Unternehmer-Töchter

Noch vor zehn Jahren kamen Unternehmer-Töchter in mittelständischen Familienbetrieben für die Nachfolge des Patriarchen meist nur als „Notlösung“ infrage. Inzwischen hat sich viel geändert, wie eine noch unverö† entlichte Studie belegt. Vier Firmenchefinnen erzählen ihre Geschichte – und die ihrer Väter.

Als sie gerade einmal 16 Jahre alt war, traf Marie-Christine Ostermann eine Entscheidung fürs Leben. Sie war ein ganz normaler Teenager, ging zur Schule, traf sich mit Freunden und hatte eigentlich kaum Verbindung zum Unternehmen ihres Vaters. „Trotzdem war es irgendwie immer spannend für mich“, erzählt Ostermann heute. Was damals ihre genauen Beweggründe waren, kann sie selbst nicht mehr so richtig sagen. Doch an einem Tag im Jahr 1994 ging sie zu ihrem Vater und erklärte ihm: „Papa, ich will ins Unternehmen einsteigen – und ich will die Geschäftsführung übernehmen!“ Heute gehören der Tochter von Carl-Dieter Ostermann 33% der Anteile an der Rullko Großeinkauf GmbH & Co. KG in Hamm, die mit 150 Mitarbeitern zuletzt einen Umsatz von 75 Mio. EUR erzielte. Die Geschäfte führt die 36-Jährige seit acht Jahren gemeinsam mit ihrem Vater und beide sind damit sehr zufrieden. „Auch wenn es ab und zu mal Knatsch gibt“, schmunzelt die Tochter.

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Marie-Christine Ostermann: Mit ihrem Vater Carl-Dieter ist sie für Rullko Großeinkauf verantwortlich.

Das Beispiel von Ostermann und ihrer frühen Entscheidung für den Einstieg in die Geschäftsführung der väterlichen Firma mag ein Ausnahmefall sein. Klar ist aber: In mittelständischen Familienunternehmen sind die Töchter auf dem Vormarsch. Noch vor zehn Jahren galten sie für die Nachfolge des Firmenlenkers eher als „Notlösung“. Wissenschaftlichen Studien aus dieser Zeit zufolge durfte das Gros der Unternehmer-Töchter nur dann in die Fußstapfen des Patriarchen treten, wenn keine Brüder oder andere männliche Nachfolger zur Verfügung standen. Übernahm tatsächlich eine Frau die Firma des Vaters, so war dies meist im Dienstleistungssektor  und auch nur in kleinen Unternehmen der Fall.

„Das ist heute anders“, sagt Dr. Daniela Jäkel-Wurzer. Sie ist Beraterin für Unternehmerfamilien und eine der beiden Gründerinnen der Initiative „generation töchter“. Jäkel-Wurzer selbst hat vor einigen Jahren zu diesem Thema promoviert und nannte ihre Untersuchung aufgrund der wenig positiven Ergebnisse „Töchter im Engpass“. „Unsere neue Studie zeigt aber, dass sich die Situation verändert hat“, erklärt sie. Die aktuelle Untersuchung hat sie gemeinsam mit der zweiten Gründerin von „generation töchter“, der Inhaberin der seneca Corporate Finance Beratung Kerstin Ott, erstellt. Über Fragebögen kontaktierten Jäkel-Wurzer und Ott 200 Töchter in Familienunternehmen. Zusätzlich führten sie 46 persönliche Interviews. Die Teilnehmerinnen lenken Firmen aller Größen und Branchen. Mehr als ein Viertel beschäftigt über 500 Mitarbeiter, 38% der Unternehmen schreiben Umsätze von über 50 Mio. EUR. Die Ergebnisse präsentieren Jäkel-Wurzer und Ott in der Studie „Weibliche Unternehmensnachfolge– gestern, heute, morgen“.

Erfolgreiche Vater-Tochter-Tandems

„Viele Unternehmer sehen ihre Töchter heute absolut nicht mehr als Notlösung“, sagt Kerstin Ott. Im Gegenteil, sie führen die Firma in einer Übergangszeit gerne zusammen mit der künftigen Nachfolgerin, unterstützen diese bereitwillig in allen Fragen und lassen sie von der eigenen Erfahrung profi tieren. „Solche Vater-Tochter-Tandems funktionieren meist sehr gut“, erklärt Ott. In der Regel halten sie auch länger, als es mit einem Sohn der Fall wäre. „Frauen gehen nicht so leicht in Konkurrenz zum Vater, bringen ihm meist sehr viel Respekt und Wertschätzung entgegen und agieren kooperativer als Männer“, berichtet Jäkel-Wurzer. Während die Tochter in der Übergangszeit, bis sie den Chef-Posten allein antritt, den Vater als Mentor an ihrer Seite hat, bringt das Tandem auch dem Unternehmer etwas: Er kann die Geschäfte nach und nach übergeben – das macht den Abschied leichter.

Marie-Christine und Carl-Dieter Ostermann bilden seit 2006 ein solches Vater-Tochter-Tandem. „Nachdem ich meinem Vater gesagt hatte, dass ich irgendwann die Firma übernehmen will, habe ich erst mal Abitur gemacht, danach eine Bankenlehre“, erinnert sich die Rullko-Geschäftsführerin. Es folgten ein BWL-Studium und ein Trainee-Programm bei Aldi, bevor Ostermann tatsächlich einen Minderheitsanteil am Unternehmen bekam und in die Geschäftsführung einstieg. „Rullko beliefert Altenheime und Krankenhäuser mit Lebensmitteln aller Art“, sagt Ostermann. Da sie während ihrer Aldi-Zeit die  Lebensmittelbranche von der Pike auf kennengelernt hatte, stellte sie sich nun ein Trainee-Programm für das eigene Unternehmen zusammen, arbeitete in allen Abteilungen, selbst im Lager und im Tiefkühlraum.

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