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„Für uns ist das ROCE die Spitzenkennziffer“

Zentrale von Giesecke+Devrient in München: Seit der Umstrukturierung zur Holding vor zwei Jahren sind die vier Geschäftsbereiche selbstständiger.

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Giesecke+Devrient (G+D) verändert sich seit ein paar Jahren vom klassischen Produktionsbetrieb zum Technologieunternehmen. Um die Transformation weiter zu betreiben, setzt G+D auf verschiedene Darlehen. Im Interview erklärt CFO Dr. Peter Zattler, warum er sich strategisch auf das eingesetzte Kapital als Kennziffer sowie auf Beteiligungen an Start-ups fokussiert.

Unternehmeredition: Herr Dr. Zattler, Sie haben im vergangenen Jahr 200 Mio. Euro über ein Schuldscheindarlehen eingesammelt. Ist dieses Geld an bestimmte Projekte gekoppelt oder stellt es eher eine allgemeine Finanzierung dar?

Dr. Peter Zattler: Das Geld dient in erster Linie unserem allgemeinen Unternehmenswachstum. Wir haben etwa laufende langfristige Aufträge in Ägypten und Bangladesch. So etwas erfordert natürlich eine Finanzierungskomponente. Das ist der eine, organische Teil. Der andere Teil betrifft unser anorganisches Wachstum. Mit unserer neuen G+D Ventures-Einheit haben wir im vergangenen Jahr im kleinen Stil Beteiligungen mit Targets von fünf bis zehn Mio. Euro getätigt. Falls wir zudem ein größeres Objekt kaufen wollen, können wir das Kapital dafür einsetzen. Es gibt da immer wieder Ideen und Gespräche.

In vielen Branchen entstehen Akquisitionen auch aus einem Konsolidierungsdruck heraus. Inwieweit ist das ein Faktor in Ihrer M&A-Strategie?

Wir würden keine größeren Zukäufe in unseren angestammten Geschäftsfeldern tätigen, etwa bei Currency Technology rund ums Bargeld. Unsere Akquisitionsideen zielen vielmehr auf eine Abrundung unseres Portfolios ab, gerade auch von der Technologieseite her. Ein gutes Beispiel ist unsere Beteiligung bei IDnow (zwölf Prozent; Anmerkung der Redaktion). Deren Technologie beinhaltet das sogenannte Video Ident-Verfahren im Bankenumfeld, in dem wir sowieso schon unterwegs sind. Wir standen vor der Wahl, ob wir das selber aufbauen oder uns Time to Market in ein bestehendes Geschäftsmodell einkaufen.

Bereits im Jahr 2017 haben Sie ein weiteres großes Darlehen bekommen, nämlich von der Europäischen Investitionsbank (EIB). Ist dies vor allem für Ihre F&E-Abteilung bestimmt?

Ja genau, wir haben das bereits zum zweiten Mal aufgenommen. Wir müssen dabei nachweisen, dass wir Forschungs- und Entwicklungsprojekte in Europa betreiben, und bekommen dafür 50 Prozent von der EIB finanziert. Die Summe bezieht sich auf einen Dreijahresrhythmus. Die EIB ist sozusagen unser strategischer Finanzierungspartner für F&E.

Ihre Eigenkapitalquote lag 2018 bei rund 20 Prozent. Viele Familienunternehmen haben über die Jahre hinweg ihre Quoten auf plus/minus 40 Prozent aufgestockt. Wie viel Eigenkapital streben Sie an oder sind Sie mit dem aktuellen Polster zufrieden?

Unser strategisches Ziel ist eine Eigenkapitalquote von 25 Prozent. Deshalb thesaurieren wir auch viel von unserem Gewinn. Eine Quote von 40 Prozent sehe ich für G+D nicht. Wir sind bei der Fremdfinanzierung gut aufgestellt, die Banken verlangen zudem nicht mehr als 20 bis 25 Prozent Eigenkapital. Für sie wie auch für uns ist der Free Cashflow als Kennziffer deutlich wichtiger.

Sie haben den thesaurierten Gewinn angesprochen. Von Ihrem Jahresüberschuss schütten Sie 20 Prozent an die Gesellschafter aus, im Jahr 2017 lag die Ausschüttungsquote noch höher. Gehen dieser Entscheidung Verhandlungen voran oder ist man sich schnell einig?

Wir verhandeln darüber nicht. Das wird in einem einvernehmlichen Gespräch mit der Gesellschafterfamilie festgelegt. Eine Ausschüttungsquote von 20 Prozent ist absolut moderat. Die Gesellschafter orientieren sich dabei an der Ertragskraft und der Tragfähigkeit des Unternehmens. Im Vergleich mit börsennotierten Unternehmen ist das eine sehr geringe Ausschüttung.

Für G+D wie für viele andere Unternehmen ist neben den üblichen Kennziffern wie EBIT, Working Capital, Eigenkapital oder dem Free Cashflow noch ein anderer Indikator sehr wichtig, nämlich das sogenannte ROCE (Return of Capital Employed, Anmerkung der Redaktion). Warum ist das ROCE speziell für Sie so relevant?

Für uns ist das ROCE strategisch die Spitzenkennziffer, denn sie verbindet den Gewinn mit dem eingesetzten Kapital, also die GuV mit der Bilanz. Der Jahresüberschuss oder der EBIT alleine sind wenig aussagekräftig, wenn Sie nicht wissen, wie viel Sie dafür investieren mussten. Letztlich geht es um den Vergleich zwischen der Rendite des eingesetzten Kapitals und den Kapitalkosten. Unsere Rendite übersteigt die Kapitalkosten, die in unserem Fall bei 10,3 Prozent liegen.

Sie haben sich vor etwa zwei Jahren eine neue Holding-Struktur gegeben. Inwieweit hat das die Unternehmenskultur verändert?

Unser Portfolio hat sich in den vergangenen zehn bis 15 Jahren immer mehr erweitert. Teilweise haben wir heute unterschiedliche Geschäftsmodelle: Ein Geschäft rund ums Bargeld ist anders als eines mit dem Fokus auf digitale Netzwerksicherheit. Deshalb hat es für uns Sinn gemacht, unser Portfolio in vier juristisch eigenständige Segmente mit jeweils verantwortlichen Managementteams aufzuteilen. Damit geht eine unternehmerische Freiheit einher: Das Geschäft ist dadurch fokussierter und jeder kann sein Unternehmergen stärker zum Ausdruck bringen. Heute ist das bei vielen Unternehmen zum Trend geworden.

Ein weiterer Trend ist die Agilität. Sie haben vor zwei Jahren einen eigenen digitalen Inkubator gegründet, die advance52. Dazu kommen Initiativen wie Ihre neue Tochter Build38 oder der Beteiligungsarm G+D Ventures. Was bedeutet Agilität für Sie?

Agilität ist angesichts immer schnellerer Innovationszyklen für uns als Technologieunternehmen sehr wichtig. Wir sind ein traditionsreiches Unternehmen, aber auch wir müssen uns kontinuierlich weiterentwickeln. Gerade im Technologiesektor brauchen wir agile Einheiten, mit denen wir uns an neuen jungen Firmen beteiligen können und dadurch auch andere Mitarbeiterprofile anziehen. Unsere advance52 beispielsweise ist eine eigenständige GmbH und sitzt nicht am Hauptstandort, sondern drei Kilometer entfernt. Diese Leute brauchen einfach ein anderes Büroumfeld.

Sind Sie heute bereit, mehr Wagniskapital einzusetzen als früher, um bei potenziellen Innovationen von Beginn an dabei zu sein?

Wir setzen seit 2018 mit unserer G+D Ventures erstmalig Wagniskapital ein und wollen pro Jahr ungefähr fünf bis zehn Mio. Euro bereitstellen. Damit können Sie in diesem Bereich vieles machen. Am Ende hängt das aber von den Targets ab.

G+D hat sich in den vergangenen Jahren immer mehr vom klassischen Gelddrucker zum Technologieunternehmen transformiert. Welche Kompetenzen fragen Sie heute am Arbeitsmarkt verstärkt nach?

Wir haben immer weniger klassische Produktion. Ein gutes Beispiel dafür ist unser Connectivity-Geschäft. Bisher produzieren wir noch SIM-Karten. In Zukunft wird der Kartenkörper wegfallen und nur noch eine Softwarelösung erforderlich sein, die sogenannte embedded SIM, kurz eSIM. Dann stellen wir keine Chipkarten mehr her, sondern brauchen vermehrt Softwareingenieure, die programmieren. Die Entwicklung geht in Richtung IT, gerade im Segment Mobile Security sind wir zunehmend ein Software-Unternehmen. Dort suchen wir auch die entsprechenden Jobprofile.

Wie stark spielt Digitalisierung denn auch bei der internen Kommunikation eine Rolle?

Wir haben erst vor zwei Wochen eine neue Intranet-Plattform eingeführt, die unsere Kommunikation im Unternehmen verändern wird. Dadurch wollen wir den E-Mail-Strom verringern, gleichzeitig die Mitarbeiter weltweit besser vernetzen und Interaktion fördern, damit sie sich beispielsweise über neue Ideen austauschen können.

Viele Familienunternehmen wollen auch in gesellschaftlicher Hinsicht modern sein. G+D hat sich an der Kampagne Made in Germany – Made by Vielfalt. Wie wichtig ist Weltoffenheit für das Unternehmen?

Von unseren gut 11.400 Mitarbeitern arbeiten rund zwei Drittel im Ausland. Von daher müssen wir kulturell offen sein. Auch in Deutschland haben wir viele Nationen beschäftigt. Speziell im Technologiebereich ist die Vielfalt ganz wichtig. Das war der Grund, warum wir uns an der Kampagne beteiligt haben.

In anderer Hinsicht sind Sie konservativ aufgestellt, nämlich bei weiblichen Führungskräften in Geschäftsführungen und -leitungen. Das Thema wird gerade wieder heftig diskutiert, weil sich viele Firmen eine Nullprozent-Quote für Vorständinnen beziehungsweise Geschäftsführerinnen geben. Warum sind Sie im Topmanagement bisher nicht weiblich?

Sie müssen den Blick auf alle Unternehmensbereiche richten. Da haben wir immerhin eine Finanzchefin bei Veridos, unserem Joint Venture mit der Bundesdruckerei. Beim Executive Management liegt der Frauenanteil weltweit mit 18 Prozent zudem nicht allzu schlecht. Wir sind damit noch nicht zufrieden, sehen aber auch, dass es im Technologiesektor nicht so einfach ist, ein höheres Ziel umzusetzen.

Gerade läuft die Versteigerung der 5G-Lizenzen. Inwieweit ist das für Sie ein Wachstumsthema?

Der neue Standard ist definitiv ein Wachstumsthema für uns. Gerade der Bereich Internet der Dinge (IoT) ist ein Zukunftsmarkt für unser Geschäft.

Sie sehen sich als Technologieführer. Werden Sie künftig die F&E-Strategie verändern oder bleibt das auf dem bisherigen Niveau?

Wir investieren derzeit rund 150 Mio. Euro beziehungsweise fünf Prozent vom Umsatz in Forschung und Entwicklung. An dieser Stelle sparen wir auch in Zukunft nicht, sondern wollen weiter vorangehen.


ZUR PERSON

Dr. Peter Zattler ist seit 2001 Mitglied der Geschäftsführung und Group CFO von Giesecke+Devrient. Sein Geschäftsführerkollege ist Ralf Wintergerst, der als Group CEO fungiert. Zattler startete seine Karriere als Wirtschaftsprüfer. Es folgte eine Promotion an der Hochschule St. Gallen. Nach mehreren Stationen als Führungskraft für Finanzen in verschiedenen Unternehmen wechselte er 2001 zu G+D.

ZUM UNTERNEHMEN

1852 gründen die beiden Unternehmer Hermann Giesecke und Alphonse Devrient die nach ihnen benannte Firma in Leipzig. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg lässt Siegfried Otto, Ehemann von Jutta Devrient, den neuen Hauptstandort in München errichten. Eine seiner Töchter, Verena von Mitschke-Collande, sitzt heute im Aufsichtsrat von G+D, das weiter komplett in Familienbesitz ist. Seit 2017 ist das Unternehmen als Holding organisiert, mit vier rechtlich eigenständigen Tochtergesellschaften. Das Bargeldgeschäft macht heute noch etwa die Hälfte des Gesamtumsatzes aus. Das zweitgrößte Segment ist Mobile Security mit Anwendungen rund um Mobilfunk, sichere Konnektivität und mobiles Bezahlen. Beim dritten Segment, Veridos, handelt es sich um ein Joint Venture mit der Bundesdruckerei, das sich mit analogen wie elektronischen Ausweisen beschäftigt. Das vierte Standbein, die börsennotierte Security Network AG, deren Schwerpunkt auf der Absicherung kritischer Infrastrukturen liegt, hat G+D im Jahr 2004 zugekauft. Insgesamt erwirtschaftete der Konzern im Geschäftsjahr 2018 rund 2,25 Mrd. Euro und einen Jahresüberschuss von 50 Mio. Euro. Das Unternehmen ist mit fast 11.400 Mitarbeitern in 32 Ländern aktiv und hat im abgelaufenen Geschäftsjahr weitere internationale Projekte abschließen können.

www.gi-de.com

 

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