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Welches Potenzial haben Token?

Kryptowährungen, Token und ICOs sind in aller Munde. Doch bislang ist der digitale Kapitalmarkt für den Mittelstand nur eine Zukunftsfiktion. Im Folgenden werden die Kryptophänomene erläutert. Eine Expertenumfrage kommentiert ihre Potenziale sowie bisherige Fallstricke.

Kryptowährungen befähigen Unternehmen dazu, Finanzierungen autark zu organisieren. Die Idee dahinter ist, mit einem dezentralen und fälschungssicheren Kreislauf über die sogenannte Blockchain-Technologie Zeit, Aufwand, Mittelsmänner – und damit Kosten – zu sparen. Neben der Finanzierung können auch weitere Prozesse in der Wertschöpfung wie das Lieferanten-Management und Kundenbeziehungen abgewickelt werden. Grundlage hierfür ist ein digitaler Vertrag (Smart Contract). Einige Start-ups in den USA finanzieren sich bereits über ICOs als Alternative zum IPOs. Auch hierzulande fangen erste Banken und Konzerne an, mit der Blockchain zu experimentieren. Hierbei werden eigene Wertpapiere (Token) über Online-Plattformen an Käufer ausgegeben. Die Token können entweder Beteiligungs- (Equity Token) oder Nutzungsrechte (Utility Token) beinhalten. Im Vergleich zu Token sind Bitcoins keine Wertpapiere, sondern Münzen, mit denen je nach Währungskurs bezahlt wird. Mittlerweile gelten Bitcoins zunehmend als eigene Anlageklasse.

Welchen konkreten Nutzen kann ein ICO für Unternehmen haben – auch für solche, die sonst nicht am Kapitalmarkt aktiv sind?

Thomas Stewens, Leiter der BankM

Der ICO ist eine neue Form der Vorfinanzierung von Geschäftsideen durch den Kapitalmarkt. Der Gegenwert des begebenen Token kann dabei durch den Emittenten sehr frei formuliert werden und schafft so erhebliche Freiheitsgrade in der unternehmerischen Gestaltung. ICOs haben aufgrund dieser Eigenschaften das Potenzial, die Lücke zwischen Gründungsfinanzierung und IPO in Deutschland perspektivisch zu schließen.

Peter Barkow, Geschäftsführer Barkow Consulting

Aktuell ist der administrative Aufwand für einen ICO verglichen mit einem IPO noch relativ gering. Die Kosten für einen ICO-Prozess inklusive der Folgekosten eines Listing an einer Kryptobörse sind hingegen verglichen mit einem IPO oder einem Venture Capital-Prozess häufig sehr hoch. Die größten Vorteile sind die geringere Verwässerung der Altaktionäre, die sogar ganz entfallen kann, und im Zweifel auch das höhere Fundingvolumen. Auch ist die Due Diligence beziehungsweise Kontrolle durch die Investoren im Moment weniger ausgeprägt als bei VC oder dem IPO.


“Der Token schafft erhebliche Freiheitsgrade in der unternehmerischen Gestaltung.”

Thomas Stewens

 


Dr. Lewin Boehnke, Head of Research bei der Crypto Finance AG

Anlage-Token entsprechen am ehesten dem klassischen Kapitalmarkt, Zahlungs-Token sind meist unabhängige Projekte wie Bitcoin oder Litecoin, die nicht einem Unternehmen zuzuordnen sind. Nutzungs-Token sind solche, die zwar zur Finanzierung eines Projekts herausgegeben werden können und anschließend einen praktischen Nutzen erfüllen. Aus Investoren wird so nebenher eine Community. Es sind aber sehr wenige spezielle Geschäftsmodelle, für die so etwas sinnvoll sein kann, und noch seltener ist dies für existierende Modelle der Fall.

Björn Weidehaas, Lutz Abel Rechtsanwalts GmbH

Ein Initial Coin Offering kann auf unterschiedliche Weise der Kapitalbeschaffung dienen. Wird der Coin oder Token als Equity Token, also wie ein Wertpapier, ausgestaltet, dürften die aufsichtsrechtlichen Anforderungen wie bei Wertpapieren gelten. Der Coin kann aber auch eine Anzahlung oder ein Nutzungsrecht für ein Produkt beinhalten. Diese wären dadurch handelbar und fälschungssicher. Letztlich kann mit dem Coin auch eine immaterielle Gegenleistung zugesagt werden wie beispielsweise die Teilnahme an einem Entwicklungsprojekt.


“Der Coin kann auch ein Nutzungsrecht beinhalten.”

Björn Weidehaas

 


Kryptowährungen, Token und ICOs sind in aller Munde. Doch bislang ist der digitale Kapitalmarkt für den Mittelstand nur eine Zukunftsfiktion. Im Folgenden werden die Kryptophänomene erläutert. Eine Expertenumfrage kommentiert ihre Potenziale sowie bisherige Fallstricke.

Token sind durch die Blockchain flexibler und transparenter als analoge Wertpapiere oder Währungen, doch die Technologie steckt noch in den Kinderschuhen. Wie können sich Token etablieren?

Thomas Stewens

Technologisch gibt es hier natürlich noch einiges zu tun, insbesondere was Effizienz, Handelbarkeit und Zurechenbarkeit in Bezug auf den Know-Your-Customer-Prozess angeht. Viel wichtiger allerdings als technologische Anpassungen sind regulatorische Fragen. Heute ist es für Banken und konservative Mittelständler annähernd unmöglich, ICOs zur Unternehmensfinanzierung zu nutzen. Hier ist der Regulator gefragt, möglichst schnell für Rechtssicherheit für Emittenten, Banken und Anleger – nicht nur in Deutschland, sondern im europäischen Kapitalmarkt – zu sorgen.

Peter Barkow

Das Volumen von ICOs ist im vergangenen Jahr quasi explodiert. Auf der anderen Seite sind Token sehr flexibel einsetzbar und können alle vorstellbaren Rechte abbilden. Das reicht von Equity über Debt bis hin zu allen Zwischenformen. Die schiere Anzahl an ICOs verbunden mit steigenden Volumina macht es sehr wahrscheinlich, dass sich Token als Finanzierungsform durchsetzen werden.


 

“Das Volumen von ICOs ist im vergangenen Jahr quasi explodiert.”

Peter Barkow

 


Dr. Lewin Boehnke

Schon aus rein technologischer Sicht der Blockchain gibt es diverse unbeantwortete Fragen. Ist einem Token ein physischer Besitz oder ein Unternehmensanteil angebunden, welcher Seite des Forks fällt dieser dann zu? Der Besitz an dem Token lässt sich auf beiden Zweigen der Blockchain problemlos nachvollziehen. Wem aber steht der physische Wert zu, wenn die Token unterschiedliche Wege gehen? Der technologische Aspekt von Token ist recht gut verstanden. Darauf aufbauend einen rechtlich belastbaren und durchsetzbaren Besitzstand an einem Gut zu generieren, welches nicht nativ auf der Blockchain liegt, ist vordringlich eine juristische Frage.

Björn Weidehaas

Token können entweder programmiertechnisch, etwa durch Smart Contracts, oder im begleitenden White Paper alles beinhalten, was analog auf Papier geschrieben werden kann. Sie können also wie Wertpapiere, Schuldscheine, Gutscheine, Quittungen oder Spendenbescheinigungen ausgestaltet werden.

Kryptowährungen, Token und ICOs sind in aller Munde. Doch bislang ist der digitale Kapitalmarkt für den Mittelstand nur eine Zukunftsfiktion. Im Folgenden werden die Kryptophänomene erläutert. Eine Expertenumfrage kommentiert ihre Potenziale sowie bisherige Fallstricke.

Wie kann sichergestellt werden, dass die Anwendung von Kryptowährungen für die Unternehmen einfach und die Nutzung für die Stakeholder rechtlich verbrieft ist?

Thomas Stewens

Das ist heute schon so. Technisch sind die Token sehr effizient und kostengünstig herzustellen und werden dann an die Investoren veräußert. Bei der Fungibilität und der Liquidität im Zweitmarkt ist das Bild allerdings noch nicht ganz so positiv. Darüber hinaus muss sich der Investor natürlich fragen, welche Rechte da denn zuverlässig im Internet verbrieft wurden. Diese Rechte sind oft sehr dünn, und selbst bei einem Totalverlust sind die Eingriffs- oder Mitsprachemöglichkeiten in aller Regel ausgeschlossen. Hier ist noch sehr viel Arbeit zu leisten, um ein langfristig ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Geldgeber und Unternehmen zu erzeugen.

 Peter Barkow

Das ist natürlich ein Spannungsfeld. Mit wachsender Bedeutung des Marktes und einer steigenden Anzahl von Problemfällen wird die Regulierung nachziehen müssen. Damit wird der administrative Aufwand weiter steigen. Wie das letztendlich aussieht, kann man im Moment allerdings noch nicht abschätzen.

Dr. Lewin Boehnke

Es gibt einzelne Unternehmungen, bei Token mit gewissen Eigenschaften rechtlichen Standards zu folgen. Auf technologischer Seite ist dies schon weitgehend der Fall, die meisten Tokens heute folgen dem ERC20 Standard, was gewisse Garantien und Erfahrungen für den praktischen Umgang bedeutet. Auf rechtlicher und regulatorischer Seite stehen solche Standards noch aus, was aufgrund der uneinheitlichen lokalen Voraussetzungen ungleich schwieriger sein wird. Für den Moment bleibt den Unternehmen nichts anderes übrig, als für seinen Einzelfall (und den seiner Nutzer) rechtlichen Rat einzuholen.


“Auf rechtlicher und regulatorischer Seite stehen Standards noch aus.”

Dr. Lewin Boehnke

 


Björn Weidehaas

Soweit Coins oder Token Nutzungsversprechen beinhalten, sollten Stakeholder darauf achten, dass diese rechtlich verbindlich im White Paper dokumentiert sind. Mittelfristig ist wünschenswert, dass solche Ansprüche zwar direkt im Programmcode als Smart Contracts niedergelegt, aber trotzdem zweifelsfrei für Menschen lesbar gemacht werden können.

 

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