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„Das ESUG bietet eine Plattform, sich zu outen“

Das ESUG hat zu einem Paradigmenwechsel geführt. Unternehmer können mit einer Krise offener umgehen. Gleichermaßen werden Gläubiger zum Verzicht aufgefordert. Ein Streitgespräch zwischen dem Berater Robert Buchalik und dem Insolvenzverwalter Joachim Voigt-Salus über das Spannungsverhältnis zwischen unternehmerischer Freiheit und verbürgter Vermögensrechte.

Unternehmerediton: Herr Buchalik, Herr Voigt-Salus, kürzlich traf ich eine Unternehmerin, die gar nicht begeistert war von der klassischen Regelinsolvenz. Sie meinte, Insolvenzverwalter hätten weder großes Branchen-Know-how noch würden viele Maßnahmen, zum Beispiel beim Stellenanbau, im Sinne des Unternehmens ablaufen. Was würden Sie beide ihr sagen?

Buchalik: Der Insolvenzverwalter hat meist kein betriebswirtschaftliches Know-how, im besten Fall holt er sich Berater, die das für ihn machen. Bei einem durchschnittlichen Verfahren mit zehn bis 15 Mitarbeitern pro Unternehmen gibt das Verfahren dies allerdings nicht her, weil dafür das Geld fehlt. Im Regelfall geht es dem Insolvenzverwalter deshalb darum, das Unternehmen so lange am Leben zu halten, bis ein Investor kommt. Ansonsten wird liquidiert.

Voigt-Salus: Mir fällt es schwer, dem Insolvenzverwalter in dem konkreten Fall per Ferndiagnose einen Vorwurf zu machen. Dass die Unternehmerin unzufrieden war mit dem Verfahren, ist die eine Seite. Wir wissen aber nicht, inwieweit der Insolvenzverwalter an Beschlüsse des Gläubigerausschusses gebunden beziehungsweise überhaupt genügend Masse vorhanden war, um alle Mitarbeiter weiter zu beschäftigen. Immerhin existiert das Unternehmen weiter und wurde nicht liquidiert. Insolvenzverwalter können auch fortführen, das beweisen sie tagtäglich.


“Insolvenzverwalter können auch fortführen, das beweisen sie tagtäglich.”

Joachim Voigt-Salus


Seit fünf Jahren gibt es nun das ESUG, die Unternehmenskrise bedeutet damit nicht mehr automatisch das Aus für den Gründer. Das klingt nach einem Fortschritt.

Buchalik: Vom ESUG geht klar die Botschaft aus, dass der Unternehmer so früh wie möglich einen Insolvenzantrag stellen sollte. Das wird er nur dann tun, wenn er die Aussicht hat, das Unternehmen auch zu behalten. Wir beraten gerade ein Unternehmen, bei dem die Zahlungsunfähigkeit erst im Herbst eintritt, es ist noch genügend Liquidität vorhanden. Wenn der Unternehmer dagegen weiß, dass er verkaufen muss, dann wird er so lange weitermachen, bis es nicht mehr geht. Das ESUG hat zwei weitere Vorteile gebracht: Erstens hat die Eigenverwaltung eine viel positivere Außenwirkung. Und zweitens werden die Gläubiger besser bedient. Während in der Regelinsolvenz durchschnittlich 1,5 Prozent der offenen Forderungen bezahlt werden, liegt die Deckungsquote bei der Eigenverwaltung bei über zehn Prozent.

Voigt-Salus: Da vergleichen Sie Äpfel mit Birnen. Denn die Eigenverwaltung wird ja bei den Unternehmen angewandt, die noch über einen geregelten Geschäftsbetrieb verfügen. Für die Regelinsolvenz bleiben dann die hoffnungslosen Unternehmen übrig, die längst nicht mehr rentabel arbeiten oder bei denen keine funktionsfähigen Einheiten mehr vorhanden sind. Hier muss der Insolvenzverwalter den Marktaustritt realisieren. Darunter fallen auch viele Kleinstunternehmen, die für die Eigenverwaltung gar nicht infrage kommen. Deswegen bringt es nichts, die Deckungsquoten gegeneinander auszuspielen. Hilfreicher ist es, sich den Einzelfall anzuschauen und mit den Gläubigern zu beraten, welche Verfahrensart konkret passt. Schließlich bedeutet ein Insolvenzverfahren für die Gläubiger einen Eingriff in ihre Vermögensrechte. Die Anordnung der Eigenverwaltung ist ein besonderes Privileg, das dem Schuldner gegeben wird.

Das ESUG hat zu einem Paradigmenwechsel geführt. Unternehmer können mit einer Krise offener umgehen. Gleichermaßen werden Gläubiger zum Verzicht aufgefordert. Ein Streitgespräch zwischen dem Berater Robert Buchalik und dem Insolvenzverwalter Joachim Voigt-Salus über das Spannungsverhältnis zwischen unternehmerischer Freiheit und verbürgter Vermögensrechte.

Also ist die Regelinsolvenz die Ultima Ratio, wenn das Unternehmen nicht mehr zu retten ist?

Voigt-Salus: Mitnichten. Die Exit-Strategie des Insolvenzverwalters ist doch, dass ein Investor das Unternehmen als gesamte Einheit kauft. Aus Gläubigersicht ergeben sich daraus Vorteile: Der Käufer übernimmt das Grundstück, die Maschinen, die Umlaufmittel und bringt noch etwas Fresh Money mit. Der Insolvenzplan ermöglicht dagegen die Fortsetzung eines meist erschöpften Unternehmens. Jeder Cent wird eigentlich benötigt, um sich am Markt neu aufzustellen. Stattdessen werden die Überschüsse aber für die Gläubigerbefriedigung eingesetzt. Gleichwohl wird der tüchtige Verwalter ein Planverfahren wählen, wenn dies im Interesse aller Stakeholder ist. Abstrakt betrachtet halte ich aber einen substanziellen Kaufpreis, der an die Gläubiger bei einer übertragenden Sanierung geht, für die bessere Lösung.

Buchalik: Wenn der Exit im Regelverfahren der Verkauf und nicht der Plan ist, dann liegt das daran, dass 95 Prozent der Insolvenzverwalter noch nie einen Insolvenzplan erstellt haben. Ich würde auch nicht davon sprechen, dass der Insolvenzplan bei einem erschöpften Unternehmen Anwendung findet. Er dient vielmehr dazu, das Unternehmen neu aufzustellen. Von den 100 Unternehmen, die wir seit 2012 bis zur Aufhebung des Verfahrens betreut haben, sind heute noch ca. 90 am Markt. Dagegen bezweifle ich stark, dass ein neuer Investor wirklich immer genügend Geld ins Unternehmen steckt. Oft handelt es sich um Asset Deals, bei denen nur Teile des Unternehmens übernommen werden.


“Ich bezweifle stark, dass ein neuer Investor immer genügend Geld ins Unternehmen steckt.”

Robert Buchalik


Eine Variante der vorläufigen Insolvenz in Eigenverwaltung ist das Schutzschirmverfahren, das dem Unternehmer noch mehr Autonomie bei der proaktiven Sanierung gewähren soll. Vermutlich schlägt hier das Herz des Eigenverwalters höher, oder?

Voigt-Salus: Ich finde das Schutzschirmverfahren gut. Ich glaube, dass es das seriösere Eigenverwaltungsverfahren ist. Nur wird es leider noch zu selten angewendet. Meiner Meinung nach liegt das an einer Bescheinigung, die ein Experte über die drohende Zahlungsunfähigkeit im Vorfeld ausstellen muss. Der Unternehmer muss diesen Experten beauftragen. An der Bescheinigung hängt allerdings, ob das Gericht ein Schutzschirmverfahren zulassen darf. Ergo muss das Schutzschirmverfahren mit dem Vorurteil kämpfen, dass es vom Unternehmer gekauft wurde. Deshalb bin ich von vornherein für einen neutralen Gutachter.

Buchalik: In der Praxis ist das doch längst der Fall. Die Gerichte bestehen fast immer darauf, dass ein neutraler Gutachter eingesetzt wird. Heute kann der Unternehmer oder Berater nicht einfach einen Sachwalter aussuchen. Die Gerichte sind da in den vergangenen Jahren deutlich härter geworden. Und die Bescheinigung sagt lediglich aus, dass das Unternehmen nicht zahlungsunfähig ist. Das Schutzschirmverfahren ist insgesamt wesentlich aufwendiger als eine vorläufige Eigenverwaltung. Deswegen halte ich davon nichts. Es spielt in der Praxis auch kaum noch eine Rolle.

Das ESUG hat zu einem Paradigmenwechsel geführt. Unternehmer können mit einer Krise offener umgehen. Gleichermaßen werden Gläubiger zum Verzicht aufgefordert. Ein Streitgespräch zwischen dem Berater Robert Buchalik und dem Insolvenzverwalter Joachim Voigt-Salus über das Spannungsverhältnis zwischen unternehmerischer Freiheit und verbürgter Vermögensrechte.

Bis Ende nächsten Jahres soll auf Wunsch der EU eine weitere Möglichkeit hinzukommen, nämlich ein außergerichtliches Sanierungsverfahren. Wird damit der Einfluss der Eigenverwaltung weiter gestärkt?

Voigt-Salus: Die EU-Initiative ist vor dem Hintergrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage vor allem der südeuropäischen Länder zu sehen. Immer dann, wenn es gesamtwirtschaftlich schlecht aussieht, ändert der Gesetzgeber strengere Insolvenzregeln zugunsten der Schuldner. Das schuldnerfreundliche ESUG hat seinen politischen Grund in der Finanzkrise 2008. Jeder, der es mit der Sanierung von Unternehmen ernst meint, kann gegen eine vorinsolvenzliche Sanierung nichts einwenden. Bei der gesetzlichen Umsetzung muss allerdings beachtet werden, dass es nicht zu einfach wird, sich von Verbindlichkeiten zu lösen. Wenn die Gläubiger verzichten, müssen sie davon auch profitieren.

Buchalik: Ich stimme überein, dass dieses Verfahren noch konkreter gefasst werden muss. Viele Fragen sind noch völlig offen. Positiv sehe ich, dass die Restschuldbefreiung schon nach drei Jahren statt wie bisher nach sieben Jahren greifen soll. Trotzdem kann die außergerichtliche Sanierung das ESUG nicht ersetzen, weil einige Möglichkeiten nicht vorgesehen sind: die Liquiditätsbeschaffung über Insolvenzgeld etwa oder der Eingriff in Mitarbeiterrechte. Von daher muss man abwarten, ob dieses Verfahren wirklich einen Fortschritt darstellt.

Inwieweit führen die angesprochenen Insolvenz- oder Sanierungsverfahren zu einem kulturellen Bruch beziehungsweise verändern das gesellschaftliche Bild von demjenigen, der unternehmerisch gescheitert ist?

Buchalik: Steve Jobs, Henry Ford und Walt Disney sind in ihrem Leben mindestens ein Mal durch ein Insolvenzverfahren gegangen. Alle drei waren große Unternehmer. So etwas werden Sie in Deutschland nicht finden. Wer hier unternehmerisch gescheitert ist, der ist meist auch persönlich stigmatisiert. Das ESUG bietet eine Plattform, sich zu outen. Trotzdem sind wir noch nicht so weit, wie in den USA das Scheitern als sogenannte Expertise zu verkaufen.

Voigt-Salus: Die Konkursgesetze in den USA sind historisch bedingt schuldnerfreundlicher. Es gibt aber auch eine andere Einstellung zum Risiko und zur Gefahr. In Deutschland verdammen wir eher das Unternehmertum. Unternehmer gelten als Reiche und Ausbeuter. Die meisten Unternehmer, die ich kenne, gehen ein Wagnis ein, haben gute Absichten und scheitern aufgrund externer Umstände, zum Beispiel weil der Gesetzgeber unvorhersehbar die Rahmen- und Kalkulationsgrundlagen ändert. Den Unternehmern dann vorzuwerfen, sie hätten persönlich versagt, ist eine zweite Ohrfeige.


Zu den Personen

Robert Buchalik ist Rechtsanwalt und unter anderem seit 20 Jahren Geschäftsführer der Unternehmensberatung und Kanzlei Buchalik Brömmekamp, die auf die Restrukturierung und Sanierung von mittelständischen Unternehmen spezialisiert ist. Seit Einführung des ESUG hat er bereits über 100 Unternehmen bei der Insolvenz in Eigenverwaltung beraten.

www.buchalik-broemmekamp.de

 

 

 

Joachim Voigt-Salus ist Gründungspartner der gleichnamigen Rechtsanwaltskanzlei und als Insolvenzverwalter sowie Sachwalter auch in Großverfahren aktiv. Er berät Unternehmen sowie Banken bei Sanierungen, übernimmt CRO-Mandate und gestaltet Insolvenzpläne

www.voigtsalus.de

 

 

 

 

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