alles nur Hilfswerk – das Leben findet nach wie vor analog statt. Wenn ich wertige Kommunikation mache oder Verpackung, dann ist das genau das Gegenteil zum Digitalen. Es ist eben nicht flüchtig. Es geht die Menschen an, es bleibt im Menschen. Reden Sie mit einem alten Autonarren: Der sagt Ihnen, dass in den 1980er-Jahren die Tür so und so ins Schloss fiel – weil die schwäbischen Ingenieure das dreimal besser gemacht haben. Es wirkt intrinsisch auf den Menschen. Deshalb haben wir durchgefärbtes Papier erfunden. Es gibt etliche Papiere, die nur oberflächlich farbig bedruckt werden. Bei uns ist das Papier durch und durch gefärbt. Wir produzieren matte, farbige, nahbare und beruhigende Papiere.

Wer zählt konkret zu Ihren Kunden?

Wir haben keine großen Hauptkunden, nicht einen Zwanzig- oder Dreißigprozenter, aber wir sind stark im Food-, Kosmetik- und Automobilbereich sowie bei neuen Technologien. Unter anderem zählen BMW, Urkorn und Schokoladenfirmen wie Godiva zu unseren Auftraggebern.

Was macht Sie sicher, dass Papier der erfolgsentscheidende Faktor ist?

Eine der zwei Papiermaschinen im Gmunder Werk; Foto: © Gmund Papier

Nicht erfolgsentscheidend, aber einen schicken 10%igen Zuwachs können wir schon ausmachen. Wenn eine Verpackung aus gutem, passendem Material ist, dann hat das für den Stammkunden eine hohe Bedeutung, ohne dass es ihm bewusst ist. Wenn Sie eine Kosmetikverpackung in der Hand haben und diese aufmachen, dann ist Ihnen als Kunde unter Umständen gar nicht bewusst, dass Sie Qualität und den entsprechenden Umweltgedanken dahinter fühlen. Wir designen das Papier so auf die DNA der Marke, dass der Stammkunde sagt: „Gott sei Dank habe ich das Parfum von XY gekauft.“

Was macht aus Ihrer Sicht ein gutes Papier aus?

Es muss dem Zweck angemessen sein. Natürlich geht es hier um Qualität. Dazu gehören exzellente Rohstoffe, große Aufmerksamkeit und die Entscheidung, nicht in der größten Geschwindigkeit, sondern mit hoher Kontrolle zu produzieren, eine herausragende Ästhetik, die nicht geschmäcklerisch schön, sondern immer objektiv ästhetisch ist.

Der Produktionsaufwand und die Kosten sind bei Ihnen natürlich deutlich höher als in einer Massenfabrik. Wie schaffen Sie es, trotzdem wirtschaftlich zu sein?

Wir sind nicht billiger, aber wir sind effizient. Wir sind sogar meistens günstiger, als man gemeinhin annimmt – ein großer Bogen Papier kostet bei uns oft nicht einmal 1 EUR. Eine hochwertige Faltschachtel aus unserem Material kostet vielleicht 0,20 oder 0,30 EUR.

Papier aus 100% Hanf – was hat Sie auf diese innovative Idee gebracht?

Um diesen Bereich der Einjahrespflanzen zu erforschen, haben wir eine zweite Firma als Entwicklungslabor gegründet, das Start-up Greenfibra Labs. Es geht hier nicht etwa darum, Einjahrespflanzen gegen Bäume einzutauschen, sondern wir erforschen hier zusätzliche Mehrwerte. Einjahrespflanzen wie Hanf, Baumwolle oder Stroh wachsen weitaus schneller. Außerdem weisen Hanf und Baumwolle einige technische Vorteile auf. Baumwolle ist beispielsweise ein Abfallprodukt aus der Textilfrischfaser; dafür muss nichts extra angepflanzt werden.

Die neueste Papierkollektion aus 100% Hanfzellstoff; Foto: © Gmund Papier

Hanf hat den Vorteil, dass er schön wächst und relativ bodenschonend ist. Mit einem Technologiepartner bereiten wir ihn zu Zellstoff auf. Diese Hanffaser ist viel stabiler als andere Fasern. Dadurch entsteht ein stabileres Papier, das a) besser im Griff und b) öfter recycelbar ist. Normales Papier ist theoretisch siebenfach recycelbar, Hanfpapier hingegen zehnfach. Wenn jemand Hanfpapier kauft, dann steigert das die Recycelfähigkeit. Das haben wir erfunden.

Gab es das vorher gar nicht?

Man konnte früher schon Hanfpapier mit der Hand herstellen, aber eben nicht industriell. Man kann auch 10%, 20% oder 30% Hanf beimischen; das machen wir auch schon lange. Wir haben jetzt aber die Papiermaschine so umkonstruiert, dass wir das erste und einzige 100%ige Hanfpapier der Welt herstellen können. Das ist eine ganz frische Entwicklung! Anfang des Jahres hatten wir hier unseren technischen Durchbruch und es stecken vier Jahre Entwicklung drin.

Ist das für Sie jetzt also das Produkt, das es zu vermarkten gilt?

Es ist trotzdem nur eins unter vielen. Spannend, aber sehr teuer. Wenn eine normale Faltschachtel aus Gmund 0,20 EUR kostet, dann kostet die Faltschachtel aus Hanf 0,40 EUR.

Gmund Papier produziert farbige und weiße, extrem umweltfreundliche Produkte. Und daraus gewachsen ist unsere zweite Firma, das Spin-off Greenfibra Labs, ein Forschungsinstitut, das Marken darin berät, pflanzliche Fasermaterialien für Kommunikation und Packaging zu verwenden. Das Institut verkauft nur Know-how.

Natürlich versuchen wir bei uns, Forschung und Produktion zu kombinieren. Aber im Grunde könnte jemand auch einen Forschungsauftrag an Greenfibra Labs vergeben und dann das Papier woanders produzieren lassen. Ein Patent haben wir nicht, aber der Prozess ist so aufwendig, dass das keiner nachmachen kann.

Auf welchen Rohstoff außer Hanf würden Sie noch setzen?

Wir setzen jetzt erst einmal auf Hanf, was das Thema Einjahrespflanzen angeht!

Es ist gerade so, als ob Sie die Nasa fragen würden, was toller ist, als auf den Mond fliegen. Der Hanf ist gerade unsere Mondlandung. Ob wir dann in 100 Jahren auf den Mars fliegen werden, kann ich Ihnen noch nicht sagen. Armstrong fliegt gerade zurück.

Welche Themen sind Ihnen noch wichtig?

Das Wichtigste für die materiale Umwelt ist, dass wir danach trachten, nur Monoprodukte in die Umwelt zu bringen. Papier ist das beste Industrieprodukt, da es zu 100% recycelbar ist und beim Wegwerfen zerfällt.

Am Holländer wird die Farbe zugegeben; Foto: © Gmund Papier

Wir wollen Farbe in die Welt bringen. Unser Papier ist das einzige farbige Papier der Welt, das als „cradle-to-cradle“ zertifiziert ist. Daran haben wir 1,5 Jahre geforscht. Wir haben umweltfreundliche Farben entwickelt, die toxologisch unbedenklich sind. Alle werden CO2-neutral hergestellt. Bei uns läuft über 50% der Energieerzeugung CO2-frei. Wir produzieren das einzige klimaneutrale farbige Papier, das es zurzeit standardmäßig am Markt gibt!

Das klingt, als ob Sie gerade am Durchstarten sind.

Wenn ich ehrlich sein darf: Ja, es brummt auch gerade. Wir haben ja vor zehn Jahren begonnen, zu investieren. Nach einem sehr schwierigen Coronajahr ohne staatliche Zuschüsse haben wir jetzt das Glück des Tüchtigen gehabt, dass wir schon viele Jahre an umweltfreundlichen Produkten wie zum Beispiel Hanf geforscht haben. Anfang dieses Jahres ging es dann richtig los. Aktuell liegen wir mit unserem Umsatz 30% über dem letzten und 10% über dem vorletzten Jahr!

Im Übrigen vergeht nicht ein Monat, in dem ich nicht einen Brief von Investoren – seien es Venture-Capital-Strategen oder Branchenkollegen − auf dem Tisch habe, die uns aufkaufen wollen.

Aktuell herrscht weltweit Papierknappheit. Sind Sie davon betroffen?

Pulper: Der große Rührbottich wird dazu genutzt, Altpapier oder Zellstoff aufzulösen. Foto: © Gmund Papier

Der Staat hat so viel Geld reingeschossen, dass die Nachfrage aktuell enorm ist, nicht nur beim Papier, sondern auch in anderen Branchen. Es ist einfach zu viel Geld im System. Ich kenne Firmen, die horten Papier. Es gibt Druckereien, die kaufen Tonnen von Papier auf, um sie mit Gewinn zu verscherbeln. Durch diese künstliche Blase haben wir Schwierigkeiten, bei steigenden Preisen unsere Rohstoffe zu bekommen und die Nachfrage zu befriedigen.

Das steht aber trotzdem in keinem Verhältnis zu Corona: Da habe ich zahlreiche schlaflose Nächte verbracht. Ich bin sicher, dass sich alles bald regulieren wird.

Sie blicken also trotz der schwierigen Umstände positiv in die Zukunft?

Wir sind selbstfinanziert. Unser höchstes Gut ist die wirtschaftliche Sicherheit unserer Firma – nur deshalb können wir solche Spinnereien machen wie mit dem Hanf. Wir investieren hier Unsummen, ohne auch nur zu wissen, ob wir das Produkt auch verkaufen werden.

Würden Sie denn Fremdkapital aufnehmen oder sogar fremdes Eigenkapital akzeptieren?

Fremdkapital schon, aber kein fremdes Eigenkapital, keinen Investor. Das brauchen wir nicht. Wir wollen bei uns keinen fremden Einfluss haben.

Haben Sie Ihre Nachfolge bereits geregelt?

Es gibt einen Geschäftsführerkollegen, Herbert Eibach, und einen Firmenrat. Herr Eibach ist für das Management vor Ort zuständig, während ich die Produktentwicklung verantworte. Ich habe Kinder im Alter von 16, elf und neun Jahren. In 15 oder 20 Jahren werden meine Kinder vielleicht einmal die Geschäfte übernehmen; das wäre zumindest mein Wunsch.

Wie sieht Ihre Vision für die Zeit in zehn oder 20 Jahren aus?

Wir produzieren weiterhin nachhaltige, schöne und außergewöhnliche Papiere im Farbbereich. Und wenn eine Marke an Farbe denkt, denkt sie an uns.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.


ZUR PERSON

Foto: © Gmund Papier

Florian Kohler, 58, hat Betriebswirtschaft studiert und führt in vierter Generation die Papierfabrik Gmund in Oberbayern. Das Unternehmen stellt Papierprodukte aus Naturfasern her und beschäftigt 130 Mitarbeiter. Kohler lebt mit seiner Familie in Tegernsee.

 

 

 


KURZPROFIL Gmund Papier GmbH & Co. KG

Sitz des Unternehmens: Gmund am Tegernsee
Gründungsjahr: 1829
Branche: Papierherstellung
Produktionsstandort: Gmund am Tegernsee
Umsatz: zweistelliger Millionenbetrag
Mitarbeiterzahl: etwa 130

www.gmund.com


ZUR FIRMENGESCHICHTE

Foto: © Gmund Papier

Gmund Papier ist ein Papierhersteller mit Stammsitz in Gmund am Tegernsee und beschäftigt heute etwa 130 Mitarbeiter. Gegründet wurde die damalige Papiermühle 1829 von Johann Nepomuk Haas, der seinerzeit mit rund 20 Mitarbeitern das Papier noch ausschließlich von Hand fertigen ließ. 1853 kam sein Nachfolger Gregor Fichtner, unter dem die Papierfabrik zum Hoflieferanten des Bayerischen Königshofs avancierte. 1860 vernichtete ein Großbrand etliche Fabrikgebäude, die im folgenden Jahr wiedererrichtet wurden. Mit der Installation der ersten Papiermaschine mechanisierte Fichtner 1886 den Produktionsprozess. 1895 zog sich Fichtner aus dem Geschäftsleben zurück und verkaufte die Fabrik an den Gmundner Bürger Romuald Brunner. In dessen Ära gingen der Absatz, die Produktion und die Zahl der Arbeitskräfte deutlich zurück. 1904 kauften Ludwig Alois Kohler, der Urgroßonkel des jetzigen Geschäftsführers – Florian Kohler –, mit seinem Kompagnon Carl Pfannenberg die Fabrik. Kohlers Urgroßonkel erfand 1910 das farbige Papier, kam aber leider 1921 bei einem tragischen Maschinenunfall in der Papierfabrik ums Leben. Daraufhin folgte der Neffe Ludwig Wilhelm Kohler, Florian Kohlers Großvater, der eigentlich Theologe und kein Unternehmer war. Dieser begann in den 1920er-Jahren den erfolgreichen Export von Papieren ins Ausland. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Vater von Florian Kohler ans Ruder – und dieser war nach Angaben Kohlers entscheidend für den Erfolg der Firma, denn er modernisierte, vergrößerte und industrialisierte sie in den 1950er-Jahren und machte sie zu dem, was sie heute ist: eine weltweit erfolgreiche, familiengeführte Papierfabrik.

Die mobile Version verlassen