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Supply Chain Finance

Deutsche Firmen müssen im Schnitt 30 bis 45 Tage warten, bis ihre Rechnungen bezahlt werden. Manche gar 90 Tage. Der Käufer möchte die gelieferte Ware natürlich möglichst spät bezahlen, um Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen zu erhöhen und so seine Kapitalbindung zu senken. Derartige Zahlungsziele können Lieferanten in Bedrängnis bringen.

Denn die müssen Mitarbeiter und Rohstofflieferanten bezahlen, haben aber oft nicht genügend Eigenkapital, um die Wartezeiten zu überbrücken. Gerade kleine und mittelständische Betriebe haben damit zu kämpfen, meint Prof. Dr. Michael Henke, Leiter des Lehrstuhls für Unternehmenslogistik der Fakultät Maschinenbau der TU Dortmund sowie Institutsleiter am Fraunhofer IML. Er sieht in Supply Chain Finance einen „smarten“ Ansatz, um gerade Zulieferern aus der Bredouille zu helfen: „Unternehmen haben verstanden, dass sie mit ihren Lieferanten sorgsamer umgehen müssen. In der Vergangenheit hat man oft nicht gesehen, dass es einem Lieferanten schon schlecht geht. Wenn ein wichtiger Lieferant insolvent geht und ein wichtiges Bauteil nicht rechtzeitig zur Verfügung steht, hat das Auswirkungen auf den eigenen Umsatz.“

Mittelständler profitieren von der Bonität ihrer Kunden

Betriebe, die nicht so lange auf ihr Geld warten wollen, können sich an ihre Bank wenden und ihre Forderung verkaufen. Doch dieser Forderungsverkauf, genannt Factoring, ist mit hohen Gebühren verbunden. Supply Chain Finance gilt als relativ neues Instrument, das allen Beteiligten einer Lieferkette helfen soll: Der Lieferant wird sofort nach Rechnungsprüfung bezahlt, der Hersteller hat sein Nettoumlaufvermögen (und damit seine Kapitalbindung) reduziert, und die Bank verdient an Zinsen und Gebühren und erschließt sich eine neue Kundengruppe. Denn nun macht sie auch mit den Lieferanten des Herstellers Geschäfte.

Dass es kleine und mittelständische Betriebe oft schwer haben, einen Kredit von ihrer Hausbank zu bekommen, weiß auch Dominic Broom. Er ist bei der Bank of New York Mellon für das Cash Management und die Finanzierungsdienstleistungen zuständig. Er kann einem Unternehmen eine Finanzierung zu besseren Konditionen gewähren, wenn er weiß, an wen es seine Waren liefert. Dann kann er eine sogenannte Kreditsubstitution vornehmen: „Der Charme von Supply Chain Finance liegt darin, dass man die Zahlungsverpflichtung an den kreditwürdigsten Teil der Lieferkette bindet“, erklärt Broom. „Wenn ich einem Sublieferanten Geld leihen würde, ohne dass ich wüsste, an wen er seine Waren verkauft, müsste ich meine Entscheidung von seiner Kreditwürdigkeit abhängig machen. Wenn aber die Zahlungsverpflichtung letztendlich bei einem sehr bekannten Automobilhersteller, z.B. bei Volkswagen liegt, wird das von einem Risikostandpunkt aus günstiger eingeschätzt.“

Der kleine Zulieferbetrieb profitiert also von der Bonität des Herstellers und von günstigeren Kreditkonditionen – hier spricht man auch von einer Bonitätsleihe. Dennoch muss der Lieferant einen Abschlag vom ursprünglichen Rechnungsbetrag hinnehmen. Die Gebühr liegt z.B. beim Supply-Chain-Finance-Programm von Siemens bei 1,3 Prozent pro Jahr plus aktuell gültigem Euro-LIBOR-Zinssatz.

Dennoch lohnt sich sich die Teilnahme an einem solchen Programm für Lieferanten. Sogar dann, wenn die Firma keine finanziellen Schwierigkeiten hat, meint Prof. Dr. Armin Schwolgin, Studiengangsleiter BWL-Spedition, Transport und Logistik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Lörrach: „Der Mittelständler kalkuliert oft die Eigenkapitalkosten nicht. Aber gebundenes Eigenkapital kostet auch Geld, sodass es durchaus für ein gut aufgestelltes Unternehmen mit hoher Eigenkapitalquote Sinn macht, Supply Chain Finance zu nutzen und so seinen Cashflow zu optimieren.“

„Die Lücke überbrücken“ – mit Bestandsfinanzierung

Der Begriff Supply Chain Finance wird in der Regel mit dem Bereitstellen eines Programms in Verbindung gebracht, das den Zahlungsverkehr zwischen einkaufendem Unternehmen, dessen Lieferanten und der Bank regelt. Siemens, die HypoVereinsbank und einige unabhängige Anbieter haben z.B. Plattformen eingerichtet, wo Lieferanten ihre Forderungen einstellen können. Mehrere Banken, Finanzinstitute oder Investoren können diese Forderungen dann über diese Plattform finanzieren.

Daneben bieten auch Logistikdienstleister oder Finanzierungsdienstleister eine Bestandsfinanzierung an. Sie nehmen dafür die physische Lieferkette und die Beziehungen zwischen den Supply-Chain-Partnern genau unter die Lupe, bewerten die Risiken und finanzieren einen Teil der Lieferkette, z.B. indem sie Bestände kaufen. Hier schaltet sich ein Dienstleister zwischen Einkäufer und Lieferant. Indem er die Bestände dem Lieferanten abkauft, schließt er die zeitliche Lücke zwischen Warenauslieferung und dem Zeitpunkt, an dem das Geld fließt. Der Lieferant erhält sein Geld sofort und hat freies Kapital zur Verfügung, um weitere Aufträge anzunehmen. Der Käufer gibt die Verantwortung für die operative Beschaffung ab und kauft die Teile, die er für seine Produktion benötigt, erst dann dem Dienstleister ab, wenn sie gebraucht werden.

Noch viel Aufklärungsbedarf

Laut Professor Henke herrscht in Deutschland zwar großes Interesse am Einsatz von Supply Chain Finance, aber auch noch viel Aufklärungsbedarf. Gerade die sprachlichen Hürden bei der Umsetzung sind nach seiner Ansicht nicht zu unterschätzen: „Sie müssen bei einem Instrument wie Supply Chain Finance viele unterschiedliche Ansprechpartner ins Boot holen und es als cross-funktionales Thema begreifen, das über die Unternehmensgrenzen hinausgeht“, erklärt er. Damit ein Projekt nicht am Widerstand einer Abteilung scheitert, müssen laut Henke nicht nur die Kollegen im Einkauf, der Logistik und in der Finanzabteilung von den Vorteilen überzeugt werden, sondern man muss auch frühzeitig die Vertreter der Lieferanten und Banken einbinden. „Die große Kunst liegt dann darin, eine Sprache zu sprechen, die wir alle verstehen.”


Zur Person

Dr. Torsten Mallée ist seit 2004 bei AEB und leitete als General Manager von 2007 bis 2012 das Tochterunternehmen der AEB in Singapur, die AEB (Asia Pacific) Pte Ltd. Heute verantwortet er am Hauptsitz in Stuttgart die Internationalisierungsstrategie und den Ausbau des internationalen Geschäfts der AEB. Seit Oktober 2013 ist Dr. Mallée Regionalgruppensprecher der BVL-Regionalgruppe Baden-Württemberg. www.aeb.de

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