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Ohne Transformation kein Wohlstand

Das Wort Transformation wird oft uneinheitlich verwendet. Der Mainstream denkt an eine Mischung aus betriebswirtschaftlicher Innovation, konsequenter Digitalisierung und neuen Produkten sowie Dienstleistungen. Links von der politischen Mitte gibt es eine konsum‑, wachstums‑ und Status‑quo‑kritische Debatte. Warum führen wir beide Stränge nicht zusammen?

Als Junge war ich stolz auf den blau-roten Trafo meiner Märklin-Anlage und lernte nebenbei, dass man Energie umwandeln kann, um sie dem Kundenbedarf anzupassen und zugleich Risiken zu vermindern. Mit dem zweiten Trafo kam ein zweites Gleisoval hinzu. Fortan fuhr ein Zug linksherum, der andere rechtsherum. Genauso steht es um die deutschen Transformationsdebatten. Sie laufen nicht in die gleiche Richtung.

Wo sich Wirtschaft und Gesellschaft unterscheiden

Im Mainstream der Betriebswirte, Manager und Ingenieure denkt man bei Transformation vorrangig an technische und betriebswirtschaftliche Neuerungen, keineswegs nur in der Industrie, sondern in allen Sektoren – ob im Finanzbereich, im Handel oder bei Dienstleistungen. Es geht um klassische ökonomische Ziele wie Wachstum, Effizienz, Arbeitsplätze, und um die Mehrung des Wohlstands durch Optimierung der Lieferketten, dies mal mehr, mal weniger disruptiv. Fast immer spielt die Digitalisierung eine Rolle. Doch von erfreulichen Ausnahmen abgesehen sind Umwelt und Nachhaltigkeit oft nur Nebenziele, wenn nicht gar Opfer.

Ganz anders tickt die zivilgesellschaftliche Transformationsbewegung, von der Mehrheitsgesellschaft kaum wahrgenommen. Überwiegend in linksbürgerlichen, grünen oder anderen Alternativ-milieus verankert, geht es ihr um eine Gesellschaftsveränderung inklusive einer Änderung unseres Wohlstandsmodells. Eine Forderung dabei ist der Ausstieg aus Kernenergie, Kohle und anderen fossilen Energien, eine andere die drastische Minderung des Ressourcenverzehrs, der Müllproduktion oder der Bodenversiegelung. Der Appell mündet in den konsequenten Übergang zur Kreislaufökonomie. Statt grauem soll künftig grünes Wachstum generiert werden, oft sogar keines (Post Growth).

Vielleicht bin ich zu pessimistisch – aber da ich mich in beiden Welten bewege (beruflich als Unternehmer und Interim-Provider in der Realwirtschaft, ehrenamtlich als engagierter Anhänger einer ökosozialen Marktwirtschaft), erlebe ich den Kontrast bei Haltungen, Konsumpräferenzen und Wahlverhalten fast täglich. Als ob wir auf mehreren Planeten lebten. Aber genau so verhalten wir uns ja auch.

Doch es geht mir mitnichten darum, unser Land schlecht zu machen, sondern ums Bessermachen. Wenn wir uns umschauen, ist unser Debattenniveau deutlich erfreulicher als in 90 Prozent der anderen Länder. Selbst wenn wir uns nur innerhalb der westlichen Welt vergleichen, sind wir für neonationalistisch-radikalpopulistische Stimmen bisher weniger anfällig als andere.

Das Wort Transformation wird oft uneinheitlich verwendet. Der Mainstream denkt an eine Mischung aus betriebswirtschaftlicher Innovation, konsequenter Digitalisierung und neuen Produkten sowie Dienstleistungen. Links von der politischen Mitte gibt es eine konsum‑, wachstums‑ und Status‑quo‑kritische Debatte. Warum führen wir beide Stränge nicht zusammen?

Ich behaupte sogar: Unser Land kann Transformation, auch wenn manches dagegen spricht. Ja, ich weiß: Der Flughafen wird nicht fertig. Große Bauprojekte dauern zu lange und überschreiten alle Kosten. Auch die neue Dieselgeneration emittiert noch zu viele Stickoxide. Das E-Auto kommt nicht vom Fleck. Die Digitalisierung nimmt nicht Fahrt auf, dabei rufen doch alle danach.

Doch haben wir nicht seit 1945 schon viel größere Umwälzungen bestanden? Den Wiederaufbau aus Trümmern, die Integration von Millionen Ost-Flüchtlingen, das Wirtschaftswunder, die Eingliederung weiterer Millionen, diesmal von Gastarbeitern, bis hin zum Fall der Mauer, der Herstellung der deutschen Einheit und dem Auf- und Ausbau der EU?

Eigentlich müssten wir schon weiter sein. Es ist ja nicht so, dass intelligente Unternehmer, Manager, Ingenieure oder Banker und Investoren die Zeichen der Zeit nicht erkennen. Schließlich entschied sich die Welt im Dezember 2015 mit Votum von 200 Nationen für eine ehrgeizige Klimastrategie. Die Weichen sind richtig gestellt – übrigens unter führender Beteiligung von Franzosen und Deutschen.

Es hapert gar nicht im Grundsätzlichen, es hapert im Alltag. Wir müssen nur konsequenter ernst nehmen, was längst in vielen Parteiprogrammen steht, aber auch in Wertekatalogen vieler Firmen und Investoren. Auch heute schon passiert viel Ermutigendes. Ist es nicht großartig, wenn die Post Elektroautos und -transporter baut, nachdem die OEMs nicht in die Puschen kamen?

Es genügt nicht mehr, nur in Euro zu rechnen

In meiner Interim-Branche machen Transformationsprojekte bis zu 40 Prozent der Mandate aus. Die Unternehmen brauchen oft eine externe Verstärkung. Wenn nur eigene Manager Transformationsprojekte nebenher übernähmen, käme nichts voran. Sicher gibt es immer wieder auch grüne Ziele, etwa bei der Optimierung von Logistikketten. Aber um ehrlich zu sein: Der grüne Anteil könnte deutlich höher sein. Konventionelle Ziele sind bei Weitem häufiger. Es genügt heute nicht mehr, nur in Euro und Cent zu rechnen. Man muss auch die Stoffströme durchleuchten. Let’s get physical.

Die Ziele der zwei Transformationszüge sind keineswegs identisch. Aber die Schnittmenge zwischen ihnen ist größer, als man denkt. Man kann Wohlstand sichern, ohne die Natur zu vernichten. Ein konsequenter, ökologisch orientierter Umbau des Wohlstandsmodells ist sogar notwendig, wenn wir die Lebensgrundlagen erhalten wollen: Bienen, Insekten, Wasser, saubere Luft und so. Ohne die vielen Millionen kleinen Helfer aus der Natur wird das künftig nix mit dem Wohlstand.


Zur Person

Dr. Anselm Görres war zwölf Jahre in der Wissenschaft und zehn Jahre erst McKinsey-Berater, dann MBI-Investor in Berlin-Ost. 1994 wurde er Interim-Provider und 1996 Inhaber der ZMM GmbH. Seit 1982 engagiert er sich für eine grünere und gerechtere Marktwirtschaft.

www.zmm.de
 

 

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