Take-off in ein neues Zeitalter (Sonderausgabe Berlin-Brandenburg)

Blickt man vom 71 Meter hohen Flughafentower in Schönefeld in südöstliche Richtung, erkennt man mit bloßem Auge die weltgrößte freischwebende Traglufthalle des heutigen Wellnesstempels „Tropical Island“. Hier hatte das Land Brandenburg zum ersten Mal Mitte der 90er Jahre hoch angesetzte und tieffliegende Luftfahrtpläne mit der Cargolifter AG gehegt. Moderne Luftschiffe wollte der Visionär Carl Heinrich von Gablenz in der märkischen Heide bauen. Trotz Börsengang misslang das Unterfangen. Ein Umnutzungskonzept einer malaysischen Aktiengesellschaft lässt das Gebäude heute als Tropenparadies täglich zahlreiche Touristen anlocken.

10.000 Komparsen für den Testbetrieb
Nur zehn Jahre später schreiben die Länder Berlin und Brandenburg wesentlich erfolgreicher Luftfahrtgeschichte, und das nicht nur deutschlandweit. Der neue Single-Airport mit dem Kürzel BER ist namentlich dem früheren Regierenden Bürgermeister von Berlin und späteren Bundeskanzler Willi Brandt gewidmet. Am späten Abend des 2. Juni 2012 landet die letzte Maschine auf dem Stadtflughafen Berlin-Tegel, ab 6 Uhr morgens starten die Flieger vom neuen Großflughafen. Bereits im Februar 2012 sind die Einheimischen als erste dabei. Mehr als 18.000 Berliner und Brandenburger testen als Komparsen den Flugbetrieb am Boden vom Check-in bis zum Kofferband. 10.000 Freiwillige dürfen dann live in der heißen Testphase mit dabei sein. Das größte Infrastrukturprojekt der letzten Jahre mit einem Bauvolumen von knapp 3 Mrd. EUR soll der Region den ultimativen Aufschwung bringen. Die anfängliche jährliche Startkapazität von 27 Millionen Passagieren kann je nach Kapazitätsentwicklung auf bis zu 45 Millionen Passagiere ausgebaut werden. Damit ist der Großflughafen „Willy Brandt“ der Jobmotor für die Hauptstadtregion. Nach einer Studie des Kölner Verkehrswissenschaftlers Prof. Herbert Baum liegt der zu erwartende Gesamtbeschäftigungseffekt 2012 bei 73.000 Arbeitsplätzen. Zwischen 2006 und 2009 entstanden allein durch den Flughafen täglich zwei neue Arbeitsplätze.

Die Nummer drei der deutschen Luft-und Raumfahrtbranche
Die Region sieht sich damit auf dem Weg zum dritten bedeutenden Standort der Luft- und Raumfahrtindustrie in Deutschland nach Hamburg und München und vor Frankfurt/Main. Am Flughafen selbst arbeiten 18.000 Menschen; die Münchner MTU Aero Engines, der Turbinenhersteller Rolls-Royce Deutschland Ltd & Co KG sowie rund 60 mittelständische Betriebe sowie 15 Hochschulen und Institute mit luft- und raumfahrtrelevanten Schwerpunkten bilden den Kern dieses Standortes. Das sorgt für neues Investitionsinteresse bei den Airlines. Seit 2006 sind nach den Worten von Flughafenchef Rainer Schwarz 13 neue Langstreckenverbindungen entstanden, die es vorher dort nicht gab, unter anderem nach Peking und Bangkok. „Die Aufnahme einer neuen Langstreckenverbindung stellt für eine Airline immerhin eine Investition in Höhe von 100 Mio. EUR dar“, so Schwarz. Auch die Lufthansa hat ihr stärkstes Expansionsvolumen am Standort Berlin u.a. in Form von sechs neuen zusätzlichen Maschinen stationiert. Doch Zuwachsraten ergeben sich vor allem durch die zusätzlichen Umsteigemöglichkeiten. Air Berlin etwa wird von Schönefeld aus den polnischen Markt erschließen – Grundlage für eine Direktverbindung nach Chicago, wo weltweit die meisten Polen außerhalb ihres Landes leben. Weitere ausländische Fluggesellschaften sind in der Wartestellung.

Hauptbahnhof partizipiert von Umfeldentwicklung
Derweil wird an der Entwicklung des Umfeldes mit Hochdruck gearbeitet. 34 Standorte für Gewerbe- und Immobilienentwicklung hat die airport region berlin brandenburg GmbH, eine gemeinsame Gesellschaft der Zukunftsagentur Brandenburg und Berlin Partner, ausgewiesen. „Wir orientieren uns dabei an Städten wie Paris, die einen sogenannten Airport-Korridor für die Erschließung des Flughafen-Umfeldes konzipiert haben“, sagt Ulrike Soltani vom Investor Service der airport region. Ebenso wie in der französischen Metropole reicht das Flächenangebot bis in die Innenstadt. Vom Boom rund um den Flughafen soll somit auch der 2006 eröffnete neue Berliner Hauptbahnhof partizipieren, dessen Umfeld bis zum heutigen Tag noch nicht vollständig erschlossen ist. „Das Gebiet, wo wir Flächen anbieten, befindet sich im Umkreis von 30 Kilometern oder ist in dreißig Minuten bequem zu erreichen“, so Ulrike Soltani. Vor allem für Logistikunternehmen ist im brandenburgischen Umland des Flughafens reichlich Fläche vorhanden.

Neues Messegelände am Flughafen
Knapp 27 Mio. EUR investieren die Messe Berlin und die Zukunftsagentur Brandenburg im Rahmen eines Gemeinschaftsunternehmens in das neue Messegelände der Schönefelder Nachbargemeinde Selchow, um im September 2012 planmäßig die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) stattfinden zu lassen. „Auf dem Berlin ExpoCenter Airport mit einer Größe von 250.000 m² sollen dann auch andere thematische Messen stattfinden“, so Messegeschäftsführer Raimond Hosch. Unmittelbar nach der Eröffnung startet dann bereits Anfang Juli die Modemesse Panorama. Gespannt warten auch deutsche und internationale Immobilienentwickler auf den Start des neuen Flughafens. Knapp 1 Mrd. EUR sollen in das Projekt Gatelands fließen, ein Gelände von 84.000 m², das die Hessische Landesbank (Helaba) über ihre Tochtergesellschaft OFB Projektentwicklungsgesellschaft GmbH gemeinsam mit dem Darmstädter Entwicklungsbüro Kolb + Partner konzipiert. Das Gelände mit seinen 18 Baufeldern soll bis spätestens 2020 fertig sein, doch, so OFB-Geschäftsführer Wolfgang Brost: „Wir haben nichts dagegen, wenn es schneller geht.“ Flughafenaffine Dienstleister, Zuliefererfirmen, aber auch große Unternehmensberatungsgesellschaften kann sich Brost als Mieter vorstellen. „Auch der Erwerb eines Grundstücks ist möglich.“ Doch die Entwicklung des Geländes geht hier wie anderswo noch relativ ruhig vonstatten. „Das ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass erst 60% der Flächen vermietet sein müssen, bevor mit dem Bau begonnen wird. Leerstand produziert heute keiner mehr.“ Seit April 2011 hat Brost deshalb den weltweit agierenden Immobilienvermieter Jones Lang LaSalle (JLL) mit der Mietersuche beauftragt. „Der Großteil der Wirtschaft will erst sehen, wie sich der Flughafen nach seiner Eröffnung entwickelt“, so Jan Hübler, Teamleiter im Berliner Büro von JLL. „Wir haben zwar die Umfeldentwicklungen an den Flughäfen in München, Düsseldorf und anderswo begleitet, aber hier betreten wir komplettes Neuland. Es gibt noch keine gewachsene Urbanität.“

Ansiedlung von Chipproduzenten denkbar
Weitaus optimistischer geht da Michael Saddai von German Real Estate Consultants (GREC) an die Sache heran. Für den irischen Investor Ulic McEvaddy, dessen Unternehmen führend mit der Luftbetankung von Flugzeugen auf dem internationalen Markt aktiv ist, entwickelt Saddai auf rund 550.000 m² Grundstücksfläche den Hawdrige Airportpark. „Man wird uns wohl die Tür einrennen. Schließlich haben wir eine exzellente Verkehrsanbindung durch die Autobahn und den Nahverkehr.“ Saddai sieht hier nahezu unbegrenzte Möglichkeiten für die Investoren. „Wir brauchen hier beispielsweise kurzfristig 1.600 neue Wohnungen für Flughafenpersonal und Dienstleister. Die Hälfte davon könnte auf unseren Grundstücken gebaut werden.“ Die Mischform von Wohnen und Arbeiten lässt nahezu alles zu. Auf dem Gelände des irischen Investors hat inzwischen der Dienstleister SkyCatering seine Produktionsstätte auf 15.000 m² errichtet, um die täglich im Flugbetrieb benötigten 150.000 Essensportionen herzustellen. Das geplante Omega-Haus soll bereits Flächen ab 200 m² für kleinere Unternehmen bereitstellen. „Eine Chance für junge Unternehmen.“ Doch selbst die Ansiedlung von Chipproduzenten oder Pharmaunternehmen hält Michael Saddai an seinem Standort für möglich. „Forschung, Medien, Dienstleistungen – wir suchen hier am Standort Unternehmen, die nach vorn denken.“

IHK Cottbus als Anlaufstelle für Investoren und Aufträge
Das ist auch erforderlich. Rund 18 Monate wird es dauern, bis die Gebäude bezugsfertig sind. Die schnelle strategische Entscheidung könnte sich für die Unternehmen lohnen. Noch sind die Mietpreise ab 12 EUR aufwärts moderat. Aber noch ein weiteres Kriterium spielt eine Rolle: Im brandenburgischen liegt der Gewerbesteuerhebesatz um die Hälfte niedriger als in Berlin. Wer sich am Flughafen ansiedelt will, sollte zunächst einmal 130 Kilometer südlich nach Cottbus schauen. Der neue Großflughafen liegt komplett auf brandenburgischem Territorium und fällt damit in die Zuständigkeit der IHK Cottbus. Dort kümmert man sich um die Auftragsvergabe für künftige Projekte rund um den Flughafen und legt großen Wert darauf, dass die Aufträge zu mindestens 60% an die Unternehmen der Hauptstadtregion vergeben werden. Der dortige IHK-Präsident Dr. Wolfgang Krüger will für potenzielle Flughafeninteressenten gemeinsam mit der airport region GmbH die Anlaufstelle für den Flughafen sein: „Wir unterstützen die Investoren in allen Belangen – von der Erteilung notwendiger Genehmigungen bis zur Aus- und Weiterbildung der benötigten Fachkräfte.“

Fazit:
Der neue Großflughafen „Willy Brandt“ wird der gesamten Hauptstadtregion einen gewaltigen Schub bringen im nationalen und internationalen Standing. Auch wenn es im Bereich der Umlandentwicklung nach außen hin noch etwas ruhig wirkt, der Run auf die 1a-Büro- und Gewerbeflächen hat bereits begonnen. Je früher man sich für ein wirtschaftliches Engagement am neuen Flughafen entscheidet, umso besser sind Auswahl und Startbedingungen.

Solvig Wehsener, Torsten Holler
redaktion@unternehmeredition.de

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