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Family Governance und Börse

Family Governance und Börse – das muss kein Widerspruch sein. Henkel, Merck, Wacker Chemie oder Fielmann sind alles Beispiel für börsennotierte Familienunternehmen. Mit dem IPO ist aber in jedem Fall ein erheblicher Kulturwandel verbunden. 

Mit einem Börsengang stehen Unternehmen und Familie plötzlich verstärkt im Licht der Öffentlichkeit. Sie unterliegen einer Vielzahl von – für die Beteiligten neuen – aktien- und kapitalmarktrechtlichen Vorschriften: Etwa der Pflicht zur Offenlegung von Stimmrechtsanteilen oder der Ad-hoc-Publizität. Vor allem aber ist die Familie nicht mehr Alleineigentümerin „ihres“ Unternehmens. Dies kann zunächst einmal befremdlich sein: Schließlich ist die Familie doch typischerweise weiterhin Mehrheitsaktionärin der Gesellschaft und kann damit maßgeblichen Einfluss auf die Unternehmensentwicklung nehmen, etwa indem sie das Leitungs- oder Kontrollorgan nach ihren Vorstellungen besetzt.

Family Governance und Informationsweitergabe

In gewissem Sinn steht ein Börsengang damit in Widerspruch zum Aspekt der Family Governance, der in jüngerer Zeit verstärkt Einzug in die Praxis von Familienunternehmen gehalten hat. Durch die Family Governance soll das Zusammengehörigkeitsgefühl der Familienmitglieder sowie die Identifikation mit dem Unternehmen gestärkt und gefestigt werden. Ein zentraler Aspekt ist dabei die Teilhabe der gesamten Unternehmerfamilie an Informationen über die wesentliche Geschäftsentwicklung. Unproblematisch ist dies insoweit, als Familienmitglieder Gesellschaftsorganen angehören und damit selbst Informationsträger sind. Hingegen stößt die privilegierte Informationsweitergabe an Familienaktionäre, die keinem Organ angehören, an rechtliche Grenzen.

Auch bei börsennotierten Aktiengesellschaften besteht keine Rechtspflicht zur Herstellung einer gleichen Informationslage unter sämtlichen Aktionären. So verbietet es die aktienrechtlich gebotene Gleichbehandlung der Aktionäre nicht, sachlich begründete Differenzierungen im Hinblick auf einzelne Aktionäre vorzunehmen. Zumindest soweit bestimmte Einzelmaßnahmen in Rede stehen, ist die punktuelle Vorabinformation wesentlich beteiligter Aktionäre oder Aktionärsgruppen erlaubt, sofern dies im Unternehmensinteresse gerechtfertigt ist. So kann die Gesellschaft etwa im Hinblick auf eine mögliche Kapitalerhöhung beim Mehrheitsaktionär vorab anfragen, ob er Interesse an der Zeichnung neuer Aktien hat. Hingegen wäre ein generelles Informationsprivileg der Familienaktionäre, wie es dem Gedanken der Family Governance am besten entspräche, unzulässig.Family Governance und Börse – das muss kein Widerspruch sein. Henkel, Merck, Wacker Chemie oder Fielmann sind alles Beispiel für börsennotierte Familienunternehmen. Mit dem IPO ist aber in jedem Fall ein erheblicher Kulturwandel verbunden. 

Die aktienrechtlich normierte Verschwiegenheitspflicht von Vorstand und Aufsichtsrat verbietet die Weitergabe vertraulicher Informationen. Allerdings kann auch insoweit eine punktuelle Offenlegung im Unternehmensinteresse gerechtfertigt sein, sodass die Organmitglieder in dieser Hinsicht von der Pflicht zur Verschwiegenheit befreit sind. Ob Geschäftsgeheimnisse tatsächlich offengelegt werden, ist eine unternehmerische Entscheidung, deren Zulässigkeit anhand der Business Judgement Rule zu beurteilen ist. Hiernach ist maßgeblich, ob das betreffende Organmitglied vernünftigerweise annehmen darf, bei der Weitergabe auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Dies kann etwa im Hinblick auf eine von einem möglichen Investor oder potenziellen Paketerwerber geforderte Due-Diligence-Prüfung der Fall sein. Für eine fortlaufende Information der Familie im Sinne einer Family Governance ist jedoch kein Raum. Vielmehr würden die Gesellschaftsorgane bei entsprechender Informationsweitergabe Gefahr laufen, persönlich in die Haftung zu geraten.

Insiderrecht und Informationsweitergabe

Insiderinformationen dürfen grundsätzlich nicht weitergegeben werden. Eine Insiderinformation ist eine konkrete Information über nicht öffentlich bekannte Umstände, die sich auf einen oder mehrere Emittenten von Insiderpapieren oder auf die Insiderpapiere selbst beziehen und die geeignet sind, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Börsen- oder Marktpreis der Papiere erheblich zu beeinflussen. Eine Weitergabe ist hier nur in sehr engen Grenzen erlaubt, etwa an Berater der Gesellschaft, in jedem Fall aber nicht zu dem Zweck, das allgemeine Informationsinteresse der Familienaktionäre zu bedienen. Im Falle eines Verstoßes gegen das Weitergabeverbot drohen den betreffenden Organmitgliedern strafrechtliche Konsequenzen mit Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren.

Öffentlich bekannte Informationen

Der Aspekt der Family Governance stößt in börsennotierten Familienunternehmen an rechtliche Grenzen. Dies kann den Wunsch der Familie begründen, möglichst viele Familienaktionäre in Gesellschaftsorgane zu berufen und damit zu „legitimierten“ Informationsträgern zu machen. Soll der Einfluss der Familie auch nach dem Börsengang gewahrt bleiben, geht dies sicherlich in die richtige Richtung. Allerdings sollte bei der Gremienbesetzung nicht zuletzt auch im Sinne einer professionellen Corporate Governance auf das richtige Verhältnis zwischen Familieneinfluss und familienfremder Expertise geachtet werden. Gleichwohl verbleibt auch in börsennotierten Familienunternehmen Raum für Family Governance und die damit einhergehende ausreichende Information der Familienaktionäre. Denkbar ist hier insbesondere, dass bereits öffentlich bekannte Umstände und Zahlen – typischerweise ausgehend vom Jahresabschluss – gegenüber Familienmitgliedern, die nicht Mitglieder eines Gesellschaftsorgans sind, näher erläutert und mit ihnen diskutiert werden. Dies kann durchaus institutionalisiert erfolgen und auf diese Weise eine Plattform für die gewünschte Family Governance geschaffen werden. Vor diesem Hintergrund können die externe Kontrolle durch den Kapitalmarkt und der sorgsam gepflegte Familienfaktor durchaus eine sinnvolle Ergänzung darstellen.


Zur Person

(© P +P Pöllath & Partners)

Dr. Bernd Graßl, LL.M. ist Partner bei P+P Pöllath + Partners in München. Er berät Gesellschafter, Unternehmen und Organmitglieder insbesondere in Fragen des Aktien- und Konzernrechts sowie im Kapitalmarktrecht, bei SE-Umwandlungen und sonstigen laufenden gesellschaftsrechtlichen Angelegenheiten und Streitigkeiten. www.pplaw.com

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