Whistleblower-Richtlinie − was müssen Unternehmen beachten?

Unternehmen sollten im eigenen Interesse dafür Sorge tragen und Anreize schaffen, dass das interne Meldesystem in Anspruch genommen wird.
© Daniel Beckemeier

Sturm im Wasserglas oder akuter Handlungsbedarf? Die EU-Whistleblower-Richtlinie hätte eigentlich bis 17. Dezember 2021 umgesetzt werden müssen. Das Gesetzgebungsverfahren ist aber in der letzten Legislaturperiode gescheitert. Müssen (mittelständische) Unternehmen dennoch jetzt schon ein Hinweisgeberschutzsystem in ihrem Unternehmen implementieren? Zumindest mit den Vorbereitungen sollte unmittelbar begonnen werden, denn die Ampelkoalition muss die Richtlinie schnell umsetzen. Hier lesen Sie, was auf die Unternehmen zukommt und worauf sie sich jetzt schon einstellen können.

Bis zum 17. Dezember 2021 hätte die Richtlinie (EU) 2019/1937 („Whistleblower-Richtlinie“) eigentlich in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Das in der vergangenen Legislaturperiode eingeleitete Gesetzgebungsverfahren ist jedoch zunächst gescheitert und die Umsetzungsfrist wurde nicht eingehalten. Während Unternehmen aus dem öffentlichen Sektor dennoch von einer unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie ausgehen müssen und bereits jetzt akuten Handlungsbedarf haben, können private Unternehmen grundsätzlich die Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht abwarten − aber auch hier kann die Richtlinie in Einzelfällen bereits mittelbare Auswirkungen haben. Dementsprechend sollten sich alle Unternehmen schnellstmöglich mit dieser Thematik beschäftigen. Mit der Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht ist zeitnah zu rechnen.

In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die Ampelkoalition klar für einen Schutz von Whistleblowern und für eine „rechtssichere und praktikable“ Umsetzung der Richtlinie ausgesprochen. Es ist sogar davon auszugehen, dass in Deutschland über die Mindestanforderungen der EU-Richtlinie 2019/1937 hinausgegangen wird. So soll das nationale Hinweisgeberschutzgesetz nicht nur bei Meldungen in Bezug auf Verstöße gegen EU-Recht gelten, sondern auch bei Hinweisen „von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt“.

Die genauen Vorgaben des nationalen Hinweisgeberschutzgesetzes sind derzeit noch nicht abschließend bekannt. Allerdings müssen zumindest die Vorgaben der EU-Whistleblower-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden. Daran können sich die Unternehmen schon jetzt orientieren und mit der organisatorischen Umsetzung beginnen.

Welche Unternehmen sind betroffen?

Insbesondere privatwirtschaftliche Unternehmen ab 250 Mitarbeitern oder einem Jahresumsatz von mehr als 10 Mio. EUR müssen sichere interne Meldekanäle vorhalten – die vorgenannte EU-Richtlinie sah dies bereits ab dem 17. Dezember 2021 vor. Daher ist mit einer schnellen Umsetzung der europarechtlichen Vorgaben auszugehen. Ebenso müssen öffentliche Einrichtungen, Behörden und Kommunen ab 10.000 Einwohnern Hinweisgebersysteme einführen − für diese ist bereits jetzt von einer unmittelbaren Geltung der EU-Richtlinie auszugehen.

Privatwirtschaftliche Unternehmen zwischen 50 und 249 Mitarbeitern haben für die Einführung eines Hinweisgebersystems bis Ende 2023 Zeit.

Welche Arten von Hinweisgebersystemen sind möglich?

Bei der genauen Ausgestaltung des Hinweisgebersystems besteht Gestaltungsspielraum. Drei Arten von Hinweisgebersystemen sind möglich:

  • Einrichtung eines unternehmensinternen Briefkastens;
  • Beauftragung eines Rechtsanwalts als Ombudsperson, der entsprechende Hinweise entgegennimmt;
  • Einrichtung eines elektronischen Meldesystems.

Die Meldewege müssen in jedem Fall so ausgestaltet sein, dass die Hinweise in schriftlicher oder mündlicher erfolgen können. Außerdem sollte auf Wunsch des Hinweisgebers auch eine physische Zusammenkunft innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens ermöglicht werden.

In jedem Fall muss die Vertraulichkeit (Anonymität ist nicht vorausgesetzt) des Hinweisgebers gewahrt werden.

Die verschiedenen Meldemöglichkeiten können miteinander kombiniert werden. Welche Lösung favorisiert wird, hängt vom konkreten Einzelfall, u. a. von Größe, Struktur und Weiträumigkeit der Unternehmensorganisation und letztlich davon ab, ob eine fachlich geeignete Person bestimmt werden kann.

Zusätzlich sollte das Hinweisgebersystem auch von Personen außerhalb des Unternehmens genutzt werden können. So sollten die Unternehmen den Meldekanal möglichst so gestalten, dass dieser auch Arbeitnehmern von Geschäftspartnern des Unternehmens bzw. der Unternehmensgruppe sowie Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit von dem Unternehmen Informationen erhalten, offensteht. Hierbei handelt es sich etwa um Leiharbeitnehmer, Organmitglieder und Aktionäre des Unternehmens, Bewerber, Selbstständige bzw. ehemalige Arbeitnehmer.

Neben der Etablierung eines internen Meldesystems müssen die Unternehmen ihren Mitarbeitern als potenziellen Hinweisgebern aber auch verständliche und leicht zugängliche Informationen über die Möglichkeiten externer Meldungen an bestimmte Behörden erteilen.

Anders als bisher hat die interne Meldung keinen Vorrang mehr. Der Hinweisgeber kann entscheiden, ob er Verstöße unternehmensintern meldet oder sich extern an eine Behörde wendet. Unternehmen sollten deshalb im eigenen Interesse dafür Sorge tragen und Anreize schaffen, dass das interne Meldesystem in Anspruch genommen wird.

Welche Meldungen genießen Whistleblower-Schutz?

Gemäß der EU-Richtlinie sind Hinweisgeber zur Meldung von Verstößen berechtigt, die in den Anwendungsbereich der im Anhang aufgeführten Rechtsakte der EU fallen und insbesondere folgende Bereiche betreffen:

  • öffentliches Auftragswesen,
  • Finanzdienstleistungen, Finanzprodukte und Finanzmärkte sowie Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung,
  • Produktsicherheit und -konformität,
  • Verkehrssicherheit,
  • Umweltschutz,
  • Strahlenschutz und kerntechnische Sicherheit,
  • Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Tiergesundheit und Tierschutz,
  • öffentliche Gesundheit,
  • Verbraucherschutz,
  • Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie Sicherheit von Netz- und Informationssystemen.

Whistleblower-Meldung − und dann?

Geht eine Whistleblower-Meldung im Unternehmen ein, ist die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers und Dritter, die in der Meldung erwähnt werden, zu wahren. Unbefugte Mitarbeiter dürfen keinen Zugriff auf die Meldung haben. Nicht erforderlich ist die Etablierung anonymer Hinweisgebersysteme bzw. die Möglichkeit zur anonymen Hinweisabgabe. Dem Hinweisgeber muss der Eingang der Meldung innerhalb von sieben Tagen bestätigt werden.

Die Unternehmen müssen eine unparteiische Person oder Abteilung benennen, die basierend auf den Meldungen Folgemaßnahmen, etwa interne Nachforschungen und Ermittlungen, ergreift. Dabei kann es sich um die gleiche Person oder Abteilung handeln, die Meldungen entgegennimmt. Zudem müssen die Hinweisgeber in einem angemessenen zeitlichen Rahmen, konkret innerhalb von maximal drei Monaten, zu veranlassten Reaktionen auf die Meldung eine Rückmeldung geben.

Die eingehenden Meldungen sind vom Unternehmen zu dokumentieren. Ggf. sollte dem Hinweisgeber die Dokumentation zum Zwecke der Verifizierung vorgelegt werden.

Da es den Hinweisgebern offensteht, den Weg der internen oder externen Meldung zu beschreiten, sollten Unternehmen dringend professionelle interne Strukturen schaffen, um hierdurch Meldungen an externe Stellen zu vermeiden. Nur wenn Hinweisgeber darauf vertrauen können, dass Unternehmen Hinweise ernst nehmen, ihnen sorgfältig nachgehen und Straftaten und Unregelmäßigkeiten aufklären und angemessen sanktionieren, werden sie sich interner Meldestrukturen bedienen.

Schutzwirkung für den Hinweisgeber

Whistleblower genießen nur dann rechtlichen Schutz, wenn ein berechtigter Grund zu der Annahme bestand, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen, in den Anwendungsbereich der Richtlinie fielen und sie diese über die vorgegeben internen oder externen Meldekanäle abgegeben haben. Unter diesen Voraussetzungen verbietet die EU-Whistleblower-Richtlinie jede Form von Repressalien, Diskriminierungen oder Benachteiligungen. Die Hinweisgeber müssen bei einer ordnungsgemäßen Meldung keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen befürchten. Im Falle eines arbeitsrechtlichen Prozesses sieht die Richtlinie eine Beweislastumkehr zugunsten des Hinweisgebers vor. Danach muss der Arbeitgeber beweisen, dass kein Zusammenhang mit der Meldung des Hinweises durch den Arbeitnehmer bestand. Im Übrigen sieht die Richtlinie Sanktionierungen mit zum Teil empfindlichen Geldbußen vor.

Handlungsbedarf − schon jetzt!

Spe­zi­ell für mittelständische Un­ter­neh­men wird die Um­set­zung der Whist­leblo­wer-Richt­li­nie nicht zu un­ter­schätzende Aus­wir­kun­gen haben, da Hin­weis­ge­ber­sys­teme dort bis­her ganz re­gelmäßig noch nicht be­ste­hen. In­so­fern ist es rat­sam, sich frühzei­tig mit der Im­ple­men­tie­rung ei­nes sol­chen Sys­tems aus­ein­an­der zu set­zen und Personen mit den anstehenden Aufgaben zu betrauen. Um einen An­reiz für in­terne Mel­dun­gen zu schaf­fen und hier­durch mögli­chen Rufschädi­gun­gen durch Be­kannt­wer­den even­tueller Missstände vor­zu­beu­gen, soll­ten Un­ter­neh­men möglichst von An­fang an ein trans­pa­ren­tes in­ter­nes Mel­de­sys­tem auf­set­zen und die Mitarbeiter darüber informieren. Flankierend hierzu sollte eine unternehmensinterne Hinweisgeberrichtlinie implementiert bzw. in einen Code of Conduct eingebettet werden.

Mit diesen Maßnahmen sollte möglichst frühzei­tig be­gon­nen wer­den, um ne­ben den tech­ni­schen An­for­de­run­gen auch die recht­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen, etwa mögli­che Mit­be­stim­mungs­rechte des Be­triebs­rats und da­ten­schutz­recht­li­che An­for­de­run­gen, un­mit­tel­bar zu klären.

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Dr. Detlev Heinsius

Dr. Detlev Heinsius, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht und Partner bei Ebner Stolz in Hamburg

Dr. Detlev Heinsius berät Unternehmen und Einzelpersonen in Bereichen des Steuer- und Wirtschaftstrafrechts. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt ist die ganzheitliche Beratung bei geplanten Unternehmensnachfolge aus gesellschafts-, erb- und steuerrechtlicher Sicht.

Autorenprofil
Philipp Külz

Philipp Külz ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Zertifizierter Berater für Steuerstrafrecht (DAA) und Partner bei RSM Ebner Stolz in Köln. Er berät Unternehmen und Führungskräfte in allen Fragen des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt des ehemaligen Staatsanwaltes liegt in der Beratung von Unternehmen bei der Implementierung bzw. Verbesserung von Compliance Management Systemen sowie der Durchführung unternehmensinterner Sonderuntersuchungen.

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