Warum ist das Festspielhaus ein Familienunternehmen?

Prof. Dr. Dr. hc. mult. Péter Horváth im Gespräch mit Dr. Ursula Koners

Foto: © Christian Grund

Das Festspielhaus Baden-Baden hat seit vergangenem Herbst mit Dr. Ursula Koners eine neue Geschäftsführerin. Die promovierte Betriebswirtschaftlerin war viele Jahre Managerin des Friedrichshafener Instituts für Familienunternehmen (FIF) an der Zeppelin Universität und dort auch für den Master-Studiengang „Family Entrepreneurship“ zuständig. Prof. Dr. Dr. Péter Horváth hat mit ihr darüber gesprochen, welche Herausforderungen und insbesondere auch welche Gemeinsamkeiten zu ihrer bisherigen Berufung sich für die Expertin für Familienunternehmen mit der neuen Aufgabe am Festspielhaus verbinden.

Horváth: Frau Dr. Koners, was waren Ihre Beweggründe für den Wechsel?
Koners: Der Wechsel war gänzlich ungeplant. Auf die Anfrage des Headhunters habe ich tatsächlich nur aus Neugier auf das größte Opern- und Konzerthaus Deutschlands geantwortet. Die Gespräche mit den dort handelnden Personen sowie deren Beschreibung der Zukunftspläne für das Festspielhaus waren dann aber so spannend und anregend, dass ich neugierig wurde und mich am Ende tatsächlich für den Wechsel entschieden habe. Es war also eine Entscheidung für eine neue berufliche Herausforderung und sicher nicht gegen die Zeppelin Universität. Ich bin weiterhin sehr gerne aktiver Teil der „FIF-Familie“.

Horváth: Sie konnten 2019 natürlich noch nicht ahnen, was auf Sie als „Co-Pilotin“ des neuen Intendanten, Benedikt Stampa, in der Corona-Zeit zukommt. Was sind die größten kaufmännischen Herausforderungen für Sie?
Koners: Ich denke, die Herausforderungen sind sehr ähnlich wie bei allen anderen Unternehmen – vor allem in Branchen, die wie wir besonders von der Corona-Situation betroffen sind. Der größte Fokus lag und liegt auf der Sicherstellung unserer Liquidität, um möglichst gut durch die leider sehr lange Phase zu kommen, in der wir gar nicht oder nur mit reduzierter Gästezahl und entsprechend mit Verlust veranstalten können. Abgesehen davon mussten wir lernen, Szenarien zu erstellen, die auf weit mehr Unbekannten beruhen als früher. Die Situation bzgl. der Künstler, damit des Programms und auch der behördlichen Auflagen ändert sich fast täglich. Die eigentliche Herausforderung ist, wie wir das Festspielhaus trotz Corona langfristig zukunftsfähig aufstellen können. Das ist eine sehr große, gleichzeitig aber auch sehr spannende Aufgabe.

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Horváth: Beschreiben Sie doch bitte Ihre Aufgabe im Sinne eines „Regelbetriebs“.
Koners: Im Regelbetrieb bin ich einerseits für alle kaufmännischen und personellen Themen des Hauses inkl. IT und Gebäudemanagement verantwortlich, andererseits aber auch für den Bereich Gastronomie und Ticketing. Bei den Marketing- und Markenthemen bin ich mit meinem „branchenfremden“ Blick gerne als Sparringspartner involviert. Die Themen Förderprogramm und Sponsoring verantworte ich gemeinsam mit dem Intendanten. Diese haben in einem Haus unserer Größe, dessen Betrieb rein privat finanziert ist, natürlich einen besonders hohen Stellenwert. Und es gibt verschiedenste Gremien, in denen ich das Festspielhaus hier in Baden-Baden und darüber hinaus vertreten darf. In Summe also die klassische Bandbreite einer kaufmännischen Geschäftsführung.

Horváth: Inwieweit sind die Potenziale der Digitalisierung für den Festspielhausbetrieb, aber auch für die Programmgestaltung nutzbar?
Koners: Diese Frage wird uns derzeit sehr häufig gestellt. Fakt ist, dass die vorhandene IT-Infrastruktur des Festspielhauses noch sehr stark von den Möglichkeiten der Digitalisierung profitieren kann – und zwar in vielerlei Hinsicht. Der Handlungsbedarf war uns schon vor Corona bewusst, wurde durch die aktuelle Situation aber noch dringender. Was das Programm angeht, ist die Situation etwas differenzierter zu betrachten. Natürlich gibt es aktuell einen Trend zu Streamingangeboten; die Krux dabei für uns ist, dass wir kein eigenes Ensemble haben und es nur sehr wenig digitale Angebote gibt, die sich wirtschaftlich rechnen. Hinzu kommt, dass der Wunsch nach Liveveranstaltungen durch Corona und trotz Streamingalternativen bei unseren Zielgruppen stark zugenommen hat. Digitalisierung im Programm muss für uns also intelligenter sein als ein simples Streaming.

Horváth: Sie selbst sind in einem Familienunternehmen aufgewachsen und tragen das auch in Ihrer DNA. Trotz Ihrer Affinität zur Musik ist ein gemeinnütziges Festspielhaus wohl eine fremde Welt für Sie gewesen?
Koners: Den Begriff „fremde Welt“ sehe ich aus Erfahrung sehr positiv. Ich habe schon in sehr vielen grundverschiedenen Branchen gearbeitet. Im Laufe der Zeit habe ich dabei gelernt, dass dieser vermeintliche Nachteil tatsächlich eine Stärke ist. Als „Quereinsteiger“ kann man sehr unbefangen scheinbar festgefahrene Themen und branchenspezifische Prinzipien hinterfragen und gleichzeitig sehr viel Neues lernen. Die Kombination aus Erfahrungswissen und neuen Impulsen ist sehr wertvoll für jede Organisation. Hinzu kommt, dass ich im Festspielhaus die gleiche Grundstruktur vorgefunden habe wie an der Zeppelin Universität: eine Stiftung mit einer gemeinnützigen GmbH als Betreibergesellschaft, die wiederum maßgeblich privat und eben nicht staatlich finanziert ist. Und in beiden Fällen kommen die maßgeblichen Unterstützer und Ermöglicher aus dem Kontext von Familienunternehmen. Ich habe hier also weiterhin das Privileg, mit vielen Unternehmerfamilien zusammenarbeiten zu dürfen. Ich bin schlicht von einer unternehmerischen Universität an eine unternehmerische Kulturinstitution gewechselt und bewege mich weiterhin zwischen Wirtschaft, Kultur und Politik.

Horváth: Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten in Führung und Management? Was können Sie als Familienunternehmensexpertin für Ihre jetzige Aufgabe in Baden-Baden übernehmen?
Koners: Wir befinden uns im Festspielhaus aktuell in einem Prozess, der sehr stark dem Nachfolgeprozess eines Familienunternehmens ähnelt. Zunächst einmal gab es auf der Ebene der Intendanz und Geschäftsführung erstmals nach 20 Jahren einen personellen Wechsel, der automatisch Veränderungen mit sich bringt. Gleichzeitig sind wir bei allem, was wir tun, und bei jeder Entscheidung darum bemüht, langfristig orientiert zu handeln und somit an die nächste Generation zu denken – in Bezug sowohl auf das Festspielhaus an sich als auch auf die Künstler, unsere Gäste, unsere Förderer und auch unser gesamtes Team. Wir sind sehr genau vergleichbar mit zwei Fremdgeschäftsführern eines Familienunternehmens, die in vielerlei Hinsicht als Treuhänder im Auftrag der Inhaber fungieren. Es ist ausgiebig erforscht, dass erfolgreiche Familien unternehmen im Rückblick in fast jeder Generation maßgebliche Innovationen hervorbringen, die die Diversifikation, das Überleben oder zumindest ein erfolgreiches Wachstum sichern. Für diese Aufgabe sind auch wir angetreten – nur wird die zeitnahe Umsetzung aktuell durch die Komplexität der Corona- Krise erschwert.

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Horváth: Abgesehen von familien-spezifischen Aspekten – welche betriebswirtschaftlichen Instrumente können Sie im Festspielhausmanagement einsetzen?
Koners: Ich persönlich lege sehr viel Wert auf größtmögliche Transparenz im Reporting. Das einmal vorneweg, denn für manche Mitarbeiter ist diese Transparenz noch ungewohnt. Die tradtionellen Instrumente, wie z.B. die Deckungsbeitragsrechnung, passe ich schrittweise an unsere aktuellen Bedürfnisse an und beim Thema Budgetplanung sind wir durch die Saisonlogik, die nicht mit den Jahresscheiben übereinstimmt, automatisch in einem rollierenden System. Neu eingeführt haben wir für unsere Strategiediskussionen eine fundierte Umfeld- und Trendanalyse, und vor allem eine detaillierte Diskussion der Stärken und Schwächen unseres bestehenden Geschäfts modells, auch mithilfe des Business Model Canvas. Mir sind der gemeinsame Blick nach außen und die gedank liche Öffnung sehr wichtig, um innen die richtigen Weichen zu stellen.

Horváth: Die „Festspielhausfamilie“ hat verschiedene Gremien und Entscheidungsträger (Stiftungsrat, Stiftungsvorstand, Kuratorium, Fördererkreis, Unternehmerkreis, Freundeskreis etc.). Inwieweit erinnert Sie das an Familien mit mehreren Stämmen, die koordiniert werden müssen?
Koners: Das ist tatsächlich ein passender Vergleich. Der Stiftungsrat ist sehr vergleichbar mit der Gesellschafterversammlung eines Familienunternehmens. Aus dessen Kreis werden sowohl die beiden Vorsitzenden des Stiftungsrats als auch die beiden Vorsitzenden des Stiftungsvorstands als Vertreter gewählt. Der Vergleich passt allerdings auch insofern, als die Stifter verständlicherweise ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben, was den Informations- und Kommunikationsfluss, aber auch die Nähe zum Tagesgeschäft angeht. Eine regel mäßige Information ist hier von sehr großer Bedeutung, besonders in den letzten Monaten, in denen keine Veranstaltungen und somit „zufällige“ Begegnungen im Haus möglich waren. Jedes Gremium trägt dazu bei, das Festspielhaus und die Festspiele zu fördern; somit muss jedes Gremium auch persönlich „abgeholt“ und informiert werden.

Horváth: Sehen Sie Chancen und Möglichkeiten, gerade Familienunternehmer für das Festspielhaus als Besucher und natürlich als Mäzene zu gewinnen?
Koners: Viele Unternehmerfamilien sind bereits Gäste und Förderer des Hauses, und natürlich freuen wir uns, wenn dies auch in Zukunft so sein wird. Ideen für ganz spezifische Förderprojekte haben wir bereits entwickelt, ganz besonders auch im Bereich von jungen Künstlern und den Themen Partizipation, Bildung und lebenslanges Lernen – also dem sogenannten Impact, den das Festspielhaus generiert. Hier liegt noch enormes Potenzial.

Horváth: Können Sie sich bereits die Nach-Corona-Zeit vorstellen? Was wird das „New Normal“?
Koners: Im Kulturbereich – zumindest dort, wo es sich nicht um rein staatliche Häuser handelt – wird es im ersten Schritt nicht nur um das „New Normal“ gehen, sondern tatsächlich darum, welches Haus und welcher Veranstalter die Corona- Phase überleben wird. Für unser Haus bzw. die Festspiele in Baden-Baden können wir schon jetzt sagen, dass das „New Normal“ nicht vergleichbar mit der Vor-Corona-Zeit sein wird. Wir sind bereits mitten in einem Transformationsprozess. Und ich könnte mir vorstellen, dass nicht nur bei uns, sondern bei vielen Klassikfestivals zukünftig beispielsweise sehr viel kurzfristiger und flexibler geplant werden muss und die Programme wie auch Tourneedaten nicht schon drei bis vier Jahre im Voraus festgezurrt werden müssen. Vieles vor Corona Undenkbare wird heute bei uns aus der Perspektive „Wie wird es möglich?“ hinterfragt. In gewisser Weise sind wir also schon längst im „New Normal“ angekommen.


ZUR PERSON

Dr. Ursula Koners ist Geschäftsführerin bei der Festspielhaus und Festspiele Baden-Baden gGmbH. Zuvor leitete sie acht Jahre lang das Friedrichshafener Institut für Familienunternehmen (FIF) an der Zeppelin Universität und fungierte dort u.a. als Programmdirektorin des berufsbegleitenden Master-Studiengangs „Family Entrepreneurship“. Sie ist selbst in einer Unternehmerfamilie aufgewachsen und war u.a. in führenden Positionen bei der Ravensburger Spieleverlag GmbH und der S. Siedle & Söhne OHG tägig. Zudem ist sie Co-Gründerin der Philoneos GmbH sowie Kuratoriumsmitglied der EQUA-Stiftung in München.

Prof. Dr. Dr. hc. mult. Péter Horváth ist Controlling-Exper­te, Unternehmensberater und Emeritus des Lehrstuhls für allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Controlling an der Universität Stuttgart. Er gilt als Mitbegründer der betriebswirt­schaftlichen Wissenschaftsdisziplin Controlling. Als ein Herausgeber der „FuS – Zeitschrift für Familienunternehmen und Strategie“ interviewt er in unregelmäßigen Abständen Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Gesellschaft.

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