Sanieren ist nicht unmenschlich – sondern unternehmerisch!

Sanierung beginnt dann, wenn erste strukturelle Unwuchten erkennbar sind, wochbei aber viele HR-Abteilungen wegschauen.
Foto: © AdobeStock_Goss

Sanierung hat ein Imageproblem. Sobald das Wort fällt, wird es eng im Raum. Es wird leise, defensiv, manchmal sogar moralisch aufgeladen. Plötzlich ist von „sozialer Kälte“ die Rede, von „Entmenschlichung“ oder von „Kahlschlag“. HR-Teams geraten unter Druck, sich entweder schützend vor die Belegschaft zu stellen – oder ganz aus den Prozessen herauszuhalten. Beides ist falsch.

Denn: Sanierung ist kein Zeichen des Scheiterns. Sie ist unternehmerische Verantwortung. Wer sich davor drückt, rettet keine Jobs – sondern gefährdet alle. Denn eine nicht sanierte Organisation wird irgendwann zur insolventen Organisation. Und mit ihr fallen nicht nur Arbeitsplätze weg, sondern ganze wirtschaftliche Ökosysteme. In Restrukturierungsdebatten wird oft so getan, als würde soziale Verantwortung nur für die Stammbelegschaft gelten. Doch was ist mit den Werkvertragspartnern? Den Zeitarbeitsfirmen? Den Reinigungsdiensten, die jeden Tag um vier Uhr morgens das Gebäude vorbereiten?

Wer glaubt, unternehmerische Verantwortung bestehe darin, „alle Mitarbeitenden zu halten“, denkt zu kurz. Verantwortung heißt, die Organisation zu erhalten – nicht nur ihre Köpfe. Das mag unbequem klingen. Aber es ist ehrlich. Und es ist notwendig. Denn es schützt nicht nur Arbeitsplätze, sondern das Unternehmen selbst. Soziale Verantwortung von Unternehmen bedeutet nicht, jede Stelle halten zu müssen. Es bedeutet, das Gesamtbild im Auge zu behalten.

Sanierung ist Prävention – nicht Schadensbegrenzung

Idealerweise beginnt Sanierung nicht erst, wenn die Hütte brennt. Sie beginnt dann, wenn erste strukturelle Unwuchten erkennbar sind: zu hohe Fixkosten, zu geringe Marge, dysfunktionale Strukturen, steigende Fehlzeiten. Doch was sich in vielen HR-Abteilungen beobachten lässt: Es wird weggesehen. Schmerztabletten statt Wurzelbehandlung. Noch ein Workshop, noch ein Feelgood-Format, noch eine agile Arbeitsgruppe. Und was vorher noch als kleines Loch im Zahn einfach behandelbar wäre, wird zum Abszess.

Gerade HR tut sich oft schwer damit, frühzeitig mit klaren Maßnahmen gegenzusteuern – aus Angst, unangenehm zu sein. Doch genau darin liegt die Verantwortung: nicht abzuwarten, bis alles kollabiert, sondern mit klarem Blick zu handeln. Wer es ernst meint mit Verantwortung, handelt, solange noch Handlungsspielräume bestehen. Das ist rational und fairer gegenüber allen Betroffenen.

Klarheit ist der größte Respekt

Viele HR-Abteilungen scheuen sich davor, unbequeme Gespräche zu führen. Besonders, wenn es darum geht, sich von Mitarbeitern zu trennen, für die es schlicht keine passende Position mehr gibt. Doch ist es wirklich respektvoller, Menschen in Strukturen zu halten, die sie frustrieren – oder die wirtschaftlich nicht mehr tragbar sind? Ist es wirklich sozial, Teams mit destruktiven Charakteren zu belasten, um einen Kündigungsgrund zu vermeiden?

Nein! Es ist konfliktscheu. Und langfristig schädlich. Wahrer Respekt zeigt sich in Klarheit: in einer sauberen Trennung, in einem fairen Angebot, in einer ehrlichen Auseinandersetzung. Auch das gehört zur sozialen Verantwortung von HR – nicht nur das Halten, sondern auch das Loslassen. Und zwar ohne Melodram, ohne Scham, ohne falsches Heldentum. Wenn Mitarbeitende genau wissen, wie ihre aktuelle Position im Unternehmen eingeschätzt wird und ob es Entwicklungsperspektiven für sie gibt oder nicht, können sie ihre eigene Zukunft besser einschätzen und gezielter planen.

HR muss raus aus der Kuschelecke!

Sanierung beginnt dann, wenn erste strukturelle Unwuchten erkennbar sind, wochbei aber viele HR-Abteilungen wegschauen.
Foto: © AdobeStock_SewcreamStudio

Einer der häufigsten Fehler in Sanierungsphasen ist die Verwechslung von Fürsorge mit Verdrängung. HR versteht sich zu oft als moralischer Kompass statt als unternehmerischer Partner auf C-Level. Man verhandelt noch ein Seminar, noch ein Benefit, noch ein Yogaprogramm – während das Unternehmen längst in Schieflage ist. Und wundert sich dann, warum man von Geschäftsführung nicht ernst genommen wird.

Aber: Wer zum Beispiel überdachte Fahrradständer vor dem Büro plant, während der Cashflow brennt, gehört nicht an den Entscheidungstisch. Führung entsteht nicht durch gute Absichten. Sie entsteht durch Verantwortungsbewusstsein, Überblick und Prioritätensetzung. HR muss liefern, nicht gefallen. Es muss Klartext sprechen, nicht Stimmungen abfangen. Und es muss bereit sein, die Realität anzuerkennen – auch wenn sie weh tut.

Präventive Sanierung ist die beste Sanierung

Die beste Restrukturierung ist die, die man gar nicht so nennen muss. Weil sie früh beginnt. Weil sie systematisch geführt wird. Mit Gehaltsdisziplin. Mit realistischen Zielvereinbarungen. Mit Performance-Management, das auch Konsequenzen kennt. Wer das alles aufschiebt, bis „es nicht mehr anders geht“, verliert Handlungsspielraum und Glaubwürdigkeit.

Dazu gehört auch die Bereitschaft, sich gegen überhöhte Gehaltsforderungen zu stellen. Nur weil jemand am Markt teuer ist, heißt das nicht, dass man ihn sich leisten muss. Auch das ist Teil der wirtschaftlichen Verantwortung. Man muss kein Bio-Brot kaufen, wenn man Aldi-Budget hat. Und seien wir ehrlich: Satt macht beides.

HR ist kein Ersatz für Loyalität – aber Teil unternehmerischer Stabilität

Organisationen sind keine Familien. Sie sind keine Ehen. Sie schulden niemandem lebenslange Bindung. Loyalität ist zwischen Menschen möglich, nicht zwischen Mensch und System. Und deshalb ist es auch kein Verrat, wenn sich Wege trennen. Es ist unternehmerische Notwendigkeit. Irgendein Geschäftsführer meinte mal passend: „Mein Unternehmen ist kein Gefängnis. Man kann jederzeit gehen.“

Was HR leisten muss, ist Stabilisierung, nicht emotionale Begleitung. Systemisches Denken statt Individualbetreuung. Klarheit über das, was möglich ist und das, was nicht mehr geht. Wenn Geld fehlt, fehlt es. Wenn das Unternehmen schrumpfen muss, muss es das. Und dann ist es Aufgabe von HR, diese Realität zu begleiten und nicht zu verdrängen!

HR braucht Führung – nicht Zustimmung

Am Ende steht die Frage: Wie sieht sich HR selbst? Als Kontrollinstanz? Als Moderatorin? Oder als Führungskraft im System? Wer glaubt, seine Aufgabe sei es, Entscheidungen immer zum Wohle aller zu hinterfragen, statt mitzutragen, verliert Anschluss und Wirkung. HR muss wissen, was gespielt wird. HR muss die Zahlen kennen, die Zusammenhänge verstehen, die Strategie mittragen. Und wenn der CFO oder CEO abends ins Büro kommt und sagt: „Wir müssen reden“ – dann sollte HR nicht schockiert sein, sondern vorbereitet!

Gute HR-Arbeit zeigt sich genau in diesen Momenten. Wenn man weiß, was Sache ist. Wenn man Lösungswege parat hat. Wenn man nicht überrascht, sondern souverän reagiert. Doch das gelingt nur, wenn die HR-Verantwortlichen nicht auf der Kuschelcouch sitzen, sondern an der Seite der Geschäftsführung. Als Mitverantwortliche. Als strategische Partner. Als Teil der Führung.

Fazit: Sanieren heißt führen – und HR ist dafür mitverantwortlich

Sanierung ist kein kalter Akt. Sie ist kein Zeichen von Schwäche. Sie ist Ausdruck von Führung. Und HR muss Teil dieser Führung sein. Nicht als juristischer Stolperstein, nicht als moralisches Gewissen, sondern als Mitgestalterin eines überlebensfähigen Unternehmens. Diese Verantwortung beginnt weit vor dem ersten Abbaugespräch. Sie beginnt mit Klarheit, Disziplin, Nähe zum Business und der Bereitschaft, auch Nein zu sagen. Nicht zu den Menschen – sondern zu Illusionen, zu Verdrängung, zu unrealistischen Wunschbildern. Sanieren ist nicht unmenschlich. Es ist der ernsthafte Versuch, das Überleben zu sichern. Und es ist höchste Zeit, dass HR den Mut aufbringt, diesen Versuch mit aller Konsequenz mitzutragen!

Autorenprofil
Susanne Krüger-Lampe

Susanne Krüger-Lampe ist Expertin für die Neuausrichtung administrativer HR-Abteilungen. Ihr Schwerpunkt liegt auf Restrukturierung, Transformation und Change – besonders in herausfordernden Führungssituationen. Ihre Erfahrung zeigt: Veränderungen müssen nicht weichgespült, sondern klar gestaltet werden. Ihr Ansatz lautet: unangenehme Entscheidungen verständlich machen und wirksam umsetzen.

Mehr Infos: LinkedIn

Vorheriger ArtikelOut now! Special „Mitarbeiterbeteiligung 2025“
Nächster ArtikelCarrier übernimmt AddVolt S.A.