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Nicht jede Mode mitmachen

Vielen mittelständischen Modeherstellern und Textilhändlern geht es schlecht. Die Gründe dafür unterscheiden sich, doch einen gemeinsamen Konkurrenten haben alle: internationale Ketten, die den Markt mit Billigware überschwemmen. Ein Krisenbericht aus der deutschen Modebranche.

Es ist Donnerstag nach Feierabend in der edlen Münchner Einkaufspassage Fünf Höfe. Die freundliche Verkäuferin in der René-Lezard-Boutique heißt jeden Kunden, der an diesem Abend durch die Tür tritt, „herzlich willkommen“. Zwischen weißen Leinenhosen, sportlichen Übergangsjacken und blauen Sommerkleidern deutet nichts auf eine existenzbedrohende Geschäftslage hin. Das Leben geht vorerst weiter bei René Lezard – allerdings seit März in einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung.

Boutique von René Lezard in München: Über ein Insolvenzverfahren sucht das Label seit Juni nach Investoren. (© René Lezard Mode GmbH)

Insolvenzwelle trifft Modeproduzenten

Das Unternehmen aus dem unterfränkischen Schwarzach ist nicht der einzige Modehersteller aus dem deutschen Mittelstand, der momentan in der Krise steckt. Allein in den vergangenen acht Monaten meldeten auch Laurèl und Roeckl Insolvenz an und versuchen sich nun – genau wie René Lezard – mit dem bisherigen Management aus den Miesen zu befreien. Strenesse und Escada haben bereits ein Insolvenzverfahren hinter sich und versuchen mit neuen Investoren, wieder Gewinne zu erwirtschaften. Die Marke Rena Lange ist hingegen aus den Schaufenstern verschwunden. Nachdem das zahlungsunfähige Münchner Label keine neuen Investoren gefunden hatte, wurde es 2015 liquidiert.

Keine Pleite gleicht der anderen. Bei Strenesse gab es Probleme um die Nachfolge; immer wieder war unklar, ob externe Manager oder die Kinder des Gründersohns Gerd Strehle die Nachfolge übernehmen sollen. Luca Strehle, der das Unternehmen schließlich bis zur Insolvenz leitete, verließ den Vorstand Ende 2014. Mittlerweile gehört Strenesse einer polnischen Familie, die sich am Neustart versucht. Roeckl hat mit wärmeren Wintern zu kämpfen und damit, dass die meisten Frauen nicht mehr Hunderte Euro für Handschuhe ausgeben. Laurèl und René Lezard sind an der Finanzierung gescheitert und konnten zuletzt nicht mehr ihren hohen Zinsverpflichtungen nachkommen. Diese gingen mit einer Mittelstandsanleihe einher, die sie vor Jahren ausgegeben hatten.

Markentreue nimmt ab

Neben individuellen Krisenursachen teilen die deutschen Modehersteller allerdings einige gemeinsame Probleme. Eines davon lässt sich auf der Straße an den Menschen beobachten, die heute die Jeans von Zara zum Marken-Poloshirt tragen und das Kleid von Strenesse mit dem 29,90-Euro-Blazer vom H&M kombinieren. „Die Kunden verhalten sich hybrider“, sagt Philipp Prechtl, der bei der Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner die Mode- und Lifestylebranche im Blick hat. Es sei für Unternehmen zwar immer noch wichtig, sich als Marke klar zu positionieren. Allerdings fühlen sich die Kunden den Marken nicht mehr so verbunden wie früher.

Dieses Phänomen ist bei Weitem nicht das einzige, was für einen Umbruch in der Branche sorgt. „Das Geschäftsmodell in der Mode hat sich in den vergangenen 20 Jahren grundlegend geändert“, sagt Peter Schmies, Professor für Mode- und Designmanagement an der Akademie Mode & Design. Das liegt vor allem an den Unternehmen, die heute die Fußgängerzonen jeder halbwegs größeren europäischen Stadt ziemlich gleich aussehen lassen: Ketten wie Zara, H&M oder Primark.

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Vielen mittelständischen Modeherstellern und Textilhändlern geht es schlecht. Die Gründe dafür unterscheiden sich, doch einen gemeinsamen Konkurrenten haben alle: internationale Ketten, die den Markt mit Billigware überschwemmen. Ein Krisenbericht aus der deutschen Modebranche.

Wettbewerbsvorteile internationaler Ketten

Diese Labels sind sogenannte vertikale Anbieter, weil sie das gesamte Angebot allein steuern: Sie kümmern sich um das Design, lassen die Mode herstellen und verkaufen sie in eigenen Stores zu Discountpreisen. Die Größe und Struktur dieser Unternehmen bieten ihnen zwei entscheidende Wettbewerbsvorteile. Erstens: Wer alles selbst erledigt, kann schnell auf neue Trends eingehen. Neue Ware kann unmittelbar produziert und gezielt im Laden platziert werden. Zweitens: Ein Allrounder muss sich die Marge weder mit einem Händler noch mit einem Hersteller teilen.

In den vergangenen Jahren haben einige deutsche Hersteller reagiert und im großen Stil eigene Läden aufgemacht. Allein Gerry Weber eröffnete mehrere Hundert Geschäfte und eigene Verkaufsflächen in Kaufhäusern, bis es Anfang 2016 weltweit mehr als 1.200 waren. Das waren zu viele, wie sich herausstellte. Seit einem Jahr schließt das börsennotierte Unternehmen wieder Filialen, gut hundert waren es bislang, drei Viertel davon in Deutschland. Auch Tom Tailor und Esprit machen unprofitable Geschäfte dicht, die sie einige Jahre vorher noch neu eröffnet hatten.

In einer eigenen Studie aus dem vergangenen Jahr zum Umbruch der Mode- und Lifestylebranche spricht Unternehmensberater Prechtl von einem „Vertikalisierungs-Hype“ bei einigen deutschen Labels. Es sei den Produzenten oftmals nicht klar gewesen, wie viele Kunden man ins Geschäft locken müsste, um die horrenden Innenstadtmieten und Personalkosten zu decken. Wenn ein Hersteller eigene Filialen eröffnet, braucht er dafür spezielles Know-how, das im Unternehmen bis dahin nicht vorhanden war. Es geht darum, wie man die Kleidung präsentiert und ob die Kollektion einen ganzen Laden ausfüllt. Am wichtigsten ist aber die Frage, ob eine einzige Marke in Zeiten schwindender Markentreue genügend Menschen anzieht: „Nicht jede Marke trägt eigene Läden“, resümiert Prechtl.

Auch Modehändler leiden

Die Modekaufhäuser dürfte diese Entwicklung eigentlich nicht schmerzen. Denn in ihren Filialen hängen die Waren unterschiedlicher Hersteller und Marken an den Kleiderstangen. Dennoch durchleben auch hier einige Anbieter harte Zeiten. Im Frühjahr 2016 meldete der Herrenausstatter Polhand Insolvenz an, Sinn-Leffers ereilte ein halbes Jahr später das gleiche Schicksal. Das Modehaus Wöhrl gab im vergangenen Jahr bekannt, dass ihm die Zahlungsunfähigkeit droht. Die Hauptversammlung des Nürnberger Traditionsunternehmens beschloss daraufhin ein Schutzschirmverfahren. Filialen wurden geschlossen. Christian Greiner, der Enkel des Firmengründers, ist zum Mai dieses Jahres als neuer Investor eingestiegen.

Die Probleme der sogenannten Multibrands ähneln jenen der Hersteller. Die Vertikalen greifen die klassischen Anbieter mit Niedrigstpreisen und ständig neuen Rabattaktionen an. Der Trend bei den Labels, eigene Shops zu eröffnen, hat für die Modehäuser zur Konsequenz, dass aus Lieferanten plötzlich Konkurrenten im stationären Handel werden. Zudem suchen viele Kunden schon seit Jahren vermehrt im Internet nach einem neuen Outfit.

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Vielen mittelständischen Modeherstellern und Textilhändlern geht es schlecht. Die Gründe dafür unterscheiden sich, doch einen gemeinsamen Konkurrenten haben alle: internationale Ketten, die den Markt mit Billigware überschwemmen. Ein Krisenbericht aus der deutschen Modebranche.

Um beim Kampf um preisbewusste Kunden mitzuhalten und Kosten zu sparen, haben die Händler immer mehr Personal abgebaut. Doch damit tappten sie in eine Falle, findet Christian Gerloff. Der Münchner Insolvenzrechtler stand dem Vorstand von Wöhrl während des Schutzschirmverfahrens als Restrukturierungsvorstand zur Seite. Er sagt: „Spart ein Multibrand-Anbieter an der Beratung, kann er seine markenübergreifenden Stärken nicht mehr ausspielen.“

Stammhaus von Wöhrl in Nürnberg: Das Traditionskaufhaus ging uner den Schutzschirm. (© Wöhrl Holding GmbH)

Personalabbau verstärkt nur die Krise

Ist niemand vor Ort, der die Kunden dabei berät, ob die Jeans oder das Hemd richtig sitzen, fragen sich die Konsumenten erst recht, weshalb sie noch ins Geschäft gehen und nicht gleich online bestellen sollen. Zumal dort neue Konkurrenten mit sogenanntem Curated Shopping individuelle Beratung anbieten. Es sei ein Teufelskreis, sagt Insolvenzberater Gerloff. Wöhrl will jetzt versuchen, ihn zu durchbrechen. Seit Anfang Mai ist Gerloffs Mission bei Wöhrl beendet. Neuinvestor Christian Greiner hat angekündigt, Wöhrl zurück zu den Wurzeln bringen zu wollen – bodenständig wolle man sein und „keine gekünstelte Schickimicki-Welt“ zeigen. Greiner will lieber in den Service investieren, statt das Online-Geschäft auszubauen. Insolvenzrechtler Gerloff hält das für eine gute Idee. Es sei sinnvoller, „das ureigene Thema zu verstärken, als halbherzige Online-Versuche zu starten“.

Neben dem Vertrieb bieten sich aber viele andere Möglichkeiten, das Geschäft zu modernisieren: „Manche Anbieter verweigern sich immer noch dem Digitalen“, sagt Unternehmensberater Prechtl. Dabei funktioniere etwa eine automatisierte, digitale Bedarfsplanung deutlich einfacher als Excel-Tabellen aus dem vergangenen Jahrtausend. Insolvenzexperte Gerloff findet, dass die Unternehmen auch die Daten ihrer Kunden besser verwerten können. Wird zum Beispiel mithilfe einer Kundenkarte erfasst, was der Verbraucher gekauft hat, kann ein Händler ihm persönlich zugeschnittene Angebote machen. „Die Digitalisierung bietet Chancen, das Marketing mehr am Kunden auszurichten“, sagt er – und rät kriselnden Multibrands, „den Einkauf zum Erlebnis zu machen“. Dazu könnten nicht nur ein guter Markenmix und kompetente Berater, sondern auch eine kaufhauseigene Bar oder Gastronomie beitragen.

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Vielen mittelständischen Modeherstellern und Textilhändlern geht es schlecht. Die Gründe dafür unterscheiden sich, doch einen gemeinsamen Konkurrenten haben alle: internationale Ketten, die den Markt mit Billigware überschwemmen. Ein Krisenbericht aus der deutschen Modebranche.

Die Strategie erfolgreicher Labels

Auch die angeschlagenen Hersteller müssen sich etwas einfallen lassen. So plant Roeckl, sich unabhängiger von kalten Wintern zu machen, und will das Geschäft mit Tüchern, Taschen und Sandalen ausbauen. Der Neustart dürfte ihnen nur dann gelingen, wenn sie sich von Wettbewerbern abgrenzen können, glaubt Modeprofessor Schmies. „Die Mode ist ein brutal gesättigter Markt, in dem man schon ein gewisses Extra bei Produkt oder Service bieten muss“, sagt er.

Storen von Marc Cain in Leipzig: Musterschüler des Wandels. (© Marc Cain GmbH)

Ein Unternehmen, das den schmalen Grat zwischen Massentauglichkeit und dem Extravaganten zu meistern scheint, ist der Damenmodehersteller Marc Cain. Fragt man Experten nach den Musterschülern der deutschen Modeindustrie, fällt immer wieder der Name des Labels aus dem schwäbischen Bodelshausen. Marc Cain macht Mode im höheren Preissegment, die weiße Bluse kostet knapp 150 Euro, das gestreifte Etuikleid fast 200 Euro. Marc Cain gelinge es, „eine zielgruppengerecht modische Aussage zu treffen, ohne übermäßig hip zu sein“, sagt Modeprofessor Schmies. Seine potenziellen Kundinnen spricht Marc Cain nicht nur über die eigenen Läden und Multibrands an, sondern auch über Bloggerinnen und verschiedene soziale Netzwerke. Zum Muttertag veröffentlichte das Label auf Instagram Bilder zweier Models in Marc-Cain-Kleidung – Mutter und Tochter. Man wolle sich „nicht an eine Frau bestimmten Alters, sondern an die selbstbewusste, offene und neugierige Frau von heute“ richten, heißt es beim Unternehmen.

Für Thomas Rasch, den Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands German Fashion, sind Marc Cain und andere erfolgreiche Mittelständler wie Roy Robson oder Digel Beispiele dafür, dass die deutsche Modebranche sich „nicht in einer Krise, sondern im Wandel“ befinde. Auch Unternehmensberater Prechtl gibt sich optimistisch: „Mittelständische Modeunternehmen, die ein klares Profil, eine saubere Marke und eine flexible Supply Chain haben, werden es schaffen“, ist er überzeugt. René Lezard, Roeckl, Wöhrl und Co. müssen jetzt den Beweis antreten, dass Not erfinderisch machen kann.

 

 

 

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