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Skepsis gegenüber dem Massenkredit

Crowdlending gilt als schicke Alternative zum Kredit bei der Hausbank. Vor allem Technologiefirmen finden hier Geldgeber. Doch der Markt kommt nur schwer in Gang. Mittelständler tingeln immer noch lieber zur Hausbank. Dabei können Mischformen der Kreditfinanzierung durchaus sinnvoll sein.

Die Entscheidung fällt am Frühstückstisch. Als Werner Zimmermann sonntags die Zeitung durchblättert, liest er über Crowdlending. Eine Finanzierungsform ohne Bank, bei der private und institutionelle Anleger Firmen Geld leihen. Organisiert werden die Deals über Online-Kreditplattformen. Zimmermann nippt am Kaffee und beschließt tags darauf, bei einem der Anbieter anzurufen. Der Inhaber des Rhenocoll-Werks, eines traditionellen Farbenherstellers, will 200.000 Euro als Kredit aufnehmen. Geld, mit dem er einen Online-Shop für sein neues Produkt starten will: „Gesundfarben“ sind biozidfreie Fassaden- und Wandfarben, die der Diplom-Chemiker zum Patent angemeldet hat und übers Netz verkaufen will. Der Weg zur Bank ist ihm zu steinig. Zimmermann will schnell handeln, das Prozedere mit der Bank dauert oft mehrere Monate. Zudem sind die Anforderungen an einen Kredit hoch. Weitere Sicherheiten hätte der Unternehmer liefern müssen.

Gesundfarbe von Rhenocoll: Innerhalb einer Woche sammelte das Unternehmen 200.000 Euro von der Crowd ein.

Nach einem kurzen Anruf und Mailen der aktuellen Betriebsauswertungen erhält der Chef von 50 Mitarbeitern innerhalb kurzer Zeit die Zusage: Die Kreditplattform Kapilendo findet das Digitalprojekt der Farbenfabrik kreditabel und will Anleger finden. Also schicken die Berliner Jungunternehmer ein Filmteam in die Westpfalz. In 60 Sekunden schneidet es zusammen, weshalb es sich lohnt, für das Wachstum der Gesundfarben Geld zu leihen. Der Kurzfilm wandert auf die Kreditplattform. „Binnen einer Woche war die Investitionssumme eingesammelt“, erinnert sich Zimmermann, der die Firma in zweiter Generation führt. Er hat die Crowd überzeugt, der Kredit steht. Der Zinssatz beträgt 4,5 Prozent, die Laufzeit drei Jahre.

Markt steht erst am Anfang

Doch so schön die Geschichte klingt, der Markt kommt nicht recht in Schwung: Nach Angaben des Cambridge Center for Alternative Finance wurden 2015 insgesamt 249 Mio. Euro über Online-Plattformen wie Kapilendo, Unternehmerich und Auxmoney abgerufen. Im Vergleich zum Vorjahr ist das zwar ein Plus von 75 Prozent. Gemessen am Gesamtvolumen der Kreditnachfrage von Mittelständlern für Investitionszwecke allerdings verschwindend gering. Im Jahr 2015 betrug diese nach Angaben der KfW insgesamt rund 132 Mrd. Euro. Demnach wurden gerade einmal zwei Promille des Volumens online abgewickelt. Zudem ist die Szene zuletzt in die Schlagzeilen geraten. In kurzer Zeit meldeten mehrere FinTechs, die Start-ups finanziert haben, Insolvenz an. Diese hatten teils in den Vorjahren siebenstellige Summen eingesammelt. Da Kreditplattformen nur als Vermittler tätig sind, ist allerdings kein Ausfallrisiko für Anleger und Kreditnehmer vorhanden.

Crowdlending gilt als schicke Alternative zum Kredit bei der Hausbank. Vor allem Technologiefirmen finden hier Geldgeber. Doch der Markt kommt nur schwer in Gang. Mittelständler tingeln immer noch lieber zur Hausbank. Dabei können Mischformen der Kreditfinanzierung durchaus sinnvoll sein.

Story statt Bürgschaften

KPMG-FinTech-Expertin Irene Pitter sieht in der Bereinigung einen normalen Prozess. Zu Beginn des Fintech-Hypes strömten viele Anbieter auf den Markt. Nicht alle sind aber hinsichtlich Prozesstechnik und Vermarktung Profis und geben deshalb wieder auf. Andere werden von Banken gekauft. Laut einer Studie von Roland Berger ist das sogar ein erklärtes Ziel. 86 Prozent der Finzechs wollen mit etablierten Finanzdienstleistern kooperieren. Dieses Interesse bestätigt auch Wolfgang Kirsch, Vorstandschef der DZ Bank, im Rahmen des Münchner Managementkolloquiums Mitte März: „Die Fintechs machen uns ganz schön Feuer. Es macht Sinn, mit ihnen zusammenzuarbeiten.“

Online-Kapitalmarktplätze unterscheiden sich im Kern zur klassischen Bankfinanzierung. Wo Banker Grundschulden, Sicherungsübereignungen und persönliche Bürgschaften verlangen, reicht manchem privaten Geldgeber eine glaubhafte Story. „Statt Sicherheiten zu kassieren, wollen die Leute an das Projekt glauben“, sagt Christopher Grätz, CEO von Kapilendo. Kreditalternativen über die Crowd sind vor allem geeignet, Gebäude, Maschinen oder Werkzeuge für das Wachstum zu finanzieren. Auch digitale Projekte stehen ganz oben. Ganz im Gegensatz zur Prioritätenliste geldgebender Banken. Wenn Investitionen nicht ratiogetrieben sind, tun sich Geldhäuser mit der Kreditvergabe schwer – „Emotionen sind den Banken nicht erlaubt“, betont KPMG-Expertin Pitter.

Plattform als Marketinginstrument

Erkennen Firmeninhaber, dass die Finanzierung nicht mehr hinter verschlossenen Türen verhandelt, sondern über die Portale sogar als Marketinginstrument eingesetzt werden, kann ein Umdenken stattfinden – auch bei Mittelständern.

Jurek Voelkel vom gleichnamigen Biosaft-Hersteller kann das bestätigen. Die Niedersachsen haben 1,5 Mio. Euro über die auf mittelständische Firmen spezialisierte Crowdinvesting-Plattform Finnest eingesammelt. Rund 200 private Investoren überwiesen zu Jahresbeginn Geld für den Kauf einer Abfüllstraße für Mehrwegflaschen. Eine rentable Anlage: Fünfeinhalb Jahre lang bezahlen die Saftproduzenten mit 80-jähriger Firmenhistorie einen Zinssatz von jährlich drei bis fünf Prozent.

Crowdlending gilt als schicke Alternative zum Kredit bei der Hausbank. Vor allem Technologiefirmen finden hier Geldgeber. Doch der Markt kommt nur schwer in Gang. Mittelständler tingeln immer noch lieber zur Hausbank. Dabei können Mischformen der Kreditfinanzierung durchaus sinnvoll sein..

Voelkel freut sich über die große öffentliche Aufmerksamkeit. „Viele Medien haben über uns berichtet“, sagt der 25-jährige Vertriebs- und Marketingleiter. Zwar sei der Effekt nicht sofort am Absatz zu spüren, dennoch bekomme Voelkel seither jede Menge Anfragen. Etwa aus Fernost: In China wolle ein Safthersteller das Prinzip vermarkten. Außerdem würden sich weitere Darlehensgeber bei den Bio-Pionieren melden. Viele wollten sich dauerhaft an das Familienunternehmen aus dem Wendland binden. Schnell spielte die Kampagne auf der Plattform die vierstellige Gebühr für das vermittelnde FinTech-Unternehmen und die zusätzlichen Zinsen für die Anleger ein. „Reklame würde deutlich mehr kosten“, sagt Voelkel.

Tanklager von Voelkel: Der Biossafthersteller setzt Crowdlendig auch als Marketinginstrument ein.

Vor allem für kurzfristige Kredite wollen viele Mittelständler Online-Plattformen nutzen. Das ergab eine Befragung der Technischen Universität Darmstadt. Drei von vier Finanzentscheidern in den Unternehmen gaben an, dass sie sich vorstellen könnten, über die jungen Fintechs Geld aufzunehmen. Das setzt auch die Banken unter Druck. Mittlerweile gibt es viele Kooperationen: Die Sparda-Bank Berlin arbeitet etwa mit Funding Circle zusammen, die Commerzbank mit der Plattform Iwoca. Beide Seiten wollen voneinander profitieren: Die Banken von den flinken Fintechs, diese wiederum von der Seriosität der klassischen Geldinstitute.

Mehrwert durch Mischfinanzierung

Grundsätzlich handelt es sich beim klassischen Crowdlending um eine Fremdkapitalfinanzierung. Dennoch kann ein Kredit über die Masse letztlich auch das Rating der Unternehmen verbessern. Je nachdem, wie der Vertrag mit dem jeweiligen Anbieter ausgestaltet ist, kann es sich auch um ein Nachrangdarlehen mit eigenkapitalähnlichem Charakter handeln.

 

 

 

Crowdlending gilt als schicke Alternative zum Kredit bei der Hausbank. Vor allem Technologiefirmen finden hier Geldgeber. Doch der Markt kommt nur schwer in Gang. Mittelständler tingeln immer noch lieber zur Hausbank. Dabei können Mischformen der Kreditfinanzierung durchaus sinnvoll sein.

Ein Hersteller aus Hessen hat das verstanden: Die 1985 gegründete Firma Stehr Baumaschinen produziert und vertreibt Spezialgeräte für den Straßenbau. Für eines der Firmenpatente ist die Auftragslage besonders gut. Allerdings fehlten Mittel, Produktionskosten für den neuen Plattenverdichter aus dem Cashflow zu stemmen. Statt der gesamten Summe über 750.000 Euro streckte die Bank nur einen Teil vor. Um die restlichen 250.000 Euro zusammenzubekommen, setzte Stehr ebenfalls auf private Investoren. Was genau die Maschine kann, fanden Anleger online. Binnen drei Tagen griffen sie zu. Die Produktion kann starten.

Plattenverdichter von Stehr: Ein Massenkredit half bei der Finanzierung.

Ob der Kredit nebst 5,25 Prozent Zinsen bis in vier Jahren vollständig zurückbezahlt ist, bleibt offen. Kapilendo-Gründer Grätz hat bei mehr als 30 Projekten bisher einen Ausfall. Glück im Unglück: Nur die letzten zwei Raten sind ausgefallen. Die Anleger haben die Hälfte ihres Investments zurückbekommen. Deshalb dürfen nur maximal 10.000 Euro pro Investor und Projekt über den Tisch gehen. KPMG-Beraterin Pitter ist sich sicher, dass die Entwicklung des Crowdlendings unter Beobachtung steht: „Die BaFin wird genau hinschauen, wie das alternativ kreditierte Volumen wächst.“ Es werde demnächst Vorgaben geben, weiß die Fachfrau. So wie in China. Dort haben Behörden Regeln definiert und bei Nichteinhaltung kurzerhand Fintechs geschlossen. 500 von etwa 4000 Plattformen hat es erwischt. Pitter sieht es für Europa nicht ganz so dramatisch. „Die EU will ein funktionierendes Spielfeld erhalten“, sagt sie. Dieses könnte dann auch für Mittelständler zunehmend interessant sein.

 


So läuft der Ratingprozess beim Crowdlending

Auch FinTechs prüfen Kennzahlen und beurteilen Bonitäten. Bei Kapilendo etwa sehen die Kriterien so aus:

  1. Im ersten Schritt des Ratingprozesses ziehen die Plattformen Daten von Wirtschaftsauskunfteien und wollen Informationen zum jeweiligen Unternehmen und Eigentümer. Darunter fallen Schufa-Auskunft sowie Laufzeiten bestehender Darlehen. Daneben Makrodaten zur Branche der Firmen, Ausfallraten oder Gefahren saisonaler Schwankungen.
  2. Anschließend analysieren Ratingteams die Qualität der Kreditnehmer, dabei blicken die Experten auf Branche, Marktposition und Finanzkennzahlen. Ausgewertet werden Jahresabschlüsse, BWAs und Bankenspiegel. Außerdem prüfen die Rater Liquidität, Verschuldungsgrad und den Kapitalfluss des Unternehmens. Die erhobenen Daten ergänzen die Infos der Wirtschaftsauskunfteien und werden für einen Rückvergleich (Backtesting) genutzt.
  3. Das Ergebnis dieser Kreditanalyse ergibt das Rating für den Kreditnehmer. Bei einer positiven Auswertung legen die Kreditvermittler den maximalen Kreditbetrag und die Laufzeit des Finanzierungsprojektes fest. Final werden das Rating sowie die Daten über die Ausfallraten in Korrelation zueinander gestellt. Diese Auswertung dient der Ermittlung des Kreditrisikos mit dem dazugehörigen Zins.

Hier finden Sie einen Marktcheck zu ausgewählten Crowdlending-Plattformen

 

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