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Zwischen Boom und Bust

Unsicherheit über politische Entwicklungen, aber auch über die Auswirkungen disruptiver Technologien prägen die Weltwirtschaft. Das macht M&A-Deals derzeit riskant, bietet aber insbesondere dem deutschen Mittelstand einzigartige Chancen.

Die Eskalation der Unsicherheiten im Jahresverlauf fügt sich nicht mehr in den normalen Rahmen: Was eben noch sicher und überschaubar war, wandelt sich, und es scheint keine Gewissheiten mehr zu geben – sicher ist nur noch die Unsicherheit. Dass der deutsche M&A-Markt dennoch nicht an Fahrt verliert, lässt darauf schließen, dass die Akteure die allgemeine Ungewissheit inzwischen als neue Normalität ansehen.

Schützen und zupacken

Der beschleunigte digitale Wandel wird dem M&A-Markt einen starken Schub geben. Insbesondere der deutsche Mittelstand ist branchenübergreifend davon betroffen. In nie dagewesener Geschwindigkeit entstehen und verbreiten sich technische Innovationen als zentrale Treiber der Digitalisierung: künstliche Intelligenz, Internet of Things, Robotik, Big Data Analytics, Cloud Computing, 3-D-Druck und Social Networking. Der Umgang mit Daten wird zu einem zentralen Erfolgsfaktor. Alte, bewährte Geschäftsmodelle stehen infrage, neue müssen erdacht werden, um im globalen Wettbewerb zu bestehen. Unternehmen, die die Digitalisierung versäumen, gefährden damit ihre Existenz, selbst wenn sie heute Weltmarktführer in ihrem Bereich sind.

Unternehmen versuchen, ihr traditionelles Geschäft vor disruptiven Innovationen zu schützen und gleichzeitig die Chancen zu ergreifen, die ihnen neue technologische Möglichkeiten bieten. Diese Dynamik zwingt Unternehmen, innovationsgetriebenes Wachstum durch M&A zu erschließen. Deutsche Unternehmen beschleunigen den Ausbau digitaler Geschäftsmodelle, indem sie innovative Technologien und Firmen erwerben. So hat sich M&A zu einem wirkungsvollen strategischen Mittel entwickelt, um Wachstumschancen zu nutzen. 2016 investierten Unternehmen weltweit 291 Mrd. US-Dollar in M&A-Deals, die im Zusammenhang mit disruptiven Innovationen standen – und damit vier Mal so viel wie 2012.

Innovation durch kleine strategische Deals

Als wesentlicher Faktor der Innovationsstrategie vieler Unternehmen hat sich dabei Corporate Venturing erwiesen, das sich auch in Deutschland mit enormem Tempo entwickelt. Nicht nur zahlreiche Konzerne, sondern auch viele Mittelständler haben sehr aktive Wagniskapital-Einheiten gegründet, die sich auf Small- und Mid-Cap-Transaktionen konzentrieren. Gleichzeitig entstehen immer mehr Allianzen und Netzwerke. Entsprechend sind künftig viele kleinere strategische Deals zu erwarten, die neue Marktangebote schaffen, den Wettbewerb verändern und unterschiedliche Branchen zusammenwachsen lassen.

Unsicherheit über politische Entwicklungen, aber auch über die Auswirkungen disruptiver Technologien prägen die Weltwirtschaft. Das macht M&A-Deals derzeit riskant, bietet aber insbesondere dem deutschen Mittelstand einzigartige Chancen.

Ausverkauf der deutschen Wirtschaft?

Deutschland ist hochattraktiv und das beliebteste Ziel in Europa für ausländische Investoren, insbesondere aus den USA, UK und China. Aixtron, Kuka oder Osram zeigen: Chinesische Investoren nehmen viel Geld in die Hand, um sich bei deutschen Unternehmen einzukaufen. Sie streben nach der Marktführerschaft bei Themen wie etwa Robotik und suchen internationale Präsenz, da die eigene Wirtschaft abflaut. In Deutschland finden sie stabile Rahmenbedingungen, eine gute Binnenkonjunktur mit Zugang zum europäischen Markt, qualifizierte Arbeitskräfte, Technologieführerschaft und das Qualitätsversprechen „Made in Germany“. So sind bei Zukäufen chinesischer Investoren 2016 nahezu 13 Mrd. US-Dollar auf Deutschland entfallen – mehr als in den vergangenen zehn Jahren zusammengerechnet. Auch wenn die Transaktionstätigkeit seit November letzten Jahres aufgrund der Kapitalverkehrskontrollen der chinesischen Regierung deutlich zurückgegangen ist, wird sich der Trend fortsetzen. Beäugten deutsche Unternehmen Investoren aus China in der Vergangenheit oft skeptisch, so sind sie heute gern gesehen: Investoren aus dem Reich der Mitte lassen den deutschen Unternehmen oft wesentlich mehr Freiheiten als z.B. US-Investoren.

Obwohl selbst die Übernahme eines Dax-Unternehmens durch einen ausländischen Investor in Zukunft nicht auszuschließen ist, liegt der Schwerpunkt der Transaktionstätigkeit auf dem Small- und Mid-Cap-Bereich. Für den Mittelstand ist das eine gute Nachricht. Denn viele vor allem familiengeführte Unternehmen sind auf der Suche nach Investoren, um zum Beispiel die Firmennachfolge zu regeln oder Geld für weiteres Wachstum zu bekommen.

Private Equity – Wohin mit dem Geld?

Finanzinvestoren schwimmen in Geld. Das Dry Powder hat sich mittlerweile weltweit auf schwindelerregende 530 Mrd. US-Dollar erhöht – allein 2016 wuchs der Betrag um 13 Prozent. Kein Wunder, dass der Wettbewerb um die relativ wenigen attraktiven Deals zu stark steigenden Preisen für die Objekte der Begierde führt. Doch es lassen sich immer weniger attraktive Übernahmeobjekte finden, und die Einstiegspreise steigen.

Unsicherheit über politische Entwicklungen, aber auch über die Auswirkungen disruptiver Technologien prägen die Weltwirtschaft. Das macht M&A-Deals derzeit riskant, bietet aber insbesondere dem deutschen Mittelstand einzigartige Chancen.

Entsprechend sind Private-Equity-Investoren mit den Einstiegspreisen unzufrieden. Hinzu kommt, dass PE-Fonds heute immer stärker mit den Family Offices konkurrieren. Die neue Konkurrenz punktet im deutschen Mittelstand mit dem Versprechen als langfristiger Partner, während angelsächsische PE-Investoren meist nach nur drei oder vier Jahren wieder aussteigen. Gleichzeitig wächst die Zahl der Venture-Capital-Einheiten sowie Pensionskassen und Versorgungswerke, die direkt investieren wollen. Trotz drängender Nachfolgefragen wissen viele deutsche Unternehmer in der aktuellen Niedrigzinsphase nicht, wie sie den Verkaufserlös sinnvoll anlegen sollen. Deshalb halten sie sich mit dem Verkauf ihrer Firmen zurück. Transaktionen bis 100 Mio. Euro Transaktionsvolumen – zum größten Teil Familienunternehmen – stellen das am stärksten wachsende Segment dar.

Viele Deals werden sich nicht rechnen

Hunderte von Fonds halten im Moment hohe dreistellige Millionenbeträge für Transaktionen bereit. Damit schließen sie heute Deals ab, von denen sich bei steigenden Zinsen und einer abkühlenden Konjunktur viele nicht mehr rechnen werden. Gemessen an den Kaufpreisen im Verhältnis zu den operativen Jahresergebnissen der übernommenen Firmen bewegen sich die Bewertungen heute auf dem höchsten Stand seit zehn Jahren: Unternehmen in begehrten Branchen wie z.B. Robotik oder KI sind Finanzinvestoren mehr als das Zehnfache des jährlichen EBIT wert. Gerade bei Unternehmen, die zum dritten oder vierten Mal von einem Finanzinvestor an den nächsten weitergereicht werden, wächst die Gefahr von Fehlschlägen.

Gleichung mit vielen Unbekannten

Trotz erheblicher politischer Unwägbarkeiten bleibt der M&A-Markt hochdynamisch. Die stark kompetitive Wettbewerbssituation zwischen den potenziellen Investoren hat kontinuierlich steigende Bewertungsniveaus zur Folge. Der turbulente Übernahmeversuch beim Arzneimittelhersteller Stada zeigt, wie die Private-Equity-Häuser Bain und Cinven in einem Bietergefecht den Preis um ein lukratives Unternehmen hochgetrieben haben. Die Zeiten sind weiterhin unruhig. Auch in der zweiten Jahreshälfte 2017 werden M&A-Deals eine Gleichung mit vielen Unbekannten bleiben.


Zur Person:

Prof. Dr. Philipp Haberstock ist Professor für Strategisches Management und Finance an der International School of Management (ISM) in Hamburg und Partner der Steinbeis Consulting Mergers & Acquisitions GmbH. Seine Schwerpunkte sind Investmentbanking, Strategieberatung und Unternehmensentwicklung.

www.ism.de

 

 

 

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