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„Wir stoßen im Allgäu an Grenzen“

Bereits in den 70er-Jahren zog es den Hersteller von Verpackungsmaschinen ins Ausland. Ein Gespräch über Internationalisierung, Verpackungskultur und die Frage, warum sein Unternehmen in Deutschland wohl nicht mehr wachsen wird.

Unternehmeredition: Multivac hat bereits in den 70er-Jahren die ersten Tochtergesellschaften im Ausland gegründet. Nach welchen Kriterien erschließen Sie heute neue Märkte?

Boekstegers: Im Lebensmittelbereich hängt viel davon ab, ob die Stromversorgung stabil ist. Denn wenn der Kühlschrank zu Hause nicht funktioniert, essen die Menschen weniger abgepackte, sondern eher frische oder mit Konservierungsstoffen behandelte Produkte. In Indien gibt es zum Beispiel vergleichsweise wenige Kühlschränke und auch nur wenige Hersteller von Lebensmitteln, die unsere Verpackungstechnik benötigen. Daher konzentrieren wir uns in Indien eher darauf, medizintechnische Güter zu verpacken.

In Indien sind Sie ein Joint Venture mit einem in Indien beheimateten Unternehmen eingegangen. Wieso haben Sie diese Strategie gewählt?

Indien ist ein Land, das kulturell immer noch stark durch das Kastensystem geprägt ist. Wenn man da nicht den richtigen Zugang zum Markt hat, braucht man sich dort nicht zu engagieren. Wir haben mit der Laraon Group einen wirklich guten Partner gefunden, der 30 Prozent der Anteile hält – die restlichen 70 Prozent liegen bei uns.


“Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine Verpackungsmaschine 30 Jahre oder länger läuft.”

Hans-Joachim Boekstegers Group CEO, MULTIVAC Sepp Haggenmüller SE & Co. KG


Multivac betreibt mehr als 80 Tochtergesellschaften mit 1.000 eigenen Servicetechnikern auf allen Kontinenten. Weshalb haben Sie sich dazu entschieden, vor Ort jeweils mit einer eigenen Vertriebs- und Servicegesellschaft vertreten zu sein?

Diese Struktur macht uns einfach kundennah. Die Produkte, die wir herstellen, haben eine vergleichsweise hohe Lebensdauer. Es ist nicht ungewöhnlich, dass eine Verpackungsmaschine 30 Jahre oder länger läuft. In der ganzen Zeit braucht sie Betreuung, zum Beispiel dann, wenn sie umgebaut werden soll. In solchen Fällen sind unsere Servicetechniker verfügbar. Zudem ist es so: In lebensmittelverarbeitenden Betrieben wird in der Regel 12 bis 18 Stunden pro Tag gearbeitet und das zum Teil sechs, sieben Tage pro Woche. Wenn die Verpackungsmaschine aus irgendeinem Grund ausfällt, dann haben die Betriebe ein echtes Problem, weil die Lebensmittel im schlimmsten Fall verderben. Deshalb ist es so wichtig, als Unternehmen vor Ort zu sein und schnell reagieren zu können.

Bereits in den 70er-Jahren zog es den Hersteller von Verpackungsmaschinen ins Ausland. Ein Gespräch über Internationalisierung, Verpackungskultur und die Frage, warum sein Unternehmen in Deutschland wohl nicht mehr wachsen wird.

Was macht eine gute Verpackung aus?

Sie hat im Prinzip drei wesentliche Funktionen. Erstens können damit Lebensmittel ohne Konservierungsstoffe haltbar gemacht werden. Zweitens wird durch die Verpackung Produktmarketing ermöglicht: In vielen Fällen erhalten Kunden heute beim Discounter das gleiche Produkt wie bei der Edel-Supermarktkette. Der einzige Unterschied besteht oftmals darin, dass es anders verpackt ist und ein anderes Label trägt. Der dritte Aspekt, der das Geschäft treibt, ist die Sicherheit der Packung. Jegliche Erpressungsversuche gegen Supermärkte sind daran gekoppelt, dass der Packungsschutz in irgendeiner Weise zerstört werden muss. Und das wollen wir vermeiden.

Mutlivac: Im Allgäu hat das Unternehmen den Firmensitz

Wie entstehen bei Ihnen neue Verpackungen?

Wir sind im Prinzip ein großes Design- und Ingenieurbüro, das die Kunden darin berät, was technisch sinnvoll, machbar und auf der Kostenseite darstellbar ist. Fast alle unserer Maschinen sind Einzelfertigungen, weil sich die Kunden anhand ihrer Verpackung schließlich von Wettbewerbern unterscheiden und einen Mehrwert bieten möchten.

Und wie kann ein solcher Mehrwert aussehen?

Zum Beispiel haben wir vor zwei Jahren für eine Schweizer Supermarktkette sämtliche Maschinen so umgebaut, dass die sogenannte Aufreißecke größer wird und Konsumenten der älteren Generation besser in der Lage sind, die Verpackungen zu öffnen. Das ist für den Endverbraucher ein echter Nutzen – und kann somit auch ein Unterscheidungskriterium für einen Supermarkt oder einen Hersteller sein.

Wie viel Freiraum räumen Sie Ihren Tochtergesellschaften ein?

Bei uns hat jede Gesellschaft ihren eigenen Geschäftsführer, der die lokale Strategie bestimmt. Am Hauptsitz wiederum entscheiden wir gemeinsam darüber, wie stark die Mannschaft vor Ort ist und welche Investitionen vor Ort getätigt werden. Aber uns ist immer bewusst, dass jedes Land anders ist. Da spielen kulturelle und religiöse Aspekte eine Rolle, aber auch die Kaufkraft und die Konsumgewohnheiten. Wenn wir überall die gleiche Standardstrategie fahren würden, hätten wir nicht den Erfolg, den wir heute haben.

Bereits in den 70er-Jahren zog es den Hersteller von Verpackungsmaschinen ins Ausland. Ein Gespräch über Internationalisierung, Verpackungskultur und die Frage, warum sein Unternehmen in Deutschland wohl nicht mehr wachsen wird.

Sie haben im Ausland nicht nur eigene Vertriebs- und Servicegesellschaften, sondern auch sieben Produktionsstandorte. Gerade bauen Sie eine neue Fabrik in Bulgarien – aus Kostengründen?

Die Kosten sind eher ein positiver Nebeneffekt. Wir haben im Unterallgäu in den vergangenen gut 15 Jahren 1.300 Arbeitsplätze geschaffen und stoßen inzwischen an Grenzen, genügend neue Arbeitskräfte zu finden. Das heißt für uns, dass wir uns nach weiteren Produktionsstätten umsehen müssen. Unser erster Schritt war, eine Fabrik in Spanien zu kaufen und umzubauen, der zweite Schritt ist jetzt die neue Fabrik für die Teile- und Komponentenfabrik in Bulgarien. Dort bekommen wir noch die Mitarbeiter, die wir dafür brauchen.


“Wir haben in Deutschland derzeit gut 1.900 Mitarbeiter. Sehr viel mehr werden es nicht werden.”

Hans-Joachim Boekstegers Group CEO, MULTIVAC Sepp Haggenmüller SE & Co. KG


Dadurch sparen Sie sich auch Personalkosten …

Die Entwicklung geht dahin, dass dort produziert wird, wo es günstig ist und wo die infrastrukturellen Rahmenbedingungen stimmen. Wenn beispielsweise die Energiekosten in Deutschland immer weiter steigen, wenn es wie hierzulande einen Mindestlohn gibt, dann führt das dazu, dass sich Arbeit weiter verlagert. Je mehr wir hier unsere Kosten treiben, desto schwieriger wird es, hier die Standorte zu erhalten.

Denken Sie darüber nach, in Deutschland Arbeitsplätze abzubauen?

Nein, nein! Wir sind als Marktführer in der Lage, die hohen Kosten gut zu kompensieren. Aber das Wachstum unserer Unternehmensgruppe wird an anderen Standorten stattfinden. Wir haben in Deutschland derzeit gut 1.900 Mitarbeiter. Sehr viel mehr werden es nicht werden – weil wir sie nicht bekommen und weil es die weltpolitische Lage erfordert, eher dezentral als zentral zu investieren.

Sie sprechen den Protektionismus an. Seit knapp einem Jahr regiert Donald Trump die USA, der die Strategie America first ausgerufen hat. Was bedeutet Trumps Politik für Ihr Unternehmen, das in den USA ein eigenes Werk betreibt?

Wir haben schon vor ein paar Jahren damit gerechnet, dass sich die USA eher abschotten werden, und deshalb vor fünf, sechs Jahren ein eigenes Werk gebaut. Dass wir jetzt vor Ort unsere eigenen Maschinen produzieren, hat uns einen erheblichen Marktzuwachs gebracht. Wir konnten unser Geschäft in den USA in den vergangenen fünf Jahren praktisch verdoppeln. Unsere Kunden kaufen durchaus emotional, da kommt ein Made in the USA gut an.

Verpacken die Amerikaner ihr Fleisch anders als die Deutschen?

Die Amerikaner kaufen ihre Lebensmittel gerne in großen Mengen ein, das zeigt sich auch an ihren Verpackungen. In den USA können Sie Hackfleisch in der Ein- oder Zwei-Kilo-Packung kaufen – so etwas gibt es in Deutschland nicht. Es ist schon so, dass die Kultur massiv Einfluss auf die Art der Verpackung nimmt. Die Chinesen zum Beispiel essen gerne kleine Snacks, weshalb man dort in den Supermärkten auch eher auf kleine Packungen trifft. Aber auch innerhalb Europas bestehen Unterschiede: Verpackungen in Frankreich oder in der Schweiz sind in der Regel noch anspruchsvoller ausgestaltet als in Deutschland.


Zur Person:

Hans-Joachim Boekstegers ist Geschäftsführender Direktor und Group CEO der MULTIVAC Sepp Haggenmüller SE & Co. KG mit Sitz in Wolfertschwenden im Unterallgäu. Seit April 2001 gehört der Wirtschaftsingenieur zur Geschäftsführung der Unternehmensgruppe. Neben seiner Aufgabe bei Multivac gehört er seit 2005 zum Hauptvorstand des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Die Unternehmensgeschichte des Herstellers von Verpackungsmaschinen reicht zurück bis ins Jahr 1961, als Firmengründer Sepp Haggenmüller in einer Garage eine Vakuum-Kammermaschine entwickelte. Das Unternehmen beschäftigt heute 5.200 Mitarbeiter. www.mulitvac.com

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