US-Zollpolitik als Weckruf für Europa?

Globale Unsicherheit bleibt – ökonomische Entscheidungen unter Ungewissheit

US-Zollpolitik verschärft die globale Unsicherheit, weshalb Europas jetzt entschlossen und realistisch reagieren muss.
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Die US-Zollpolitik verschärft die globale Unsicherheit – und offenbart Europas strategische Schwächen. Während Handelskonflikte zunehmen und Investitionen ins Stocken geraten, wächst der Handlungsdruck auf Politik und Unternehmen. Der folgende Beitrag zeigt, warum Europa jetzt entschlossen und realistisch reagieren muss – und weshalb Zölle mehr als nur wirtschaftliche Störfaktoren sind: Sie sind ein Weckruf. 

Der „Global Economy Policy Uncertainty Index“ (www.policyuncertainty.com) lag per zweitem Quartal 2025 bei einem Wert von 450. Zum Vergleich: Langfristig, bis zum Beginn der ersten Präsidentschaft Trumps 2016, fluktuierte der Index um den Wert von 50.

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Europäische Interessen sind nach wie vor heterogen: Frankreich lehnt Zölle auf amerikanischen Whisky ab, weil es Gegenzölle auf französischen Wein befürchtet. Deutschland ist vorsichtig in Bezug auf höhere Zölle auf amerikanische Autos und Motorräder, aus Angst vor US-Gegenmaßnahmen auf deutsche Autos. Spanien und Italien wenden sich traditionell weniger stark von Russland ab als Polen oder Frankreich. Weitere Beispiele finden sich nach Belieben.

Natürlich wissen der amerikanische Präsident und seine Berater, dass Europäer nur in seltenen Fällen mit einer Stimme sprechen, und selbst wenn sie es tun – wie im Falle der vermeintlichen Einigkeit in Bezug auf eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben –, vergeht zwischen Ankündigung und Umsetzung traditionell viel Zeit. Dies alles ist integraler Bestandteil der amerikanischen Verhandlungsstrategie.

Ganz analog verhält es sich mit der Heterogenität der Interessen der USA einerseits und dem Rest der Welt andererseits. Es ist daher aktuell kein Szenario denkbar, in dem sich die globale Unsicherheit kurz- bis mittelfristig spürbar reduziert.

Regel Nummer eins: Ruhe bewahren!

Ja, die US-Administration handelt scheinbar erratisch, und ja, die Zollpolitik schadet den Amerikanern potenziell genauso wie ihren Partnern. Beide Erkenntnisse sind korrekt, jedoch als Basis für politische Entscheidungen als Reaktion auf die amerikanischen Zolldrohungen wertlos. Die Grundannahme, dass man aus europäischer Sicht für mindestens weitere dreieinhalb Jahre mit der aktuellen Administration konfrontiert sein wird, bleibt unberührt.

Erste Eindrücke deuten darauf hin, dass sich für Länder wie Japan oder die Schweiz, die hinter den Kulissen und ohne viel Medienpräsenz mit den Amerikanern verhandeln, eine realistische Chance auf einen erfolgreichen „Deal“ ergibt. Insofern wäre die Politik in Europa gut beraten, sehr entschlossen, aber gleichzeitig faktenorientiert mit den amerikanischen Peers zu verhandeln, ohne dabei allzu sehr auf Symbolik zu setzen.

Ein paralleles Ziel der amerikanischen Seite ist dabei, große europäische Unternehmen davon zu überzeugen, einen Teil ihrer Produktion in die USA zu verlagern – Audi und Porsche, die einzigen deutschen Marken, die bislang nicht in USA oder Mexiko produzieren, erarbeiten derartige Pläne bereits. Mittelständische Unternehmen verfügen innerhalb ihrer jeweiligen Nische oftmals über eine international weit verzweigte Supply Chain.

Regel Nummer zwei: Unsicherheit planen!

War es bis vor Kurzem sinnvoll, ein strategisches Leitbild zu setzen und dieses in eine langfristige Unternehmensplanung zu überführen, so sind heute mehrere Leitbilder als alternative Szenarien zu planen.

Wir entwickeln heute Szenariorechnungen, deren Amplitude zwischen „Best Case“ und „Downside“ beziehungsweise „Worst Case“ deutlich größer ist als noch vor zwei oder drei Jahren. War es früher in Ordnung, für die künftige Umsatzentwicklung eines Unternehmens im Worst Case eine Sensitivität von 3% bis 5% per annum anzunehmen, so würde man heute eher 5% bis 10% annehmen, in einigen Branchen sogar 20%.

Ähnliches gilt für potenzielle Kostensteigerungen im Planungszeitraum: Die extremen Schwankungen der Energiepreise im Post-COVID-Umfeld wird man wohl nicht mehr sehen, aber auch hier sind Schwankungsbreiten von ± 20% bis 30% kein unrealistisches Szenario.

Regel Nummer drei: Entschlossen handeln!

Bis zum heutigen Tag sind in vielen Unternehmen Effizienzsteigerungsprogramme, Kostenreduktionen, Verschlankung von Verwaltungseinheiten, Transformationsprozesse unbeliebt. „Muss man sich um das Unternehmen Sorgen machen?“ lautet eine häufig gestellte Frage. In Wahrheit verhält es sich umgekehrt: „Sorgen machen“ muss sich derjenige, der angesichts sämtlicher oben dargestellter Risikofaktoren weiterhin so tut, als würde eine früher gekannte „Normalität“ jemals wieder einkehren.

Der empirische Befund

Die aktuelle Eight-Advisory-Studie zu den Auswirkungen der Zollpolitik auf die Bewertung von Unternehmen zeigt fünf wesentliche Implikationen:

  • Investitionsunsicherheit
  • Höhere Kosten des Wareneinsatzes
  • Alternative Sourcing-Strategien
  • Zusätzliche Working-Capital-Anforderungen – Vorfinanzierung von Zöllen
  • Druck auf Margen – unvollständige Weitergabe an Kunden möglich

Der volkswirtschaftlich größte Schaden entsteht durch Punkt eins, nämlich die Unsicherheit bezüglich langfristig geltender Regeln im internationalen Handel. Wer jemals mit der Entscheidung über Investitionen in Sachanlagen, Gebäude oder Unternehmenskäufe konfrontiert war, weiß, wie nur kleinste Änderungen der makroökonomischen Einflussfaktoren – Wachstum, Zinsen, Wechselkurse, Energie- und Personalkosten et cetera den Investment Case negativ beeinflussen können.

Der ultimative Korrekturfaktor

Die Gefahr einer anhaltenden Behinderung des weltweiten Handels durch fortgesetzte Zolldrohungen und damit verbundener Wohlstandseinbußen ist real. Ein wesentlicher Faktor, den die US-Administration im Auge behalten muss, ist jedoch ein anderer: die Bondmärkte.

Man hat gesehen, wie sich die Zinsentwicklung für kurzfristige US-Staatsanleihen seit dem Amtsantritt Trumps rasch normalisiert haben. Am langen Ende hingegen werden bis heute spürbare Risikoprämien verlangt.

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FAZIT

  1. Handelskriege und gegenseitige Zölle können veritable Wirtschaftskrisen auslösen. Zwischen 1930 und 1933 ging der internationale Handel als Reaktion auf immer höhere Zölle um 60% zurück – das weltweite BIP nahm im gleichen Zeitraum um 20% ab.
  2. Während im Falle eines anhaltenden Zollkriegs die negativen Folgen für die Weltwirtschaft sowie die international tätigen Unternehmen beträchtlich wären, so ist die Eintrittswahrscheinlichkeit eines langfristigen Szenarios eher gering.
  3. Einen (noch) weitaus größeren volkswirtschaftlichen Schaden würde ein alternatives Szenario auslösen, nämlich eine mögliche Zahlungsbilanzkrise der USA. Die kumulierten Schulden aus dem amerikanischen „Twin Deficit“ (Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizit) belaufen sich mittlerweile auf 33 Bln. USD. Die Worte „Implicit Default“ und „Debt Restructuring“ sind aktuell, erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg, keine Phantome mehr (siehe hierzu Stephen Miran, Chairman Council of Economic Advisers).
  4. Auch dieses Worst-Case-Szenario mag mit einer Wahrscheinlichkeit von nicht mehr als 20% eintreten – gleichwohl verlieren sämtliche Zoll-, Harvard- und DOGE-Diskussionen an Bedeutung, sollte der Bondmarkt die Werthaltigkeit amerikanischer Staatsanleihen ernsthaft infrage stellen.
  5. Unabhängig davon, welches Szenario sich am Ende materialisiert, sollten europäische Unternehmen (wie auch Staaten) die aktuellen weltweiten Entwicklungen als ultimativen „Wake-up Call“ interpretieren – lange hinausgezögerte Integrations- und Effizienzmaßnahmen müssen nun konsequent in Angriff genommen werden. Es gibt bis auf Weiteres keine Friedensdividende mehr, und auch ökonomisch wird man sich in Europa zwischen den großen Blöcken USA und China neu positionieren müssen.

👉 Dieser Beitrag ist auch in unserer Unternehmeredition-Magazinausgabe 2/2025 erschienen.

Autorenprofil
Johannes Steinel

Johannes Steinel, diplomierter Volkswirt, ist Partner bei Eight Advisory, einer unabhängigen europäischen Unternehmensberatung für Transaktionen, Transformationen und Restrukturierungen.

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