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„TTIP steht auch für gemeinsame, freiheitliche Werte“

Fast nichts spaltet die öffentliche Meinung derzeit so stark wie das Transatlantische Freihandelsabkommen, kurz TTIP. Kritiker befürchten eine Aufweichung von Verbraucherstandards und den Verlust von Rechtssicherheit. Befürworter weisen auf die Potenziale des weltweit größten Handelsraums und die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen hin. Fakt ist: Die USA sind einer der wichtigsten Auslandsmärkte der deutschen Wirtschaft. Das gilt auch für den deutschen Maschinen- und Anlagenbau. Der Verband VDMA startete eine Umfrage unter Mitgliedsunternehmen zu den Vor- und Nachteilen des geplanten Abkommens. 

Interview mit Wilhelm Rehm, Vorstandsmitglied der ZF Friedrichshafen AG

Was ist gesamtwirtschaftlich betrachtet der größte Nutzen von TTIP?
Wilhelm Rehm: TTIP vereinfacht den Handel und steigert das Wirtschaftswachstum in den USA und Europa. In erster Linie bedeutet das die Abschaffung von Zöllen und bürokratischen Handelsschranken. Als Export-Weltmeister muss Deutschland ein Interesse daran haben, die Handelsbilanz zwischen den USA und Europa weiter auszubauen. Für europäische Unternehmen wird der Marktzugang in den USA erleichtert, gerade kleinere und mittelständische Unternehmen können von den veränderten Rahmenbedingungen profitieren.

Der Wegfall der Handelshemmnisse führt Prognosen zufolge zu einer Zunahme des Handels und damit zu mehr Arbeitsplätzen. Steigt nicht auch der Druck des Wettbewerbs?
Der Wettbewerb nimmt generell zu, nicht nur wegen TTIP, sondern auch wegen der aufstrebenden Schwellenländer. Hier müssen wir wachsam sein und weiter in Forschung und Entwicklung investieren, um auch zukünftig einen Vorsprung zu haben. Allerdings müssen wir hier auch unser Engagement an der Basis verstärken, konkret heißt das: bei Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Wir sollten aber auch bedenken, dass uns TTIP durch die Vergrößerung des Freihandelsraums und die damit einhergehende Marktmacht helfen kann, uns gegen die aufstrebenden Schwellenländer zu behaupten.

Auch in den USA gibt es Kritiker von TTIP. Vorgebracht werden überwiegend dieselben Argumente: Aushebelung von Standards, alles für die Großkonzerne. Sollte es nicht einen gemeinsamen Versuch geben, das Misstrauen zu beseitigen?
Es liegt in der Natur der Sache, dass es gegen ein komplexes Projekt wie TTIP Vorbehalte gibt. Viele Ängste, die vorgetragen werden, haben mit TTIP aber weniger zu tun, sondern mit der Globalisierung generell. Denn egal ob Freihandelszone oder nicht, intensive Handelsbeziehungen zwischen USA und Europa bestehen bereits jetzt. Nun geht es darum, bürokratische Hürden zu beseitigen und den Handel noch weiter zu intensivieren.Wie kann der Maschinenbau der Öffentlichkeit klarmachen, dass TTIP ein Segen und kein Fluch ist, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, man denke doch auch nur an die eigene Gewinnmaximierung?
Natürlich profitieren große Unternehmen und Konzerne von globalen Märkten. Durch Freihandelszonen und das damit verbundene Wirtschaftswachstum profitiert aber nicht zuletzt auch die Bevölkerung. Ziel von TTIP ist nicht die Gewinnmaximierung ausgewählter Firmen, sondern die Steigerung des allgemeinen Wohlstands sowohl in Europa als auch in den USA.

Selten zuvor wurde ein Abkommen so transparent kommuniziert wie TTIP. Warum hilft das nicht dabei, Bedenken zu zerstreuen?
Ich habe nicht den Eindruck, dass die Debatte sehr transparent geführt wird. Die Verhandlungen sind nicht öffentlich, nur wenig dringt nach außen. Die USA beispielsweise verbieten die Herausgabe jeglicher Informationen, nur ausgewählte Vertreter aus Wirtschaft und Politik erhalten Einblick in die Planungen. EU-Kommission und Weißes Haus müssen meines Erachtens für mehr Transparenz sorgen und die Inhalte des Abkommens klarer kommunizieren. TTIP betrifft rund 800 Millionen Menschen in Europa und den USA. Diese Menschen wollen Antworten auf ihre Fragen.

Sehen Sie die Gefahr, dass die EU bei TTIP zu „blauäugig“ verhandelt und man angesichts der erhofften Marktchancen zu viele Zugeständnisse macht?
Ich gehe davon aus, dass die Verhandlungen auf Augenhöhe geführt werden. Das betrifft zum einen die Senkung der Zölle auf beiden Seiten, Investorenschutz und Transparenz. Kompromissbereitschaft ist sicherlich von beiden Seiten gefordert. Jedoch sollte es die Möglichkeit geben, dass Standards, die für einen Vertragspartner nicht verhandelbar sind, gegebenenfalls von TTIP ausgeklammert werden.

Eine Prognose: Was wären die Konsequenzen, würde TTIP nicht weiter verfolgt?
Eine große Chance für Europa wäre vertan, denn das Freihandelsabkommen stärkt unsere globale Wettbewerbsfähigkeit. Schließlich handelt es sich bei den Vertragspartnern um zwei ökonomische Mächte, die zusammen rund die Hälfte der Weltwirtschaftsleistung produzieren. Ein Scheitern wäre nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht fatal. TTIP steht für freien Handel, aber auch für gemeinsame, freiheitliche Werte. Durch TTIP rücken Europa und die USA näher zusammen.


Zur Person

Wilhelm Rehm ist Mitglied des Vorstands der ZF Friedrichshafen AG. Als Spezialist für Antriebs- und Fahrwerkstechnik gehört das schwäbische Unternehmen zu den zehn größten Automobilzulieferern weltweit. 2013 lag der Umsatz bei 16,8 Mrd. Euro. Der 56-Jährige Rehm zuständig für Materialwirtschaft und Industrietechnik. www.zf.com

Lesen Sie die Interviews auch auf vdma.org.

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