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Wurstwelt im Wandel

Seit über 180 Jahren produziert das Familienunternehmen Rügenwalder Mühle Wurst. In der sechsten Generation leitet Christian Rauffus die Geschicke des Betriebs – mit viel Lust auf Erfolg, Veränderung, neuerdings auch mit vegetarischen Produkten. 

Die Frequenz, mit der die Deutschen ihren Sexualpartner wechseln, ist höher als die, mit der sie beim Griff ins Wurstregal zu einer neuen Sorte greifen. Wer so eine These wagt, muss sich auskennen mit Wurst. Der Mann, von dem sie stammt, heißt Christian Rauffus.

Viele Mio. Würste hat die Familie Müller, heute Rauffus, seit 1843 unter dem Zeichen der roten Mühle hergestellt und unters Volk gebracht. Das Besondere an der Mühle der Müllers, um die sich auch noch heute bei den Rauffussens alles dreht, sind die Flügel. Statt stattlicher, bespannter Holzschwingen kreuzen sich auf der Flügelwelle der Mühle, die einst Urgroßmutter Alwine auf eine Serviette kritzelte, zwei nicht minder stattliche Würste.

Die Bekannteste, und auch die älteste, der vielen Würste ist die Rügenwalder Teewurst. Erfunden hat sie im Jahr 1903 der Urgroßvater des heutigen Wurstkönigs Christian Rauffus. Die würzige Streichwurst – so entnimmt man es zumindest den Wurstanalen – erhielt ihren Namen, weil man sie in Rügenwalde, einem kleinen, aber feinen Städtchen in Pommern, gerne zum Nachmittagstee reichte.

Eine bewegte Zeit, aber die Wurst bleibt

Seitdem hat sich einiges verändert. Zwar gibt es die Teewurst noch, allerdings wird sie heute nicht mehr in Rügenwalde hergestellt, sondern im niedersächsischen Bad Zwischenahn. Und Rügenwalde heißt heute Darlowo und gehört zu Polen.

Christian Rauffus, Inhaber und Geschäftsführer, Rügenwalder Mühle

Christian Rauffus ist mittlerweile seit über 40 Jahren im Betrieb. Mit dem 62-jährigen Fleischermeister und studierten Betriebswirt hat die Rügenwalder Mühle viele Veränderungen durchgemacht. Die, die wohl am meisten Aufmerksamkeit erregte, hatte mehr als drei Jahre Vorlaufzeit und schlug dann im Dezember letzten Jahres ein wie lange nichts mehr auf dem Markt für Wurst- und Fleischwaren. Oder um es in den Worten von Christian Rauffus zu sagen: „Wir haben einen Stein in einen Teich geworfen, und das hat sehr gespritzt.“

Der große Wurf: Veggie-Wurst

Rügenwalder wagt vegetarisch. Mit einer fleischlosen Version des Klassikers Schinken Spicker in den Sorten Mortadella, Schnittlauch und mit bunter Paprika ging man Ende 2014 an den Start. Im Februar folgte die vegetarische Frikadelle und im Mai Schnitzelvariationen ohne Fleisch. Zahlreiche weitere Produkte sind getestet und stehen in der Pipeline. „Gefährlich ist es nur, wenn man sich nicht verändert“, antwortet Rauffus auf die Frage, ob dieser Schritt nicht das Image und die Identität der Marke gefährdet habe. „Was hilft einem Identität, die nicht mehr relevant ist“, ergänzt er.

Bis zum Jahr 2020 wollte Rauffus etwa 30 Prozent des Gesamtumsatzes mit vegetarischen Produkten erwirtschaften. Bereits jetzt, im Herbst 2015, also nicht mal zwölf Monate nach dem Einstieg in das neue Segment, liegt der Absatzanteil bezogen auf die Wochentonnage bei rund 25 Prozent.

„Wenn man ein Schiff navigiert, dann muss man schauen, wie tief das Wasser vor einem ist“, sagt Rauffus. Dass das Wasser, in das er mit der Rügenwalder Mühle und ihren 500 Mitarbeitern stieß, tief genug war, hatten er und Marketingchef Godo Röben vorher geprüft. „Es gibt eine große Gruppe an Menschen, die sehr gerne Wurst und Fleisch isst, sich aber um die Tiere und die Umwelt sorgt.“ Auch die Konkurrenten haben mittlerweile erkannt, welche Potenziale das Segment bietet, und bringen Veggie-Produkte auf den Markt.

Qualitätssicherung: Tests sind Pflicht.

Vielen seiner Metzger war das vegetarische Projekt nicht geheuer, als er den Plan auf einer Betriebsversammlung kundtat. Für Rauffus aber war die Sache klar. „Würzen, Reifen, Mischen, Garen – das können sonst nur wenige.“ Denen, die an seiner Kompetenz, Fleischersatzprodukte zu entwickeln, zweifelten, entgegnete er: „Wer, wenn nicht ein Fleischer, soll es denn sonst können?“ Das Verfahren bei der Produktion der vegetarischen Wurst läuft ziemlich genauso ab wie bei der Herstellung von normaler Wurst. „Es laufen die gleichen Maschinen, natürlich getrennt voneinander.“

Musste er im Betrieb eine Menge Überzeugungsarbeit leisten, waren Alternativen zu Fleisch- und Wurstprodukten in der Familie schon lange ein Thema. Vor allem die Frauen drängten zur Veränderung. Sowohl die heutige Ehefrau seines Sohnes als auch die Töchter seiner Schwester fragten: „Mein Gott Christian, immer noch mehr Wurst?“

Findiger Geschäftsmann

Auch deswegen reagierte er. Jedoch weniger aus ethischen Gründen. Vielmehr sind es die Zahlen, die ihn zum Umdenken verleiteten. Er erkannte die Marktlücke auf der Suche nach einem zusätzlichen Standbein neben dem schwierigen Wurstgeschäft. „Wir haben leckere Wurst, gut verpackt, gute Preise, gute Kommunikation, trotzdem läuft es nicht richtig. Wir kommen nicht vom Fleck“, zitiert Rauffus seinen Marketingchef Röben aus dem Jahr 2012. „Christian, wir müssen in einen anderen Markt.“

Der deutsche Vegetarierbund bezifferte die Zahl der sich fleischlos ernährenden Deutschen Anfang des Jahres 2015 auf etwa 7,8 Mio. Menschen. Die Gruppe der sogenannten Flexitarier, die sich kritisch mit Fleischkonsum beschäftigen und an weniger als drei Tagen in der Woche fleischhaltige Produkte essen, ist mit über 42 Mio. Menschen deutlich größer und wächst. Da war der gesuchte Markt. „Wir leben davon, dass wir den Menschen Produkte anbieten, die sie bereit sind zu kaufen.“ Ob das klassische Wurst oder eben vegetarische Alternativen sind. Vor dem Veggie-Projekt gab es bereits andere Versuche, diese Zielgruppe als Kunden zu gewinnen. „Wir haben versuchsweise auch mal Bio hergestellt, aber das funktioniert nicht – alle reden davon, aber keiner kauft’s.“ Für die Rügenwalder Mühle waren die Mehrkosten zu hoch. Bei Pflanzen koste Bio zehn bis 20 Prozent mehr, bei Fleischwaren seien es 350 Prozent, so der Unternehmer.

Veggie-Boom befeuert auch die Wurst

Neben dem Erfolg der vegetarischen Produkte verzeichnet die Rügenwalder Mühle in diesem Jahr auch wieder steigende Zahlen im Wurstgeschäft. „Drei bis vier Prozent sind zwar nicht dramatisch viel, aber es ist besser, als wir befürchtet haben“, sagt Rauffus und führt den Erfolg auf den Dachmarkeneffekt zurück. Wurst soll auch weiterhin eine Rolle spielen, die Veggie-Sparte wird parallel ausgebaut. Eine neue Halle mit neuen Maschinen für 100 neue Mitarbeiter ist schon in Arbeit.

Temperaturkontrolle: Ein Muss bei Würsten.

Sinnbildlich für den Wandel, der sich bei einem der bekanntesten Wurst- und Schinkenhersteller Deutschlands vollzogen hat, steht in gewisser Weise auch Sohn Gunnar, der seit einem Jahr im Familienbetrieb arbeitet. Anders als sein Vater hat er keine Fleischerlehre absolviert. Als gelernter Banker und promovierter Jurist soll er trotzdem die Nachfolge seines Vaters antreten, wenn dieser abtritt. „Das ist ein Privileg für mich, dass mein Sohn das hier fortführen will.“ Natürlich habe er sich gefragt, wie er ihn dazu bewegen könne, und mit seiner Frau Heidi darüber diskutiert. „Das kriegen wir hin, mit ganz viel Liebe, hat sie gesagt und das war die beste Antwort, die man geben kann“, erzählt er.

Mit seiner Frau möchte er reisen, wenn er mal nicht mehr Chef des Unternehmens ist. Wann das ist, weiß er aber noch nicht. Vermutlich machen ihm die ganzen Veränderungen im Moment einfach zu viel Spaß.

KURZPROFIL

Carl Müller GmbH & Co. KG
Gründungsjahr:
1834
Branche: Wurst- und Fleischwaren
Unternehmenssitz: Bad Zwischenahn (Niedersachsen)
Umsatz 2014: ca. 175 Mio. Euro
Mitarbeiter: ca. 500
www.ruegenwalder.de

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