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Industrie 4.0 erkennen und nutzen

Man mag zu dem Begriff „Industrie 4.0“ stehen, wie man will: Unabhängig von ihm gilt, dass die Digitalisierung der Industrie in den nächsten fünf bis zehn Jahren zu einem tiefgreifenden Wandel führen wird. Unternehmen sollten die Zeit nutzen, um individuelle Chancen herauszuarbeiten. 

Aus Sicht eines produzierenden Unternehmens kann sich die Digitalisierung der Industrie in zwei unterschiedlichen Gestaltungsfeldern niederschlagen. Einerseits natürlich in der Produktion, auf die sich ja grundsätzlich das Augenmerk der Industrie 4.0 richtet. Andererseits werden auch die Produkte und Leistungen eines Unternehmens zunehmend mit digitalen Technologien durchsetzt, wodurch dem Kunden ein höherer Nutzen geboten werden kann.

Zwei Seiten der Industrie 4.0

Das Geschäftsmodell eines Unternehmens, also die Festlegung dessen, was welchem Kunden geboten wird, wie diese Leistung erbracht und wie damit Geld verdient wird, lässt sich in die beiden Bereiche Back end (Produktion/Kosten) und Front end (Produkte/Umsatz) unterteilen. Dies entspricht genau den unternehmerischen Gestaltungsfeldern der Industrie 4.0, die als Ausgangspunkt für die Umsetzung zu beleuchten sind:

  1. Back end: Die Durchdringung der internen Prozesse mit IT und die Vernetzung der Daten senken die Kosten bei einer gleichzeitigen Steigerung der Flexibilität. Unterdessen resultiert aus der zunehmenden Serviceorientierung der Industrie noch viel stärker als bisher die Möglichkeit, nicht mehr alle notwendigen Leistungen im Back end selbst erbringen zu müssen. Um Ansatzpunkte für eine Veränderung zu finden, können beispielsweise folgende Fragen hilfreich sein:
    1. Welche Partnerschaften werden gebraucht oder bieten sich an, um das geplante Wertangebot zu erstellen?
    2. Bieten sich disruptive Technologien zur kundenintegrierten Fertigung an?
    3. Stehen relevante Fertigungsparameter in Echtzeit zur Verfügung?
    4. Wie fließen die Betriebsdaten der Produkte in deren Weiterentwicklung ein?
    5. Kann die Kostenstruktur durch die Digitalisierung von Produktfunktionen verändert werden?

Man mag zu dem Begriff „Industrie 4.0“ stehen, wie man will: Unabhängig von ihm gilt, dass die Digitalisierung der Industrie in den nächsten fünf bis zehn Jahren zu einem tiefgreifenden Wandel führen wird. Unternehmen sollten die Zeit nutzen, um individuelle Chancen herauszuarbeiten. 

  1. Front end: Die Digitalisierung der Produkte eröffnet neue Möglichkeiten, vielschichtige Nutzenfelder zu adressieren und die Schnittstelle zum Kunden zu gestalten. Dies ermöglicht neue Differenzierungsansätze bei Produkt/ Marktkombinationen und somit die Chance auf eine Umsatz- und Ertragssteigerung. Ansatzpunkte für Innovationen am Front end können mithilfe folgender Fragen gefunden werden:
    1. Welche Jobs muss ihr Kunde wirklich erfüllen und wie nutzt er dabei das Produkt?
    2. Könnte ein bestehender oder neuer Wettbewerber den gleichen oder sogar einen höheren Nutzen mit niedrigeren Kosten bieten?
    3. Welche innovativen Einnahmequellen wären im Zuge einer Serviceorientierung denkbar?
    4. Sind vorhandene Potenziale für den Produkt-, Leistungs- und Zusatznutzen bekannt?
(© Wieselhuber & Partner GmbH)

Industrie 4.0 braucht große Perspektive

Die Unterscheidung in die beiden genannten Gestaltungsfelder Front end und Back end ist nur aus der Sicht eines individuellen Unternehmens sinnvoll. Übergreifend betrachtet schließt sich der Kreis, wenn beispielsweise ein Maschinenbau-Unternehmen mit digitalen Technologien angereicherte Maschinen und Dienste anbietet, die ein anderes Unternehmen wieder in seiner Produktion einsetzen kann. Es ist jedoch auch für das einzelne Unternehmen unbedingt notwendig, diese übergreifende Perspektive einzunehmen. Nur auf dieser Ebene lassen sich die mit Industrie 4.0 einhergehenden Veränderungen der Markt- und Branchensituationen erkennen. Die detaillierte Analyse auf dieser Ebene kann ergeben, dass ganze Wertschöpfungsstufen eliminiert bzw. automatisiert werden. Dass dies die Markt- und Wettbewerbssituation verändert, ist offensichtlich.

Man mag zu dem Begriff „Industrie 4.0“ stehen, wie man will: Unabhängig von ihm gilt, dass die Digitalisierung der Industrie in den nächsten fünf bis zehn Jahren zu einem tiefgreifenden Wandel führen wird. Unternehmen sollten die Zeit nutzen, um individuelle Chancen herauszuarbeiten. 

Im Sinne einer klassischen strategischen Umweltanalyse ist zu erheben, wie sich die Bedürfnisse des Marktes und damit auch die Wettbewerbssituation verändern. Das heißt, welche Wettbewerber treten neu in den Markt ein und verändern möglicherweise die Spielregeln? Eine solche Analyse verdeutlicht die Verschiebung oder teilweise Auflösung von heute bekannten Branchengrenzen im Maschinen- und Anlagenbau. Der Nutzen, für welchen der Kunde zu zahlen bereit ist, wird in Zukunft noch viel stärker durch IT und Services erbracht als durch die Mechanik der Maschine.

Chancen bei gleichzeitigen Risiken

Hierdurch entstehen Risiken für etablierte Unternehmen, aber gleichzeitig auch Chancen, um sich in diesem sehr dynamischen Umfeld neu zu positionieren. Zur Weiterentwicklung des bestehenden Geschäftsmodells oder auch zur Ableitung neuer Geschäftsmodelle sollten die typischen Veränderungstreiber der Industrie 4.0 vor dem Hintergrund des individuellen Marktsegments untersucht werden. Beispiele für diese Veränderungstreiber sind:

  1. Digitale Produkte produzieren pausenlos Daten
  2. Digitale Dienste haben keine Grenzkosten
  3. Transparenz und Echtzeitvernetzung ermöglichen neue Funktionen und reduzierte Transaktionskosten
  4. Pay per Use statt Investition senkt die Einstiegshürden
  5. Verschiedene Rollen eines Business Case werden in Echtzeit über Plattformen vernetzt
  6. Interne Komplexität lässt sich über Konfiguratoren an den Kunden auslagert

Man mag zu dem Begriff „Industrie 4.0“ stehen, wie man will: Unabhängig von ihm gilt, dass die Digitalisierung der Industrie in den nächsten fünf bis zehn Jahren zu einem tiefgreifenden Wandel führen wird. Unternehmen sollten die Zeit nutzen, um individuelle Chancen herauszuarbeiten. 

Zur Erarbeitung neuer, innovativer Geschäftsmodelle bietet sich ein Greenfield-Ansatz mit einem interdisziplinären Team an. Geschäftsmodell-Innovationen sind meist allenfalls für die Branche, in welcher sie zur Anwendung kommen, neu. Das heißt, der Blick über den Tellerrand ist extrem wichtig, weshalb idealerweise branchenfremde Teilnehmer an der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle beteiligt sein sollten.

Abhängig vom Ergebnis solcher Workshops und von der Risikobereitschaft des Unternehmens muss dann ein strategischer Migrationsplan für die Zukunft erarbeitet werden. Hierzu gibt es im Grunde die beiden Varianten der Weiterentwicklung des bestehenden Geschäftsmodells oder des (meist parallelen) Aufbaus eines ganz neuen Geschäftsmodells.

Entscheidend für den Erfolg einer Geschäftsmodell-Innovation sind meist die internen Hürden. Daher ist zum einen zu überprüfen, an welcher Stelle sachliche Konflikte entstehen und wie diese umgangen werden können. Noch wichtiger ist es allerdings, den häufig notwendigen kulturellen Wandel durch eine klare, von der Geschäftsführung ausgehende Kommunikation und ein entsprechendes Change-Management zu begleiten.


Zur Person

(privat)

Dr. Mathias Döbele ist als Senior Manager bei Dr. Wieselhuber & Partner GmbH verantwortlich für den Maschinen-/Anlagenbau und industrielle Elektrotechnik. Nach dem Studium des Maschinenbaus und der Betriebswirtschaft an der TU München arbeitete er im Bereich Corporate Development der MAN AG und im Bereich Anlagenplanung der AUDI AG – 2010 begann er seine Karriere bei Dr. Wieselhuber & Partner und gilt heute als Experte für das Thema Industrie 4.0. www.wieselhuber.de

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