„Unser Ziel ist es, ein funktionierendes Ökosystem zu schaffen“

Renata Bandov von der Deutschen Börse über die bisherigen Erfahrungen mit dem neuen Segment Scale nach dem Start vor rund einem Jahr.

Unternehmeredition: Frau Bandov, mit dem Segment Scale sprechen Sie kleine und mittlere Unternehmen an. Welche Voraussetzungen müssen Interessierte erfüllen?

Bandov: Unternehmen, die über ein Listing in Scale Kapital aufnehmen wollen, müssen zwei Jahre bestehen und eine Marktkapitalisierung von mindestens 30 Mio. Euro aufweisen. Zudem muss der Streubesitz bei mindestens 20 Prozent bzw. einer Million Aktien liegen. Des Weiteren haben wir fünf Kriterien angesetzt, von denen jedes Unternehmen mindestens drei erfüllen muss: ein Mindestumsatz von zehn  Mio. Euro, ein positives Jahresergebnis, ein positives bilanzielles Eigenkapital, mindestens 20 Mitarbeiter und mindestens fünf  Mio. Euro eingesammeltes Eigenkapital vor dem Börsengang. Verpflichtend sind auch fortlaufende Research Reports durch die beiden Analysehäuser Morningstar und Edison, die von der Deutschen Börse beauftragt werden. Uns ist es wichtig, dass in Scale gelistete Unternehmen kontinuierlich mit dem Kapitalmarkt kommunizieren, deshalb sind die Research Reports, Finanzberichte genau wie mindestens eine jährliche Analystenkonferenz Pflicht.

Bedeutet die geänderte Regelung zum Research, dass es davor zu häufig Gefälligkeitseinschätzungen gab? Wie finden die Unternehmen und Investoren die unabhängige Beauftragung?

Die Research Reports steigern die Aufmerksamkeit der in Scale gelisteten Unternehmen erheblich und machen sie für Investoren vergleichbarer. Das können wir an den Zugriffszahlen der Reports gut erkennen, aber auch am Feedback, das wir von Emittenten und Investoren bislang erhalten haben. Die Investoren begrüßen natürlich, dass die Reports zentral durch uns als neutrale Stelle beauftragt werden. Außerdem wird positiv wahrgenommen, dass unsere Reports für jedermann frei verfügbar sind, also auch für Privatanleger. Aber auch die gelisteten Unternehmen profitieren, denn seit Geltung der Richtlinie MiFID ist zu erwarten, dass sich die Research-Industrie verändern wird und insbesondere KMU dies zu spüren bekommen werden. Bereits in der Vergangenheit sind KMU nur sehr spärlich von Brokern abgedeckt worden. Wir wollen mit unserem Research-Angebot sicherstellen, dass die Unternehmen in Scale eine Grundversorgung mit Research erhalten. Aber natürlich steht es den Unternehmen frei, zusätzlich auch eigenes Research zu beauftragen.

 Aktuell geht es ja dem deutschen Mittelstand prächtig, die Zinsen befinden sich auf historisch niedrigem Niveau – warum sollten aus Ihrer Sicht Unternehmen dennoch am Kapitalmarkt aktiv sein?

Das stimmt aktuell. Aber es ist davon auszugehen, dass Fremdkapital auch wieder teurer wird. Ein Börsengang ermöglicht Unternehmen großvolumige und durch Kapitalerhöhungen wiederholbare Finanzierungen. Der deutsche Mittelstand steht vor großen Aufgaben, für die er viel Kapital braucht, Stichwort Digitalisierung und Internationalisierung. Das kann nicht allein durch Bankenfinanzierung abgedeckt werden. Der Baustein Börse hat in der Unternehmensfinanzierung in Deutschland seinen Platz, und gerade in Zeiten eines positiven Kapitalmarktumfeldes rückt er wieder verstärkt in den Fokus. Dabei geht es auch um den Erhalt der Wachstums- und Innovationsfähigkeit unserer Volkswirtschaft und die Entwicklung neuer, nachhaltig profitabler Geschäftsmodelle – also auch um Finanzierungen für Start-ups in einem funktionierenden Ökosystem, wie es zum Beispiel in den USA, dem Gründerland schlechthin, seit Jahren erfolgreich funktioniert. Wir wollen die Wachstumsfinanzierung in Deutschland ankurbeln, und zum Beispiel Wagniskapitalgebern einen geeigneten Exit-Kanal bieten.

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