Angst essen Seele auf

Kapitalmarkt-Standpunkt von Kai Jordan, Vorstand der mwb Wertpapierhandelsbank AG

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Wenn die mwb als Wertpapierhandelsbank momentan mit Ihren Kunden spricht, dann schlagen manche die Hände über dem Kopf zusammen. Im Jahr 2022 ist Deutschland angeblich in ein tiefes wirtschaftspolitisches-Loch gefallen. Schlimm ist, dass diese bis in ihre Grundfeste erschütterte Welt eben nicht ausschließlich von außen, sondern auch massiv von innen durch mangelnde Planbarkeit und damit künstlich entwickelte Nicht-Zukunftsfähigkeit bestimmt wird.

KMU schüttelt es gerade durch. Aber die meisten schlagen sich tapfer, obwohl ihre Planungen in den letzten sechs Monaten kräftig durchgerüttelt wurden. Bisher sehen wir am Anleihemarkt nur Unternehmen unter Wasser, die schon vor dieser kumulierten Krise das Wasser bis zur Unterlippe stehen hatten. Wenn 2023 die Konjunktur – spätestens mit dem Ende des Winters – einen Schub bekommen wird, werden die gut aufgestellten Unternehmen wieder prosperieren. Sicherlich werden auch solche KMUs höhere Kupons bei Ihren IBOs zahlen müssen. Dennoch sind die Ängste, die in der Öffentlichkeit geschürt werden, nicht angebracht.

Wir alle lesen, hören und sehen in den letzten Wochen ausschließlich Hiobs-Botschaften in den Medien. Verschiedene Virologen erklären uns, dass wir doch auf die böse Corona-Mutante zu warten haben, die uns alle dahinrafft. Diese Variante wird auch zum Zusammenbruch des Gesundheitssystems führen. Dann sollten wir auch nicht die Grippewelle (!) vergessen, die in dieser Saison schon zwei Monate früher beginnt. Der Kollaps des Gesundheitssystems ist programmiert. Medial werden Hoffnungen auf Besserungen zerstört und durch Ängste ersetzt. Cui Bono?

Der Ukrainekrieg fördert – neben den wirklich relevanten Themen – auch makabre Stilblüten. Wenn mittlerweile Bürgermeister von kleinen Verbandsgemeinden sich bemüßigt fühlen, Listen herauszugeben, was die Bürger im Ernstfall alles im Rucksack bei sich führen sollten und wo bei einem atomaren Zwischenfall Jodtabletten ausgegeben werden, dann werden unnötige Ängste geschürt.

Situation der Nicht-Planbarkeit hemmt Konsum

Wenn die Regierung in der größten Energiekrise nicht wirklich handlungsfähig erscheint – ein Problem. Der Bürger weiß nicht, was auf ihn zukommt. Energiekosten steigen, aber scheinbare Lösungen der Ampelkoalition sind nicht umsetzbar oder realistisch. Faktisch fühlen sich alle im Stich gelassen. Auch der Wirtschaft geht es nicht anders. Nichts ist größeres Gift für ein BIP als Nicht-Planbarkeit. Bei Nicht-Planbarkeit gibt es keinen Konsum. Ohne Konsum keine solide aufgestellten Unternehmen. Jegliche Planrechnungen sind innerhalb weniger Monate obsolet. Was ist der Ursprung? Angst.

Die Inflation ist auf dem Höchststand in Deutschland seit 1951. Weitere Zinserhöhungen der EZB und der Geschäftsbanken stehen vor der Tür. Es gab zwischenzeitlich nur noch Baukredite mit einem Zinssatz von um die 4%. Obwohl die Sätze im ersten Rang schon wieder in Richtung 3,5 gefallen sind, regiert die Angst, dass die Bauzinsen noch steigen. Das mediale Zähneklappern geht in Deutschland um. Dass am Anfang des Jahrtausends der Bauzinssatz noch um die 7% geschwankt ist, wird ausgeblendet. 2008 lag er mit guten Verhandlungen bei knapp über 5%. Im Japanischen werden wir alle nach dem Wort „Krise“ umsonst suchen – es gibt stattdessen nur das Wort „Chance“. Wir sehen doch jetzt schon in den USA ein Sinken der Inflationsrate, aber es ist kaum bestreitbar, dass wir eine Null-Prozent-Inflation in absehbarer Zeit nicht wieder sehen werden. Was läge also näher, als Inflationsschutz zum jetzigen Zeitpunkt Wohneigentum zu erwerben. Ist es also klug, Ängste bei Menschen zu schüren? Zumal weiterhin zu wenig gebaut wird und mit den zu erwartenden Basiseffekten bei den Inflationsraten auch Immobilienkäufer wieder eine solidere Kalkulationsbasis bekommen. Das Jahr 2022 ist schon länger vorbei, da passiert nun nichts mehr. Aber 2023 werden die Karten neu gemischt. Die Engpässe bei den Bauunternehmen mit den preissteigernden Auswirkungen sollten 2023 auch erstmal der Geschichte angehören, sodass der Wettbewerb wieder Gewicht bekommen kann.

Hoffnung für die Märkte

„Um 5,5% legte der S&P 500 zu – stärker sogar als im September 2008 (+5,4%). Historisch kündigten solche Kursanstiege das Ende eines Bärenmarktes an. Wohlgemerkt: mit Ausnahme von 2001 und 2008. Derzeit preist der Markt also klar ein, dass die Fed das Tempo der Zinserhöhungen drosseln wird. Zusätzliche Unterstützung kommt aus China, wo die strikten Null-Covid-Regeln etwas gelockert wurden. Könnte es sich also nach August/September um die nächste Bärenfalle in diesem Jahr handeln oder ist ein Boden gefunden?“ (Platow-Brief) Wir finden, dass das Mitte November die falsche Frage ist. Handelsvolumina gehen normalerweise im November und Dezember immer zurück. Wichtig ist der Start 2023. In der letzten Woche hat der DAX um rund 6% zulegen können. Gut informierte Personen aus dem Umfeld der EZB streuen, dass die nächste Zinserhöhung wohl niedriger als 75 Basispunkte ausfallen wird. Dies wäre ein Fünkchen Hoffnung, ein Signal, für die Märkte und Menschen.

Immobilien, Aktien und ein Stück weit auch gute Anleihen haben eines gemeinsam: Es stehen sich regelmäßig gewisse Werte gegenüber, die zwar vielleicht in den Büchern zu hoch bilanziert sind, die aber real sind. Da kann der Investor ein paar temporäre Kursverluste bei guten Assets doch eher mal verwinden.

FAZIT

Angst essen Seele auf. Die Welt muss sich momentan beweisen. Aber den Optimisten und nicht den Pessimisten gehört die Welt. Die Politik muss einheitliche Richtungen vorgeben, damit sich Wirtschaft und Bürger darauf einstellen können. Das (wirtschaftliche) Leben muss planbar sein. Nur dann heißt es nicht: Angst essen Wirtschaft auf.

Autorenprofil
Kai Jordan

Bis 1998 war Kai Jordan stellvertretender Leiter des Aktienhandels der Commerzbank Frankfurt und später Abteilungsdirektor Equity Capital Markets. Dann wechselte er in den Sektor der Wertpapierfirmen zu einem Frankfurter Finanzdienstleister und begleitete die Entwicklung zu einer erfolgreichen und diversifizierten Wertpapierhandelsbank. 2007 wurde er dort in den Vorstand berufen. Seit August 2016 zeichnet Jordan bei der mwb als Vorstand für den Bereich Corporates & Markets verantwortlich.

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