Website-Icon Unternehmeredition.de

„Die EZB erkauft sich eine teure Ruhe“

Ob Euro-Rettung, das weitere Funktionieren des Sozialstaats oder Bildungspolitik – neben einem Eintreten für marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen hat sich der Bundesverband „Die Jungen Unternehmer – BJU“ das Kämpfen für die Belange der jüngeren Generation Deutschlands auf die Fahnen geschrieben. Vorbild ist dabei solides Wirtschaften in der Tradition von Familienunternehmern. Während der Jahresversammlung 2012 gab Marie-Christine Ostermann, bis November dieses Jahres Bundesvorsitzende des Verbandes, Einblicke in die brennendsten Fragen der Zeit.

Bei seinem diesjährigen Jahrestreffen verlieh der Verband “Die Jungen Unternehmer – BJU” zum ersten Mal einen Preis der Generationengerechtigkeit. Bild: Die Jungen Unternehmer/Anne Kreuz

Unternehmeredition: Frau Ostermann, ein Kernanliegen Ihres Verbandes ist der finanzielle Ausgleich zwischen Versorgungsleistungen und Absicherungssystemen der Politik und der jüngeren Generation, die das alles nicht mehr alleine tragen kann. Welches Fazit ziehen Sie nach der heutigen Veranstaltung?

Ostermann:
Ich bin sehr zufrieden mit dem heutigen Tag. Ich habe den Eindruck, dass wir viele junge Leute erneut für das Thema sensibilisieren konnten, auch durch eine Studie, die wir zeitgleich zum Kongress veröffentlicht haben. Diese besagt, dass sich 82% der Bevölkerung sehr um das Thema Generationengerechtigkeit sorgt, gleichzeitig wissen nur 6% der Bevölkerung, wie hoch der tatsächliche Schuldenstand Deutschlands ist.

Unternehmeredition: In Zeiten ungelöster Euro-Staatsschuldenkrise ist es politisch momentan eher unpopulär, gegen immer weitere Hilfsmaßnahmen und somit gegen eine – zunächst stattfindende – weitere Schuldenbelastung jüngerer Generationen einzutreten. Wie soll es demnächst weitergehen? Brauchen wir eine neue Diskussion darüber, was Europa leisten kann und soll und wie die Verantwortung der einzelnen Mitgliedsländer aussieht?


Ostermann:
Diese Diskussion ist auf jeden Fall dringend notwendig. Auch wenn es in einer Demokratie immer um Mehrheiten geht, ist es dennoch wichtig, die einzelnen Standpunkte zu diskutieren. Gerade in einem Vielvölkerverbund wie Europa gibt es naturgemäß sehr viele Meinungen. Hier ist es ist wichtig, auch offen für andere Stimmen zu sein und die Formulierung, dass etwas alternativlos sei, stets zu hinterfragen. Den momentan eingeschlagenen Kurs einer Vergemeinschaftung der Schulden halte ich persönlich für den falschen Weg. Meines Erachtens ist es nie zu spät, Alternativen einzuleiten. Die Position unseres Verbandes ist, dass solidarisches Verhalten gegenüber Mitgliederländern durchaus gegeben sein soll, aber eben immer in Verbindung mit Gläubigerbeteiligung. Dass dieses Prinzip von Familienunternehmen – die Verbindung von Risiko und Haftung – in der Praxis sehr gut funktioniert, kann man täglich sehen, weswegen wir eine sehr pragmatische, in der deutschen Wirtschaft real existierende Position vertreten. Warum soll das, was für einzelne Unternehmer gilt, nicht auch für Politiker, Banken und andere Staaten gelten?

Unternehmeredition: Wie kann dieses deutsche Erfolgsmodell erfolgreich in andere Länder Europas exportiert werden?


Ostermann:
Das Wichtigste ist, dass betroffene Länder in Europa realisieren, dass sie Reformen brauchen. Damit diese aber wirklich eingeleitet werden, muss den Ländern klar sein, es wird keine Euro-Bonds geben, auch keinen unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen und keine unbegrenzten Rettungsschirme. Die Länder müssen wissen, dass sie für sich selbst verantwortlich sind. Ich denke, nur durch diese Botschaft kann ein breiter gesellschaftlicher Reformwille entstehen.

Unternehmeredition: An welche Reformen denken Sie dabei konkret?

Ostermann:
Mit Reformen meine ich nicht, immer neue Kredite aufzunehmen, was die Schulden nur auftürmt und die Lage noch verschlimmert. Und natürlich sollten die Regierungen nicht nur einseitig sparen oder bequem die Steuern weiter erhöhen, was die Wirtschaft nur weiter abwürgen würde. Die Krisenstaaten brauchen neben der Konsolidierung der staatlichen Ausgaben Reformen, die gleichzeitig für mehr Wachstum sorgen, z.B. eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. In Spanien herrscht momentan eine Jugendarbeitslosigkeit von über 50%, da ältere Arbeitnehmer unkündbar sind und junge Leute daher kaum eingestellt werden. Wenn Sie in Italien jemand entlassen müssen, ist das Verfahren sehr langwierig, oft willkürlich und für den Arbeitgeber am Ende sehr teuer. Das motiviert niemanden, Arbeitsplätze zu schaffen. Hier würde die Einführung entsprechender Strukturreformen kein Geld kosten, nach relativ kurzer Zeit aber einen unglaublichen Wachstumsschub entfachen. Wenn Unternehmer gute Rahmenbedingungen haben, können sie wettbewerbsfähig ihre Leistungen anbieten. Dann stellen sie auch mehr Mitarbeiter ein, was zu erhöhter Kaufkraft und mehr Nachfrage führt. Es geht also nicht nur darum, zu sparen, sondern auch um Reformen, die nachhaltig für mehr Wachstum sorgen. Außerdem müssen sich die überschuldeten Länder Gedanken über ihr Geschäftsmodell machen und vorhandene Wachstumspotenziale voll ausschöpfen.Unternehmeredition: Sie fordern also eine breite Diskussion, die auch die Bevölkerung Europas miteinbeziehen würde?

Ostermann:
Richtig. Schließlich haften statt privater Gläubiger nun immer mehr die Steuerzahler. Somit ist die gesamte Bevölkerung betroffen. Wir sind der Meinung, dass Griechenland nur außerhalb des Euros eine Chance hat, wieder wettbewerbsfähig zu werden. Eine Umschuldung ist parallel von Nöten, weil Griechenlands Schulden einfach zu hoch sind. Auch Deutschland wird aufgrund der immer stärkeren Schuldenvergemeinschaftung viele Milliarden Euro effektiv bezahlen müssen. Die deutsche Bevölkerung wird dann realisieren, dass ihre Steuergelder wirklich verloren sind und sie nicht nur mit eventuellen Risiken konfrontiert ist. Momentan ist die Problematik viel zu abstrakt und zu weit weg von den Bürgern. Zweifelsohne wäre ein Austritt vorerst sehr teuer, die Frage ist jedoch, was die Alternative wäre: Bleibt Griechenland im Euro-Raum, müsste es immer mehr an Hilfsgeldern zurückzahlen, ohne dass die bisher eingeleiteten Reformen greifen. Der Reformwille ist eben noch nicht ausreichend vorhanden und auch Innerhalb der Bevölkerung sozial schwer durchsetzbar, was man an den vielen Demonstrationen und Protesten ablesen kann.

Unternehmeredition: Das Szenario eines Griechenland-Austrittes ist jedoch stark umstritten, eben wegen der hohen und unvorhersehbaren Kosten, die damit für die restliche Euro-Zone entstehen würden. Was versprechen Sie sich davon?


Ostermann:
Ich glaube, nur durch einen Austritt aus der Euro-Zone hätte Griechenland eine Chance, wieder auf die Beine zu kommen, ansonsten müssten intern Preise und Löhne um 30 bis 50% gesenkt werden – ein Ding der Unmöglichkeit. Bei einem Austritt könnte die Währung abgewertet und Wettbewerbsfähigkeit wieder hergestellt werden. Die Angst der deutschen Regierung und der gesamten EU ist jedoch, dass es dann Domino-Effekte für andere bedrohte Staaten wie Spanien oder Italien geben könnte. Ich glaube jedoch, wenn wir so weitermachen wie bisher, stehen wir in ein bis zwei Jahren immer noch vor dem gleichen Problem, aber die Rettung wird dann noch teurer sein. Die Haftungsübernahme hemmt den Reformwillen, so dass sich die wirtschaftliche Situation in den Schuldenländern nicht verbessern wird. Irgendwann wird dann auch die deutsche Wirtschaft nicht mehr für die immer größer werdenden Schulden haften können und überfordert sein.
Unternehmeredition: Wie beurteilen Sie die Situation für andere Wackelkandidaten innerhalb der Euro-Zone: Spanien, Irland, Italien?

Ostermann:
Im Fall Irland beurteile ich die Situation durchaus positiv, da dort wirklicher Wille zu strukturellen Reformen erkennbar ist. Im Vergleich zu Griechenland hatte Irland jedoch von vornherein ein gut funktionierendes und feststehendes Geschäftsmodell. Italien sehe ich kritisch, da hier aufgrund des bald anstehenden Regierungswechsels viel Unsicherheit vorherrscht; ich habe auch den Eindruck, dass Ministerpräsident Monti nicht mutig genug an Reformen z. B. des Arbeitsrechts herangeht. In Spanien gehen die Reformen noch nicht weit genug, jahrzehntelang gewährte Privilegien werden nicht abgeschafft, mit fatalen Folgen für die junge Generation. Positive Beispiele sehe ich in Estland oder Lettland, die sich beide durch sehr harte und unpopuläre Reformen wieder nach vorne gebracht haben – daran lässt sich sehen, dass bei ausgeprägtem Reformwillen Fortschritte durchaus möglich sind.Unternehmeredition: Sowohl die Wirtschafts- und Finanzkrise als auch die damit zusammenhängende Euro-Staatsschuldenkrise wurde von Banken- und Regierungskreisen verursacht, im Falle Griechenlands kommt noch Misswirtschaft und Korruption hinzu. Dennoch muss die Bevölkerung Europas die höchsten Lasten tragen – in Griechenland bekommt eine Familie mit einem Jahreseinkommen von 18.000 EUR demnächst kein Kindergeld mehr. Können Sie die Wut und das Unverständnis der Bevölkerung verstehen? Wie beurteilen Sie den Faktor Zeit, um gewisse Mentalitäten und Reformen durchzusetzen?
Ostermann:
Der Faktor Zeit spielt eine wesentliche Rolle. Nicht nur in Griechenland, sondern auch in Deutschland leben wir seit über drei Jahrzehnten über unsere Verhältnisse. Während meines gesamten Lebens habe ich noch keinen ausgeglichenen deutschen Haushalt erlebt. Wir machen immer mehr Schulden und geben mehr aus, als wir einnehmen. Das zu ändern, braucht natürlich Zeit; umso schlimmer finde ich, dass die Regierungen bis heute kein schlüssiges Konzept für geordnete Insolvenzen haben, sowohl für Banken als auch für ganze Staaten. Auch hier möchte ich wieder das Beispiel der Familienunternehmer anbringen: Auch sie machen Fehler, tragen dafür aber selbst die Konsequenzen und gehen im schlimmsten Fall in die Insolvenz. Das muss auch in der Politik und im Finanzwesen möglich sein.

Unternehmeredition: Im Falle Griechenlands ist ja nun schon viel Zeit verstrichen, passiert ist dennoch nicht viel. Wie sollte man hier vorgehen?


Ostermann:
Grundsätzlich sollten in Europa Rettungsmaßnahmen immer nur in Verbindung mit Gläubigerbeteiligung gewährt werden, damit das wichtigste Prinzip der sozialen Marktwirtschaft, die Einheit von Risiko und Haftung, wieder überzeugend gelebt wird. Im Fall von Griechenland dürfen die vereinbarten Bedingungen nicht weiter aufgeweicht werden. Durch das immer weitere Gewähren von Kapital und Zeit – und dass, obwohl Griechenland die Vereinbarungen bei Weitem nicht erfüllt – geht die Glaubwürdigkeit der Geberländer verloren. Wenn Griechenland nun doch mehr Erleichterungen bekommt, ist das für Spanien und Italien gewiss kein Anreiz, weitere unpopuläre Reformen durchzusetzen. Je mehr Risiken Deutschland übernimmt, desto erpressbarer werden wir. Ich glaube, mit der Ankündigung der EZB, im Zweifelsfall unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen, erkauft sich die Zentralbank eine teure Ruhe der Märkte, beseitigt aber nicht die Wurzel des Problems: Die dringende Einführung von Strukturreformen. Den aktuellen Kurs der EZB, der Politik durch billige Liquidität zur Seite zu springen, halte ich deshalb auch für fatal.

Unternehmeredition: Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund den Fiskalpakt, der ja vor allem auf Dringen Deutschlands an die Verabschiedung des ESM-Rettungsschirms gekoppelt wurde und bei einem Überschreiten einer festgesetzten Schuldengrenze sofort Strafmaßnahmen geltend macht?


Ostermann:
Grundsätzlich finde ich den Ansatz von Strafmaßnahmen bei Nichteinhaltung von Schuldenregeln oder Reformen natürlich richtig. Ich denke aber, der Fiskalpakt hält noch zu viele Schlupflöcher bereit. Zudem stellt er nur eine andere Version von Regeln dar, die zuvor vom Maastricht-Vertrag abgedeckt wurden, und auch an diese haben sich in der Vergangenheit die wenigsten gehalten. Ich denke, der einzige Weg zu nachhaltigem Handeln innerhalb der Euro-Zone ist die Gewissheit der Staaten, dass sie im Zweifelsfall für sich selbst haften müssen.

Unternehmeredition: Frau Ostermann, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Verena Wenzelis.
verena.wenzelis@unternehmeredition.de


Zur Person: Marie-Christine Ostermann
Marie-Christine Ostermann war von 2009 bis 2012 Bundesvorsitzende des Verbands „Die Jungen Unternehmer – BJU“ (www.junge-unternehmer.eu). Neben der ehrenamtlichen Tätigkeit ist sie geschäftsführende Gesellschafterin des Lebensmittelgroßhandels Rullko Großeinkauf GmbH & Co. KG in Hamm.

Die mobile Version verlassen