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Paradigmenwechsel beim Scheitern

Mit einem neuen Gesetz wurde in Deutschland vor fünf Jahren die Insolvenzordnung reformiert. Wer heute in eine Liquiditätskrise gerät, kann sich frühzeitig selbst sanieren. Bislang eignet sich die vorläufige Insolvenz nur in wenigen Fällen. Betroffene Unternehmer sehen darin indes eine strategische Chance.

Eigentümer sind „die Macher“

Ein Beispiel aus dem vergangenen Jahr ist die Reserv GmbH mit Sitz in Prenzlau, Brandenburg. Das Unternehmen, das Dienstleistungen in den Bereichen Winterdienst, Gebäudereinigung, Garten-, Landschafts- und Spielplatzbau erbringt, hat 170 Mitarbeiter und verzeichnete zuletzt einen Umsatz von circa drei Mio. Euro. Als der Gründer des Unternehmens Dieter Kieckhöfel im November 2015 verstarb, übernahm seine Tochter Kirstin Düzel 100 Prozent der Gesellschafteranteile. Nachdem sie sich einen Überblick über die wirtschaftliche Situation der Reserv GmbH verschafft hatte, wurde klar, dass eine Sanierung des Unternehmens unvermeidbar war.

Kirstin Düzel selbst sah sich nicht in der Lage, die Firma des Vaters allein zu retten, daher hatte sie bereits Unterstützung bei einem Beratungsunternehmen gesucht. Zudem brauchte sie einen erfahrenen Kaufmann, der die Eigenverwaltung begleitete. Uwe Frick, der beste Freund des verstorbenen Firmengründers, nahm die Reserv GmbH unter die Lupe. Schnell kam er zu dem Schluss, dass ein Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung Aussicht auf Erfolg haben könnte. So nahm er die Sache gemeinsam mit der Unternehmenserbin und dem Beraterteam in die Hand.

„Die Beratung war extrem teuer“, sagt Frick. Doch sie lohnte sich. Gemeinsam mit dem Sachwalter und den Beratern setzte er das ausgearbeitete Sanierungskonzept um, bereits Ende 2016 erzielte die Reserv GmbH ein positives Ergebnis. Auch in den ersten fünf Monaten des Jahres 2017 sind die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse im Plan. Inzwischen sind die Altgläubiger mit einer Quote von 23 Prozent befriedigt worden, das Insolvenzverfahren ist seit dem 31. Mai 2016 abgeschlossen, die Reserv GmbH startete einen Tag später befreit von Altlasten neu.

„Das Verfahren ist zügig über die Bühne gegangen“, findet Frick. Das liege auch daran, dass er selbst und Inhaberin Düzel über alle wichtigen Schritte bestimmen konnten. Sie waren „die Macher“, die Entscheider, die die Fäden in der Hand hielten. Bei einer Regelinsolvenz wäre das nicht möglich gewesen. Zwar sah auch das Vorgängermodell des ESUG eine Eigenverwaltung vor, jedoch nicht im vorläufigen Verfahren. Vielmehr diktierte der Insolvenzverwalter dem Unternehmer alle Entscheidungen und konnte mit negativen Stellungnahmen sogar verhindern, dass ein Richter die Eigenverwaltung im eröffneten Verfahren anordnete.

Mit einem neuen Gesetz wurde in Deutschland vor fünf Jahren die Insolvenzordnung reformiert. Wer heute in eine Liquiditätskrise gerät, kann sich frühzeitig selbst sanieren. Bislang eignet sich die vorläufige Insolvenz nur in wenigen Fällen. Betroffene Unternehmer sehen darin indes eine strategische Chance.

Das ESUG schreibt hingegen fest, dass der Geschäftsführung im vorläufigen Verfahren ein Sachwalter zur Seite gestellt wird, der wesentlich geringere Befugnisse hat als ein Insolvenzverwalter (siehe Tabelle auf Seite XY). Beschließt der vorläufige Gläubigerausschuss die Eigenverwaltung für das eröffnete Verfahren, kann der Sachwalter die Entscheidung nicht beeinflussen. Im eröffneten Verfahren behält die Geschäftsführung ihre Kompetenzen, der Sachwalter überwacht lediglich, ob alle Schritte rechtlich einwandfrei sind, und steht als Partner zur Verfügung.

 Mehr Einfluss für die Gläubiger, weniger für den Richter

„Die große Angst eines mittelständischen Unternehmers ist im Falle einer Insolvenz sicher die des Kontrollverlustes“, sagt Rechtsexperte Specovius. Hier hole das ESUG Firmenlenker gut ab. Bei der vorläufigen Eigenverwaltung muss ein Gericht den gewünschten Sachwalter akzeptieren, wenn sich der vorläufige Gläubigerausschuss einstimmig für ihn entscheidet. Im Schutzschirmverfahren kann sich die Geschäftsführung den Sachwalter sogar selbst aussuchen. „Ich denke schon, dass eine gute Zusammenarbeit mit dem Sachwalter ein Insolvenzverfahren beschleunigt“, findet Specovius. Zudem räume das Gesetz den Gläubigern mehr Mitspracherechte ein. Nicht nur, dass sie über die Wahl des Sachwalters mitbestimmen können. Es geht auch kein Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung durch, wenn der vorläufige Gläubigerausschuss ihn nicht einstimmig abgesegnet hat.


„Ob das ESUG aber dazu geführt hat, dass Unternehmen früher Insolvenz anmelden, wage ich zu bezweifeln“

Detlef Specovius, Fachanwalt für Insolvenzrecht Schultze & Braun


„Ob das ESUG aber dazu geführt hat, dass Unternehmen früher Insolvenz anmelden, wage ich zu bezweifeln“, gibt Specovius allerdings zu bedenken. Dagegen sprechen auch die Zahlen der jüngsten Studie der Boston Consulting Group. Von den zwischen März 2012 und Januar 2017 beantragten 1.200 Verfahren in Eigenverwaltung wurden immerhin 432 am Ende in eine Regelinsolvenz überführt. Die hohe Quote von rund 40 Prozent könne davon zeugen, dass Unternehmer einen Antrag auf Insolvenz nicht früher stellen als vor Einführung des ESUG, schlussfolgern die Autoren. Der Paradigmenwechsel, Scheitern nicht als Stigma, sondern als Chance zu sehen – er scheint noch lange nicht vollzogen zu sein.

Mit einem neuen Gesetz wurde in Deutschland vor fünf Jahren die Insolvenzordnung reformiert. Wer heute in eine Liquiditätskrise gerät, kann sich frühzeitig selbst sanieren. Bislang eignet sich die vorläufige Insolvenz nur in wenigen Fällen. Betroffene Unternehmer sehen darin indes eine strategische Chance.

Schutzschirm vor der Liquidation

Doch das wäre nach fünf Jahren wohl eine zu hohe Erwartung an ein neues Gesetz: „Insgesamt ist das ESUG eine Erfolgsstory“, urteilt Prof. Dr. Georg Streit, Insolvenzrechtsexperte bei der Kanzlei Heuking Kühn Lüer Wojtek. „Auch das Schutzschirmverfahren lässt der Geschäftsführung in der Eigenverwaltung weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten.“ Das erste große Unternehmen, das sich unter dem Schutzschirm des ESUG sanierte, war die Centrotherm Photovoltaics AG mit Sitz in Blaubeuren, Baden-Württemberg.

Der auf Sonnenenergie spezialisierte Maschinenbauer litt unter dem weltweit hohen Preisdruck in der Fotovoltaikbranche. „Obwohl im Juli 2012 noch keine Zahlungsunfähigkeit und keine Überschuldung eingetreten waren, stellte Centrotherm beim Amtsgericht Ulm einen Antrag auf Einleitung eines Schutzschirmverfahrens und Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung“, erinnert sich Tobias Hoefer, Gründungspartner der Kanzlei Schmidt-Thieme. Als Sanierungsexperte wurde er für das Schutzschirmverfahren als sogenannter Chief Restructuring Officer (CRO) in den Centrotherm-Vorstand berufen.

„Es gab viele gute Gründe dafür, das Schutzschirmverfahren zu wählen“, erinnert sich Hoefer. So konnte er selbst vorschlagen, wer sein Sachwalter werden sollte. Zudem kann das zuständige Gericht eine Frist von drei Monaten anordnen, innerhalb derer Gläubiger keine Zwangsvollstreckungen einleiten dürfen. Der wohl wichtigste Grund für die Nutzung des Schutzschirmverfahrens war aber die Außenwirkung. „Centrotherm ist ein weltweit aufgestellter Konzern“, sagt Hoefer. Kunden, Lieferanten und internationalen Marktteilehmern signalisierte das Verfahren: „Wir gehen gehen freiwillig unter den Schutzschirm, um gar nicht erst insolvent zu werden.“

Mit einem neuen Gesetz wurde in Deutschland vor fünf Jahren die Insolvenzordnung reformiert. Wer heute in eine Liquiditätskrise gerät, kann sich frühzeitig selbst sanieren. Bislang eignet sich die vorläufige Insolvenz nur in wenigen Fällen. Betroffene Unternehmer sehen darin indes eine strategische Chance.

Außergerichtliche Sanierung als nächster Schritt

Bei Centrotherm hat das Verfahren Erfolg gezeigt. Über den Insolvenzplan konnte sich das Unternehmen sanieren, das Insolvenzfahren wurde Ende Mai 2014 abgeschlossen. Doch Centrotherm stellt in Sachen ESUG eine Ausnahme dar. Denn das Schutzschirmverfahren wird deutlich seltener genutzt als die übliche Eigenverwaltung. Der Grund dafür ist laut der BCG-Studie, dass die durchschnittliche Größe von Gesellschaften, die sich unter dem Schutzschirm sanieren, bei 14 Mio. Euro Umsatz und 100 Mitarbeitern liegt. Unternehmen solcher Größenordnung nutzen eine Sanierung nach dem ESUG wegen der komplexen Gläubigerstruktur per se seltener.

Auf politischer Ebene scheint sich die proaktive Sanierung weiter durchzusetzen. Dass inzwischen in der Europäischen Union über die Möglichkeit einer außergerichtlichen Sanierung diskutiert werde, ist für die Befürworter ein Indiz, dass der neue Weg beim Insolvenzrecht weitergeht: „Es zeigt, dass in die Zukunft gedacht wird und am ESUG kaum noch jemand zweifelt“, erklärt der Insolvenzrechtsexperte Streit. Der Werkzeugschrank, um mit einer unternehmerischen Krise umzugehen, ist jedenfalls größer geworden.

Lesen Sie hier den Ersten Teil der Titelgeschichte zum ESUG.

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