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Noch nicht über den Berg

Der deutschen Industrie bricht das margenstarke Russlandgeschäft weg. Was das wirklich bedeutet, wird wohl erst nach Veröffentlichung der Quartalszahlen im Oktober deutlich werden. So wappnen sich Unternehmen gegen ein Andauern der Ukraine-Krise.

Fast täglich lassen die Nachrichten die Ukraine-Krise in einem anderen Licht erscheinen. An einem Tag werden seitens der Europäischen Kommission weitere Sanktionen gegen Russland diskutiert. Frankreich stoppt nach langer kontroverser Debatte die Lieferung eines Kriegsschiffs an die Putin-Regierung. Und wenig später weckt eine Waffenruhe zwischen Regierung und Separatisten in der Ukraine neue Hoffnung auf Frieden und Stabilität.

Wie wir alle sind auch die Investoren hin- und hergerissen. Der Deutsche Aktienindex hat seinen steten Aufwärtstrend des ersten Halbjahres beendet und tritt unruhig auf der Stelle. Und so lässt sich am deutschen Leitbarometer auf einen Blick die missliche Lage ablesen: Während andere Börsen weitgehend unbeeindruckt von der Ukraine-Krise notieren, herrscht am deutschen Markt Nervosität. Denn die deutsche Wirtschaft ist stark exportorientiert. Und schon vor Wochen erreichten uns die ersten Negativmeldungen aus der deutschen Industrie. Was, wenn die Ost-West-Krise zum Dauerzustand w

Wachstumsvorgaben in Gefahr

Heute ist klar: Die Ukraine-Krise wird die deutschen Industrieunternehmen weiter belasten. Optimistische Aussagen vom Frühjahr, die politischen Spannungen würden zum Beispiel im Maschinenbau langfristig keine bedeutenden Spuren hinterlassen, stellen sich heute als Ausdruck einer Hoffnung heraus. Auch wenn die Einnahmen der deutschen Exportwirtschaft insgesamt im Juli ein Rekordhoch erreicht haben, ist davon auszugehen, dass Teile der deutschen Industrie in den beiden letzten Quartalen von 2014 erhebliche Einbußen verzeichnen werden.

Denn über eines kann auch das Auftragsplus vom Juli – ein kurzer Lichtblick in der Krise – nicht hinwegtäuschen: Wir sind noch nicht über den Berg. Die Jahres- und Wachstumsvorgaben sind in Gefahr. Auf Basis der heutigen Entwicklungen ist deshalb anzunehmen, dass nach Vorlage der Zahlen für das dritte Quartal die Auswirkungen der Krise erst so richtig zum Vorschein kommen.

Das margenträchtige Ostgeschäft ist schwer aufzuholen

Das Geschäft mit Russland und der Ukraine scheint bei den meisten exportierenden Industrieunternehmen zwar relativ gesehen keinen besonders großen Anteil in der Gesamtbilanz auszumachen. Bei den deutschen Maschinenbauern etwa sind es gerade einmal rund fünf Prozent des Geschäfts. Doch dieses ist margenträchtig und daher besonders attraktiv.

In absoluten Zahlen ist es dementsprechend wichtig für die Ertragsquote. Gerade bei mittelständischen Unternehmen können einzelne Großaufträge bis zu einem Drittel des Gesamtjahresumsatzes ausmachen – ein Verlust durch Krise und Sanktionen kann daher sehr schmerzhaft sein.

Die Ukraine-Krise ist keine neue Euro-Krise

Zwar wird sich die Ukraine-Krise wohl nicht zu einem Dauerthema entwickeln, das die Bilanzen auf lange Zeit strapaziert. Ein Ausmaß vergleichbar der Euro-Krise, die Wirtschaft und Aktienmärkte über lange Jahre in einen Dauerkrisenmodus versetzte, wird sie eher nicht annehmen. Denn eine Lösung des Konflikts muss schon aus politischer Sicht sehr bald erfolgen. Das wird auch der Wirtschaft helfen, denn auf die Entspannung wird umgehend die Neuanbahnung des Geschäfts folgen.

Doch die für die Unternehmen so schmerzhafte Entwicklung ist eben nicht allein auf Einbrüche beim Export zurückzuführen – auch der Währungsverfall trägt zu sinkenden Gewinnen bei. Aus Konzernsicht hat dies zwar nur einen translatorischen Effekt. Dieser hat aber einen unmittelbaren Einfluss auf den Gewinn. Unternehmen sollten angesichts der Währungsunsicherheiten darüber hinaus, soweit noch nicht geschehen, nicht benötigtes Kapital schleunigst – beispielsweise mittels Gewinnausschüttungen – aus dem Rubel herausholen.

Keine Abschlüsse mehr ohne Hermes-Bürgschaft

Und was können Unternehmen jetzt tun – außer auf eine Einigung in der Politik zu hoffen? Meine Empfehlung lautet: Abwarten und die aktuellen Geschäftsbestände sichern. Anstehende Entscheidungen zum Beispiel über Investitionen in Russland und der Ukraine sollten Verantwortliche in Unternehmen nach Möglichkeit zeitlich flexibler handhaben als geplant und zunächst keine neuen großvolumigen Investitionen tätigen. Wichtig: Abschlüsse in der Pipeline sollten nur noch mit Hermes-Bürgschaft erfolgen. Und neue Vertriebswege zu eröffnen oder Kampagnen zu starten, ist derzeit nicht sinnvoll, weil die erhofften positiven Effekte, so sie denn angesichts der Unsicherheit auf beiden Seiten überhaupt eintreten, eher langfristig wirken.

Weitere kurzfristige Maßnahmen bieten sich an: Wer Geschäft in Russland über Banken vor Ort finanziert hat, sollte Möglichkeiten der Umschuldung in Anspruch nehmen. Denkbar wäre eine Umschuldung mit Hilfe westlicher Banken, idealerweise im Rahmen von bestehenden Finanzierungsvereinbarungen der deutschen Muttergesellschaft. Hierbei sind häufig signifikante Zinsunterschiede zu erreichen. Denn die Kreditzinsen für Unternehmen in Russland sind bereits stark gestiegen und können weiter steigen – schon heute verlangen die Banken von ausländischen Unternehmen zweistellige Werte. Das Ende der Fahnenstange ist hier vermutlich noch nicht erreicht.

Fazit

Grund zur Panik besteht allerdings schon aus geschäftlicher Notwendigkeit nicht. Unternehmen sollten im Land bleiben, das bestehende Geschäft nicht komplett zurückfahren und den Markt weiter sondieren. Wer kann, sollte die Mitarbeiter halten. Denn sobald sich Lockerungen der Sanktionen abzeichnen, tun Unternehmen gut daran, vor Ort und handlungsfähig zu sein. Denn auch wenn das Verhältnis zwischen der EU und Russland derzeit wenig partnerschaftlich wirkt: Sobald die politischen Differenzen vom Tisch sind, zieht das Geschäft wieder an. Wer dann schnell vor Ort agieren kann, sichert sich wichtige Wettbewerbsvorteile.


Zur Person

Christoph Schenk ist Partner und Länderspezialist für Russland bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG. Er betreut DAX- und andere Unternehmen vor allem aus der Industrie und der Chemiebranche und hat beruflich viele Jahre im Ausland – vor allem in den USA und Russland – verbracht. www.kpmg.com

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