Gute Unternehmenszahlen, weniger Konjunkturrisiken, ein günstiges Finanzierungsumfeld: Die Gründe für den Aufschwung bei Übernahmen und Fusionen sind vielfältig. Zudem haben etliche Unternehmen eine Menge Geld in der „Kriegskasse“.
Am M&A-Markt ist der Knoten offenbar geplatzt. Nachdem sich bereits in der zweiten Jahreshälfte 2013 eine Erholung abgezeichnet hatte, hat sich das Geschehen rund um Fusionen und Übernahmen (Mergers & Acquisitions, kurz M&A) in der ersten Jahreshälfte 2014 deutlich belebt. Im Transaktionsvolumen gab es in Deutschland den stärksten Zuwachs seit dem Vorkrisenjahr 2007. Insbesondere im Frühjahr erfuhr der Markt einen kräftigen Aufschwung. Abzulesen ist dies unter anderem an zwei Meldungen aus der Bankenwelt: Im Juli legten Goldman Sachs und Morgan Stanley deutlich verbesserte Quartalergebnisse im Investmentbanking vor – insbesondere aufgrund des M&A-Beratungsgeschäfts und damit verbundenen Finanzierungen. Dritte im Bunde der führenden Banken im deutschen M&A-Geschäft ist die Deutsche Bank, bei der die Gebühreneinnahmen im Investmentbanking nur so sprudelten.
Nicht so überteuert wie 2007/2008
Der lange erwartete Durchbruch kam vor dem Hintergrund eines auch weltweit starken M&A-Aufschwungs – für besonderes Aufsehen sorgten vor wenigen Monaten u.a. die Kaufofferte des US-Pharmariesen Pfizer für den britischen Konkurrenten Astra-Zeneca und der Bieterkampf zwischen General Electric und Siemens um die Energiesparte von Alstom. Die Bereitschaft von Managern und Unternehmern, sich mit dem Thema M&A zu befassen, ist so groß wie seit 2007/2008 nicht mehr. Anders als damals werden heute allerdings keine „Mondpreise“ gezahlt, und das Geschehen ist längst nicht mehr so stark von Finanzinvestoren geprägt. Den meisten Unternehmen geht es gut, die Perspektiven sind positiv, Liquidität ist reichlich vorhanden, das Finanzierungsumfeld hervorragend. Und in der Eurokrise scheint für viele das Schlimmste überstanden. Der Aufschwung in Deutschland erfasst sehr viele Branchen – besonders aktiv sind bislang Pharma, Chemie, EDV, Telekommunikation, Finanzen und Dienstleistungen.
Transaktionsvolumen: plus 46 Prozent
Laut Zahlen von Angermann M&A International stieg das Volumen (Gesamtwert) von Transaktionen mit deutscher Beteiligung im ersten Halbjahr 2014 um satte 46 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2013 – von 63 auf 92 Mrd. Euro. 2013 insgesamt waren es 137 Mrd. Dabei sind Fusionen und mehrheitliche Übernahmen eingerechnet, die mit deutscher Beteiligung auf der Käufer- und/oder Verkäuferseite vonstatten gingen. Das Transaktionsvolumen am M&A-Markt ist nicht nur aufgrund einiger großer Deals höher als im Vorjahr, sondern auch weil das Bewertungsniveau in den letzten neun bis zwölf Monaten noch einmal gestiegen ist. „Die Multiples für gute Unternehmen sind auf 8 bis 9 mal EBITDA, teilweise sogar auf den Faktor 10, hochgegangen. Ein Aufwärtstrend, wie man ihn sich vor einem Jahr kaum erträumt hätte“, sagt Dr. Axel Gollnick von Angermann M&A International.
Zahl der Transaktionen: plus 13 Prozent
Die eigentliche Aktivität im mittelständisch geprägten deutschen Markt bemisst sich allerdings noch gewichtiger an der Zahl der (registrierten)
PE-Investoren leicht zurückhaltend
Die Private-Equity-Branche partizipiert mit einem Plus von 4 Prozent nur unterproportional am Marktwachstum. Gollnick sieht hier den Grund zum Teil in einer gewissen Vorsicht: „Man will nicht wieder wie 2007/2008 zu teuer einsteigen. Nicht jeder Preis wird bezahlt, man schaut sich das dann lieber zweimal an.“
Vor allem die Branchen IT, Telekommunikation, Chemie/Pharma, Healthcare und fast der gesamte Dienstleistungsbereich weisen eine hohe M&A-Aktivität auf. „Da sind Branchen richtig im Umbruch“, stellt Gollnick fest. Als Beispiele nennt er die Übernahme von Celesio durch McKesson, von Rhön Kliniken durch Fresenius sowie die Käufe von Algeta und des OTC-Bereichs von Merck & Co. durch Bayer. Im Telekommunikationsbereich ist es die Übernahme von E-Plus durch Telefónica O2.
Bewegung bei Autozulieferern
Auch in der Branche der Autozulieferer tut sich einiges. Das chinesische Staatsunternehmen Avicem übernimmt den sächsischen Automobilzulieferer Koki Technik Transmission Systems. Das Unternehmen bekomme dadurch einen strategischen Investor, der die Möglichkeit der Weiterentwicklung biete, erklärte Koki im Juli. Darauf habe man intensiv hingearbeitet. In den vergangenen Jahren hatten chinesische Unternehmen bereits vermehrt Mittelständler gekauft, so das schwäbische Unternehmen Putzmeister, den Spezialisten für Pkw-Schließsysteme Kiekert und den Gabelstapler-Hersteller Kion. Für ausländische Strategen ist der deutsche Mittelstand ein attraktives Ziel, erwerben sie doch auf diese Weise gutes Know-how und ein starkes Bein im europäischen Markt.
Deutsche kaufen international
Es geht aber auch andersherum. So berichtete der Maschinenbauer Trumpf von guten Geschäften in Asien nach der Übernahme des chinesischen Werkzeugmaschinen-Herstellers JFY. Und ZF Friedrichshafen, hinter Bosch und Conti die deutsche Nummer drei unter den Autozulieferern, ist am börsennotierten US-Konkurrenten TRW Automotive (17 Mrd. US-Dollar Umsatz 2013) dran. Etwa 12 Mrd. US-Dollar oder mehr könnten auf den Tisch gelegt werden, war zu hören. ZF würde mit dem Zukauf seine Präsenz in Nordamerika schlagartig ausbauen und auch im Zukunftsgeschäft „selbstfahrendes Auto“ entscheidend vorankommen. Dass deutschen Unternehmen auch vor großen Deals im Ausland nicht bange ist, zeigten im Frühjahr bereits u.a. der Reifenkonzern Continental mit dem Kauf des US-Kunststoffherstellers Veyance und der Aromenhersteller Symrise mit seiner milliardenschweren Übernahme von Diana, einem französischen Anbieter von Inhaltsstoffen in Nahrungsmitteln.
Gutes Finanzierungsumfeld – weniger Stau
„Die Belebung des Marktes hat sich praktisch über alle Branchen und Transaktionsgrößen hinweg eingestellt“, sagt Leif Zierz, Bereichsvorstand
Keine Überbewertung in Sicht
Allerdings habe sich nichts daran geändert, dass die Akteure immer noch Vorsicht walten ließen und großen Wert auf eine gründliche Due Diligence legten. „Plakativ gesagt: Die Leute haben aus der Krise gelernt, und dies stellt sich auch als nachhaltig heraus“, so Zierz. Er geht deshalb davon aus, dass es keine Übertreibungen bei den Bewertungen und Kaufpreisen geben wird wie damals vor Ausbruch der Finanzkrise. „Es gibt eine generelle Professionalisierung und kritische Sicht auf den Markt. Und teilweise haben wir immer noch Bewertungs-Gaps, also sehr unterschiedliche Preisvorstellungen von Käufern und Verkäufern, was immer wieder zu langen Transaktionsprozessen führt.“ Risiken für den Markt sieht Zierz am ehesten im geopolitischen Bereich. „Ansonsten glaube ich schon, dass das Marktumfeld wegen des Transaktionsstaus gut bleiben wird.
Günstige Kredite für PE-Deals
Familienunternehmen zögern oft
Im Segment der Familienunternehmen sei dagegen kein so starker Transaktionstrend erkennbar. „Der Mangel an rentierlichen Anlagemöglichkeiten schreckt viele ab, den Schritt zu einem Verkauf tatsächlich zu gehen“, sagt Schulz. Eines der wenigen Gegenbeispiele sei der kürzliche Verkauf des Familienunternehmens Wild Flavors, eines Aromenherstellers, an den US-Konzern Archer Daniels Midland. Grund war die ungelöste Nachfolge. Neben dem Konsumbereich zählt Schulz die Segmente Telekommunikation und Finanzdienstleistungen zu den besonders transaktionsaktiven Branchen. Und weiter anziehen könne im weiteren Jahresverlauf wegen wachsender Konsolidierungstendenzen der Chemiesektor; auch hier könnten strategische Käufer auf üppige Cash-Reserven zurückgreifen.
Fazit
Nach vorliegenden M&A-Zahlen wurden zur Jahresmitte schon zwei Drittel des Transaktionsvolumens vom Gesamtjahr 2013 erreicht. Und es spricht momentan wenig gegen einen gut laufenden Markt auch im zweiten Halbjahr. Mit ordentlich Cash in der Kasse kommen Unternehmen durch eine Akquisition eben viel schneller in ihrer internationalen Marktpositionierung voran als durch organisches Wachstum. Doch sicher ist nichts, auch nicht im M&A-Boom: Gefahren sehen Experten wie Gollnick in erster Linie von politischer Seite, mit der ukrainisch-russischen Krise sowie den Brennpunkten um Iran, Syrien und Israel.