Die Kunst der Strukturierung – Brücke zwischen Investoren und Emittenten

Der Markt für Unternehmensanleihen in Deutschland ist in den letzten Jahren stetig gewachsen und hat mit 123 Mrd. EUR Emissionsvolumen im Jahr 2018 und 115 Mrd. EUR anno 2019 neue Rekordstände erreicht.
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Der Markt für Unternehmensanleihen in Deutschland ist in den letzten Jahren stetig gewachsen und hat mit 123 Mrd. EUR Emissionsvolumen im Jahr 2018 und 115 Mrd. EUR anno 2019 neue Rekordstände erreicht. Nach wie vor ist reichlich Geld im Markt und die Nachfrage der Investoren ist ungebrochen. Doch nicht alle Emissionen sind erfolgreich. Entscheidend für den Erfolg einer Emission ist es, die Brücke zwischen Nachfrage und Angebot, Investoren und Emittenten zu schlagen. Kurzum: Es geht um die Kunst der Strukturierung. 

Mit der Begebung einer Anleihe und dem Gang an den Kapitalmarkt erschließt sich ein Unternehmen eine wichtige und flexible Kapitalquelle. Zudem wird die Finanzierungs- und Kapitalstruktur diversifiziert. Transparente und klar strukturierte Emissionsparameter und die individuelle Ausgestaltung sind wesentliche Vorteile.

Vor der Emission: Strukturierung der Anleihe

Die Strukturierung einer Anleihe ist nicht trivial, aber wesentlich für den Emissionserfolg. Im Mittelstand ist die Eigenemission der aktuelle Trend. Eigenemission heißt: Die Strukturierung bis hin zur Begebung erfolgt ohne eine Investmentbank. Während des Prozesses gilt es, gegensätzliche Wünsche und Vorstellungen hinsichtlich Plausibilisierung des Businessplans, Entwicklung einer Investorenstory, Dokumentation sowie Investorenidentifizierung und -ansprache in Einklang zu bringen. Dafür bedarf es eines Teams von Spezialisten mit Erfahrung in Bezug auf den Kapitalmarkt und ausgezeichneten Kenntnissen in Bilanzierung, Businessplanerstellung und Plausibilisierung der Planungen des Emittenten. Fehlt diese Expertise in der Strukturierung, ist die Gefahr des Scheiterns groß. Präzise Analyse, tiefes Verständnis des Kapitalmarkts und der Investoren sowie die notwendige Kreativität bei der Strukturierung der Passivseite sind essenziell für eine erfolgreiche Strukturierung.

Gesamtkonzept für Emittenten und Investoren

Grundlage jeder Strukturierung ist das sogenannte Market Sounding, die Marktbeobachtung und -analyse. Es gilt zunächst auszuloten, wie die allgemeine Stimmung und Resonanz am Markt für bestimmte Emittentengruppen ist, ob und welche Themen im besonderen Investorenfokus stehen und welche Themen der Markt nicht mehr aufnimmt „The trend is your friend.“ Wichtig ist es, einen Emittenten so im Markt zu positionieren, dass er Aufmerksamkeit erregt und positive Resonanz erzeugt. Ein gutes Beispiel sind grüne Anleihen, die aktuell von Investoren heiß begehrt werden. Green Bonds sorgen für nachhaltiges Investoreninteresse, sobald sie umfänglich mit einem ICMA-konformen Rahmenwerk und einer Second Party Opinion ausgestattet sind.

Missbrauch oder Übertreibung kann jedoch schnell zum Stolperstein werden. Gerade im Bereich Green Bonds sind Investoren lernfähig; sie haben verstanden, dass nicht alles grün ist, wo grün draufsteht, und reagieren mittlerweile sensibel auf das sogenannte Greenwashing. Am Beginn jeder Strukturierung steht das Verständnis der Bedürfnisse des potenziellen Emittenten. Auf der Wunschliste stehen zumeist: (i) ein möglichst niedriger Kapitaldienst, (ii) wenige beziehungsweise weiche Covenants und damit maximale Freiheit in der Verwendung der Mittel sowie (iii) gerne auch Ruhe vor den Gläubigern nach der Platzierung, das heißt niedrige Reportinganforderungen. Demgegenüber stehen die Investoren mit dem Wunsch nach (i) möglichst hohen Zinsen, (ii) vielen Covenants sowie (iii) einem umfassenden und regelmäßigen Reporting, begleitet von professioneller Investor Relations-Arbeit. Diese im Grunde unterschiedlichen Interessen in Einklang zu bringen ist die Aufgabe des strukturierenden Corporate Finance-Beraters.

Im ersten Schritt geht es um die Prüfung des Businessplans des Unternehmens. Gute Finanzmodellierung differenziert und ist zum Teil sehr komplex; in der Regel müssen verschiedene Szenarien betrachtet werden. Der Best- oder Management Case, der plausibilisierte Businessplan ist die Basis, zusätzlich werden konservativere Szenarien betrachtet: Base Case und Worst Case. Nur so lässt sich mit höchstmöglicher Sicherheit feststellen, wie viel (a) Kapital das Unternehmen zu welchem Zins aufnehmen kann (Debt Capacity), um (b) den Zins während der Laufzeit bezahlen zu können und darüber hinaus die Tilgung zum Laufzeitende (Kapitaldienst) zu leisten. Steht der Businessplan auf soliden Beinen, werden die weiteren notwendigen Partner ins Boot geholt, standardmäßig eine Kanzlei mit gutem Ruf am Kapitalmarkt sowie eine Investor Relations-Agentur, die im entsprechenden Marktsegment zu Hause ist. Hinzu kommt gegebenenfalls eine Ratingagentur, die im Fall einer ESG-Anleihe die Second Party Opinion oder ein Rating erstellt, sowie eine Bank, die die Zahl- und eventuell Wandelstellenfunktion übernimmt.

Spagat zwischen Emittenten- und Investoreninteresse

Sobald die Finanzplanung steht, beginnt der eigentliche Spagat: die Abstimmung der Bedürfnisse des Unternehmens und der Investoren aufeinander. Zu diesem Zeitpunkt bestehen zwar bereits Vorstellungen zu Volumen, Verzinsung und Laufzeit. Dabei werden Covenants wie Negativverpflichtung, Drittverzug, Ausschüttungsbeschränkung und Verwässerungsschutz im Fall einer Wandelschuldverschreibung meist unterschätzt.

Stärker im Fokus der Investoren steht jedoch der Kupon, die jährliche oder halbjährliche Zinszahlung. Entgegen der weitläufigen Meinung „Viel hilft viel“ ist hier besonderes Augenmaß gefordert. Der „richtige“ Zins kann im Rahmen einer Top Down-Analyse ermittelt werden. Dabei werden Sektor (meist KMU-Anleihen), Branche, Besonderheiten (beispielsweise ESG-Kriterien) berücksichtigt. Auf Basis der durchschnittlichen Renditen im Verhältnis zu den durchschnittlichen Restlaufzeiten erhält man einen guten Eindruck, welcher Kupon für eine Neuemission marktgängig ist und seitens der Investoren akzeptiert wird.

Angepasst an das Risiko-Rendite-Profil der jeweiligen Peergroup ergibt sich der rechnerisch „faire“ Kupon. Für die Festlegung des endgültigen Kupons werden zusätzlich zum rechnerisch „fairen“ Kupon noch weitere, weiche Kriterien berücksichtigt, die den finalen Kupon erhöhen oder reduzieren können:

  • Ist das Unternehmen börsennotiert? Wenn ja: Wie ist der Kursverlauf?
  • Wird eine nachhaltige stabile Dividende gezahlt? Wie hoch ist die Dividendenrendite?
  • Falls das Unternehmen nicht börsennotiert ist, hat es bereits am Markt emittiert? Wie ist das Unternehmen bei den Anlegern angesehen?
  • Nimmt das Unternehmen erstmals den Kapitalmarkt in Anspruch? Ist es dennoch bei Investoren bekannt oder muss man Tätigkeit und Geschäftsmodell den Investoren erst vorstellen?

In der Praxis stellen wir fest, dass diese weichen Faktoren den Kupon um bis zu 75 Basispunkte beeinflussen. Das kann bei einer durchschnittlichen Anleihe von 30 Mio. EUR immerhin 225.000 EUR pro Jahr und über eine gängige Laufzeit von fünf Jahren insgesamt 1,125 Mio. EUR zusätzlicher Zinsaufwand bedeuten.

Unterschätzer Erfolgsfaktor Investor Relations

Überaus kostenbewusste Unternehmen, die auf Investor Relations verzichten, werden schnell feststellen, dass sie am falschen Ende sparen. Speziell von neuen Emittenten möchte der Kapitalmarkt hofiert werden – und das schlagende Argument ist ein gut ausgestattetes Emissionsbudget. Investor Relations werden leider von zu vielen Unternehmen unterschätzt. Es reicht nicht aus, nach der Emission ein gefülltes Bankkonto zu haben und sich auf seine Geschäfte zu konzentrieren. Investoren erwarten, auch nach der Emission „mitgenommen“ zu werden. Sie haben sogar ein Recht darauf – schließlich finanzieren sie das Unternehmen. Spätestens bei einer weiteren Anleihe, sei es zur Refinanzierung oder zum weiteren Ausbau des Geschäfts, zeigt sich, dass die Kosten für Investor Relations gut angelegt sind.

FAZIT

Eine gut durchdachte Anleihestruktur, die die Brücke zwischen Investoren und Emittenten schlägt, ist für beide Seiten von Vorteil und Garant für eine erfolgreiche Emission. Entscheidend für die Investoren sind standardisierte, risikoadäquate Strukturen und ein solides Rendite-Risiko-Profil, das die Unternehmensentwicklung abbildet. Für Unternehmen bedeutet die Anleihe über die Laufzeit Finanzierungssicherheit und Diversifikation in ihrem Kreditportfolio.


Dieser Beitrag ist erschienen in der Unternehmeredition 4/2020.

Autorenprofil
Frank Günther, Marius Hoerner und Marvin Armbruster

 

 

 

 

 

Frank Günther (li.) ist Managing Partner, Marius Hoerner (Mitte) ist Senior Advisor und Marvin Armbruster (re.) ist Vice President bei One Square. One Square ist eine unabhängige Beratungsgesellschaft mit Sitz in München sowie Büros in Frankfurt, Düsseldorf und London und gehört zu den führenden Adressen in Deutschland für Finanzrestrukturierungen, Distressed M&A und Treuhandlösungen.

 

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