Die Insolvenzen im Markt für Mittelstandsanleihen häufen sich. Eine fundamentale Kreditanalyse kann helfen, potenzielle Probleme bei Unternehmen aufzuzeigen. Ein Allheilmittel ist sie allerdings nicht. Vielmehr müssen sich die Marktteilnehmer professionalisieren.
Was für Überlegungen kann ein Investor auf Basis von öffentlich verfügbaren Jahresabschlüssen und Wertpapierprospekten treffen, um sich für oder gegen eine Finanzierung zu entscheiden? In vielen Fällen genug, um ein Engagement zumindest ernsthaft zu hinterfragen. Leider hilft solch eine Kreditanalyse aber nicht in allen Situationen. Dem Retail-Investor bleibt diese Ebene der professionellen Kreditanalyse bisher auf breiter Basis verschlossen. Ein möglicher Betrug bleibt für alle externen Betrachter, inklusive Wirtschaftsprüfer, in der Regel vorab nur schwer aufzudecken.
Kreditanalyse als Schlüssel
Angenommen, ein Investor möchte sich ein erstes Urteil über eine mögliche Investition bilden. Als Material besitzt er die Jahresabschlüsse einer Gesellschaft der Jahre 2010 bis 2014 sowie einen Wertpapierprospekt einer bereits platzierten Anleihe. Er findet die „Business Story“ auf den ersten Blick attraktiv. Schließlich ist der Umsatz des hypothetischen Unternehmens über die Jahre stark gestiegen. Und das operative Ergebnis scheint auch zu wachsen. Beides sind typische Merkmale vieler Unternehmen am Mittelstandsmarkt.
Aber halten die Zahlen einer ersten Überprüfung stand? Wichtige Kennzahlen einer Kreditanalyse sind: Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) und EBITDA-Marge, operativer Cashflow und Investitionen: Diese werden hinsichtlich der Implikationen für Geschäfts- und Finanzrisikoprofil beurteilt.Die Insolvenzen im Markt für Mittelstandsanleihen häufen sich. Eine fundamentale Kreditanalyse kann helfen, potenzielle Probleme bei Unternehmen aufzuzeigen. Ein Allheilmittel ist sie allerdings nicht. Vielmehr müssen sich die Marktteilnehmer professionalisieren.
- Die Grafik des Beispiels verdeutlicht: Trotz steigendem EBITDA sinkt die EBITDA-Marge im Zeitablauf kontinuierlich und signifikant ab. Das ist grundsätzlich bedenklich und wirkt sich negativ auf das Geschäftsrisikoprofil aus. Die Mehrzahl der Probleme von Unternehmen, die in die Insolvenz abrutschen, finden ihren Ursprung im operativen Geschäft. Steigende Umsätze sind dann wenig aussagekräftig. Eine Analyse von Unternehmen mit einem S&P-Rating im Zeitablauf bestätigt dies. Die Profitabilität von Unternehmen, die in Default gehen, sinkt im Durchschnitt bereits 40 Monate vor einer Insolvenz signifikant.
- Ein Blick auf den Verlauf des operativen Cashflows in dem Beispiel erhärtet die Befürchtungen: dieser verläuft extrem volatil und passt nicht zur EBITDA-Entwicklung. 2011 und 2013 verbrennt das Unternehmen operativ Geld, 2010, 2012 und 2014 dagegen nicht. Sinkende Profitabilität in Verbindung mit schwacher und volatiler operativer Cashflow-Generierung sind klare Warnsignale und ein weiterer negativer Rating-Indikator für das Geschäftsrisiko.
Dahinter können strukturelle Probleme in einer Industrie stehen, wie stärkerer Wettbewerb, schwindende Marktmacht bei Kunden und Lieferanten, eine mangelhafte Umsetzung der Unternehmensstrategie oder auch Technologie-Veränderungen. Solche Risiken sind für viele Unternehmen am Mittelstandsmarkt nicht unüblich. - Ein zusätzlicher Blick auf die getätigten Investitionen im Beispiel offenbart sehr hohe und bis auf 2012 immer weiter steigende Beträge. Der erwirtschaftete operative Cashflow reicht nicht aus, die Investitionen zu decken. Auch das ist nicht untypisch für Unternehmen am Mittelstandsmarkt. Aggressives, fremdfinanziertes Wachstum steht oft nicht in einem vernünftigen Verhältnis zur Profitabilität. Aufgrund des Cash Burns muss das Unternehmen folglich kontinuierlich mehr Fremdkapital zuführen. Das steigert die Verschuldung und reduziert den Zinsdeckungsgrad. Eine Refinanzierung ohne den vorherigen Nachweis der Fähigkeit zur Schuldenreduktion wird dann oft schwierig. Deckt die vorhandene Liquidität den Finanzierungsbedarf für kürzer als ein Jahr, ist ein Unternehmen als hochspekulativ einzustufen. Darüber hinaus zeigen historische Daten von Standard & Poor’s, dass die Verschuldung von Unternehmen, die in die Insolvenz gehen, bereits 24 Monate zuvor das Sechsfache des jährlichen EBITDA übersteigt.
Corporate Governance als Ausschlusskriterium
- Wird ein Investor aufgrund der Ergebnisse obiger Analyseschritte vorsichtig, lohnt sich ein Blick auf die Corporate Governance des Unternehmens. Defizite wirken sich in der Regel zusätzlich negativ auf eine Krediteinschätzung aus. Zum Beispiel deuten nicht konsolidierte Gesellschaften, die unter der Kontrolle der Eigner stehen, auf sogenannte Related Party Transactions hin, die genauer analysiert werden sollten. Ziel ist der Blick auf die ökonomische Realität, nicht die rechtliche. Die Höhe der echten Außenumsätze oder des Verschuldungsgrads mögen dann gegebenenfalls weniger vorteilhaft ausfallen. Das wäre dann möglicherweise der Zeitpunkt, eine Investition ernsthaft zu überdenken.
Fazit
Eine professionelle Analyse der Kreditrisiken kann im Vorfeld einer Investition viel leisten, wenn man Warnsignale entsprechend beachtet. Ein Allheilmittel gegen Insolvenzen ist diese allerdings nicht. Für das Funktionieren eines Kapitalmarktes ist eine professionelle Kreditanalyse allerdings unerlässlich.
Zur Person
Dr. Mark Währisch arbeitet als Direktor bei Standard & Poor’s Rating Services in Frankfurt. In seiner Funktion als Senior Analyst ist er in leitender Funktion für die Kreditbeurteilung von mittelständischen Unternehmen in Deutschland verantwortlich. www.spratings.com/mittelstand