Website-Icon Unternehmeredition.de

Paradigmenwechsel beim Scheitern

Mit einem neuen Gesetz wurde in Deutschland vor fünf Jahren die Insolvenzordnung reformiert. Wer heute in eine Liquiditätskrise gerät, kann sich frühzeitig selbst sanieren. Bislang eignet sich die vorläufige Insolvenz nur in wenigen Fällen. Betroffene Unternehmer sehen darin indes eine strategische Chance.

Wenn Christoph Nauen eines nie wieder erleben möchte, dann eine Insolvenz seines Unternehmens. Aber für den Fall, dass er eines Tages doch noch einmal gezwungen sein sollte, den entsprechenden Antrag zu stellen, steht fest: „Ich würde mich auf jeden Fall wieder für ein ESUG-Verfahren entscheiden.“ Dreimal hat der Geschäftsführer der Achte Display System GmbH mit Sitz im nordrhein-westfälischen Hilden den unangenehmen Gang zum zuständigen Amtsgericht in Düsseldorf bereits angetreten. Beim bislang letzten Mal konnte er seine Firma über ein Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung sanieren. Möglich machte es das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen, kurz ESUG genannt.

Zurück zum Anfang der chronischen Unternehmenskrise. „Unser erstes Schicksalsjahr war 2009“, erinnert sich Nauen. Damals stand er an der Spitze von zwei Unternehmen. „Weil Kunden Großaufträge stornierten, brach der Umsatz meiner Messebaufirma im ersten Halbjahr um 70 Prozent ein“, berichtet Nauen. Im Juli beschloss er, Insolvenz anzumelden. Auch seinem zweiten Unternehmen, das als Achte Ausstellungs Systeme GmbH firmierte, ging es schlecht. Die Systembaufirma produzierte damals schon Aluminiumrahmen, in die große Bilder eingespannt werden, etwa Leuchtkästen und dreidimensionale Objekte für Werbung in Kaufhäusern und an Messeständen. Nachdem ein Großkunde einen Auftrag zurückgezogen hatte und der Umsatz um 35 Prozent zurückging, meldete Nauen auch für die Achte Ausstellungs Systeme GmbH Insolvenz an.


Was ist die Eigenverwaltung?

Ein Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung wurde erstmals mit der Änderung der Insolvenzordnung (InsO) im Jahr 1999 für das eröffnete Verfahren eingeführt. Mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) am 1. März 2012 ist die Eigenverwaltung bereits im vorläufigen Verfahren möglich. Es wird kein Insolvenzverwalter, sondern ein Sachwalter bestellt, der die eigenständige Sanierung der Geschäftsführung lediglich begleiten soll. In der vorläufigen Eigenverwaltung (§270a InsO) gilt: Sofern der der vorläufige Gläubigerausschuss sich einstimmig für einen bestimmten Sachwalter entscheidet, muss das Gericht ihn akzeptieren. Im Schutzschirmverfahren (§270b InsO) darf der Geschäftsführer den Sachwalter sogar selbst aussuchen. Wenn dann im eröffneten Verfahren der vorläufige Gläubigerrat einstimmig eine Eigenverwaltung beschließt und ansonsten alle Bedingungen erfüllt sind, muss das Gericht diese anordnen. Insgesamt wird mit dem ESUG die Eigenverwaltung erleichtert und die Gläubiger erhalten mehr Mitspracherechte.


„In beiden Fällen handelte es sich um Regelinsolvenzverfahren, die Messebaufirma wurde abgewickelt“, erzählt Nauen. Das Systembauunternehmen kaufte er für rund 200.000 Euro selbst zurück. Doch angesichts der instabilen Finanzierungsstruktur und einer Eigenkapitalquote von null Prozent kam es bei der neu gegründeten Achte Display System GmbH schon bald wieder zu erheblichen Liquiditätsproblemen. Im Sommer 2014 stand Nauen zum dritten Mal der Gang zum Amtsgericht Düsseldorf bevor.

Mit einem neuen Gesetz wurde in Deutschland vor fünf Jahren die Insolvenzordnung reformiert. Wer heute in eine Liquiditätskrise gerät, kann sich frühzeitig selbst sanieren. Bislang eignet sich die vorläufige Insolvenz nur in wenigen Fällen. Betroffene Unternehmer sehen darin indes eine strategische Chance.

Prävention statt Abwicklung

„Eigentlich wollte ich von dem ‚I-Wort’ nichts mehr wissen“, sagt der Unternehmer. Doch der Berater, an den er sich gewandt hatte, war überzeugt davon, dass ein Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung die bessere Variante sei. Dieses Verfahren war mit dem ESUG erst im Frühjahr 2012 eingeführt worden. „Und es war tatsächlich die bessere Variante“, erklärt Nauen.


“Die Eigenverwaltung hat uns hingegen einen Verfahrensgewinn nach Steuern von rund 400.000 Euro in die Firmenkasse gespült”

Christoph Nauen, Geschäftsführer Achte Display System GmbH


Den mit dem Berater erarbeiteten Sanierungsplan segnete das Gericht ab, für das vorläufige Verfahren ordnete es die Eigenverwaltung an. Die Zusammenarbeit mit dem Sachwalter und dem vorläufigen Gläubigerausschuss funktionierte reibungslos, eröffnet wurde das Verfahren im November 2014. „Und im Frühjahr 2015 war es beendet“, sagt Nauen. Seine Bilanz: Unternehmen erhalten, alle vereinbarten Insolvenzquoten bezahlt, Eigenkapitalquote auf 50 Prozent hochgefahren. „Bei einer Regelinsolvenz verliert der Unternehmer alles“, sagt Nauen. „Die Eigenverwaltung hat uns hingegen einen Verfahrensgewinn nach Steuern von rund 400.000 Euro in die Firmenkasse gespült“, sagt er. Heute hat die Achte Display System GmbH 40 Mitarbeiter und erzielte 2016 einen Umsatz von 3,6 Mio. Euro.

Neues Gesetz gegen altes Stigma

Eine Eigenverwaltung bei drohender Insolvenz ist in Deutschland etwas historisch Neues. Die Grundlage dafür bildet das „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“, kurz ESUG, welches seit März 2012 in Kraft ist. Ziel der Bundesregierung war es, die Eigenverwaltung zu stärken, Insolvenzverfahren zu beschleunigen, die Mitspracherechte der Gläubiger zu erweitern und die Insolvenz vom Stigma des Versagens zu befreien. Damit sollte das Gesetz auch dazu beitragen, dass Insolvenzanträge früher gestellt werden. Fünf Jahre nach dem Inkrafttreten ist es an der Zeit zu prüfen, ob die neuen Regelungen diese Ziele tatsächlich erreicht haben. Derzeit untersucht die „ESUG-Evaluation“ der Universität Bielefeld im Auftrag des Bundesjustizministeriums die Wirkung des Gesetzes auf die Insolvenzpraxis. Abschließende Ergebnisse liegen noch nicht vor. Offizielle Statistiken lassen aber Tendenzen erkennen, die jedoch unterschiedlich interpretiert werden.

Mit einem neuen Gesetz wurde in Deutschland vor fünf Jahren die Insolvenzordnung reformiert. Wer heute in eine Liquiditätskrise gerät, kann sich frühzeitig selbst sanieren. Bislang eignet sich die vorläufige Insolvenz nur in wenigen Fällen. Betroffene Unternehmer sehen darin indes eine strategische Chance.

Das ESUG polarisiert, so viel steht fest. Kritiker argumentieren, das Gesetz habe sich in der Breite nicht durchgesetzt und sei nur für wenige Unternehmen geeignet. Befürworter halten dagegen, die Statistiken müssten auf die Fälle heruntergebrochen werden, die die entsprechenden Voraussetzungen für die komplexe Eigenverwaltung mitbringen

Klar ist, dass die vorläufige Eigenverwaltung und das Schutzschirmverfahren für Insolvenzen mit vielen Gläubigern nicht geeignet sind. Da sich diese in der Regel bei Unternehmen mit vielen Mitarbeitern und hohen Umsätzen ereignen, scheidet das ESUG für Konzerne und große Mittelständler meist aus. Für sehr kleine Firmen ist es aus Kostengründen ebenfalls keine Option. Doch in der Bandbreite dazwischen gibt es durchaus Unternehmen, für die eine Eigenverwaltung nach ESUG im Insolvenzfall das Mittel der Wahl ist.

Eigenverwaltung ist die Ausnahme

Diejenigen, die das ESUG nutzen, äußern sich dazu positiv. „Ich denke schon, dass das ESUG insgesamt eine gute Lösung ist und von Unternehmen angenommen wird“, sagt Detlef Specovius, Fachanwalt für Insolvenzrecht bei der Kanzlei Schultze & Braun. Dabei verweist er auf Zahlen der Online-Plattform Insolvenz-Portal. Der Statistik zufolge sind zwischen März 2012 und März 2017 rund 1.000 Anträge auf ein Insolvenzplanverfahren nach ESUG gestellt worden. Eröffnet wurden 912 Verfahren. Eine Studie der Beratungsgesellschaft The Boston Consulting Group (BCG) in Frankfurt mit dem Titel „Fünf Jahre ESUG“ kommt für den Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes und dem 31. Januar 2017 auf 1.236 beantragte Verfahren. An den rund 48.300 Insolvenzen, die bei Personen- und Kapitalgesellschaften im selben Zeitraum insgesamt eröffnet wurden, beläuft sich der Anteil der ESUG-Verfahren auf 2,6 Prozent.

Mit einem neuen Gesetz wurde in Deutschland vor fünf Jahren die Insolvenzordnung reformiert. Wer heute in eine Liquiditätskrise gerät, kann sich frühzeitig selbst sanieren. Bislang eignet sich die vorläufige Insolvenz nur in wenigen Fällen. Betroffene Unternehmer sehen darin indes eine strategische Chance.

Gemessen an den rund 22.000 Unternehmen, die nach Angaben des Verbands der Vereine Creditreform allein im vergangenen Jahr in die Insolvenz gingen, erscheint die Zahl der ESUG-Verfahren mit gerade einmal 250 verschwindend gering. „Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass ein Verfahren in Eigenverwaltung nur für Unternehmen sinnvoll ist, die mindestens 20 Mitarbeiter haben und einen Umsatz von mindestens zwei Mio. Euro erzielen“, sagt Robert Buchalik, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Buchalik Brömmekamp und Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes ESUG und Sanierung e.V (siehe auch das Streitgespräch auf den Seiten XX).

Der Grund: Der Aufwand für ein Verfahren in Eigenverwaltung summiert sich mit den Ausgaben für Beratung, den Sachwalter und die Gerichtskosten schnell auf bis zu 150.000 Euro. „Die Bundesagentur für Arbeit übernimmt zwar für drei Monate die Personalkosten“, erklärt Buchalik. Bei 20 Mitarbeitern könnten das etwa 180.000 Euro sein. In einem Unternehmen mit beispielsweise fünf Angestellten decke die Zahlung der Arbeitsagentur von überschlagen 45.000 Euro die Kosten für das ESUG-Verfahren jedoch bei Weitem nicht.

„Wenn man die notwendige Größenordnung einbezieht, so eigneten sich meiner Ansicht nach höchstens 600 Unternehmen, die 2016 Insolvenz angemeldet haben, für ein Insolvenzverfahren nach ESUG“, sagt Buchalik. Die Anzahl von 250 sei also kein schlechtes Ergebnis. Laut BCG-Studie hat ein Modellunternehmen in Eigenverwaltung 42 Mitarbeiter und erwirtschaftet einen Umsatz von 4,4 Mio. Euro. Die Studie kommt auch zu dem Resultat, dass bei den 50 größten Unternehmensinsolvenzen des vergangenen Jahres mehr als jedes zweite Verfahren eine vorläufige Eigenverwaltung war.

 

Lesen Sie hier den Zweiten Teil der Titelgeschichte zum ESUG.

 

 

 

Die mobile Version verlassen