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Fahrplan aus der Krise

Sind alle Anforderungen erfüllt, die an ein Sanierungskonzept und dessen Umsetzung nach IDW S6 – dem Standard des Instituts der Wirtschaftsprüfer für die Erstellung von Sanierungsgutachten – gestellt werden, ist ein Unternehmen saniert. Doch ob die Sanierung auch erfolgreich war, steht auf einem anderen Blatt. Denn dafür muss das Geschäftsmodell robust und zukunftsfähig sein, der „richtige Kopf“ mit einem Winning Team Sanierungsmaßnahmen auch nachhaltig durchsetzen und Eigenkapitalausstattung und Finanzierung auf das neue Geschäftsmodell ausgerichtet sein.

Echte Krisenursachen erkennen
Der IDW listet in den ersten Gliederungspunkten für ein Sanierungskonzept gemäß S6 die möglichen Ursachen einer Krise auf. Kostensenkung und Effizienzsteigerung allein sind dabei zwar notwendige Standardinstrumente – jedoch nicht hinreichend für die Sicherung des Sanierungserfolgs. Im „wahren Leben der Sanierung“ kommt es vielmehr darauf an, die „echten“ Krisenursachen, die Antriebskräfte für den aktuellen Misserfolg zu identifizieren. Dabei handelt es sich um Missstände, die in allen Krisenunternehmen vorhanden sind, die aber keiner mehr sieht.

Bei „leichten“ Sanierungsfällen sind diese gut zu identifizieren, denn die Unternehmen sind in ihrer Substanz gesund. Die Marktleistung erfüllt den Anspruch der Kunden, es gibt Alleinstellungsmerkmale, Added Value und Mehrwert. Operativ jedoch hapert es: Prozesse und Strukturen sind veraltet, die Steuerung funktioniert nicht, die Basisdaten sind ungepflegt, das Zahlenwerk intransparent. Schafft man Ordnung, räumt auf, unterzieht das Geschäftsmodell einem „Finetuning“, sieht die Welt schon wieder besser aus.

Doch was passiert, wenn Leistungen und Produkte vom Markt nicht mehr gebraucht werden, Kunden nur noch aus Gewohnheit kaufen, das Unternehmen primär als Preisregulativ benutzt wird? Was, wenn der Informationsmaterialfluss mit veralteten Maschinen, Technologien, Gebäuden für Chaos auf der Wertschöpfungsseite sorgt? Dann ist die Substanz des Unternehmens erodiert, die Missstände greifen wesentlich tiefer.

Klar ist: Je stärker die Erosion der Unternehmenssubstanz bereits fortgeschritten ist, desto existenzieller ist die Krise. Doch letztendlich entscheidet das Geschäftsmodell über den Erfolg der Sanierung.

Die Passivseite muss zum Geschäftsmodell passen
Vor allem die angloamerikanische Sicht der Dinge klammert das Geschäftsmodell des Unternehmens aus und versucht – meist durch komplexe Konstruktionen und Schichtungen – neue Stakeholder wie Hedgefonds und andere Finanzinvestoren an Bord zu holen und auf der Basis der EBITDA-Erwartung bzw. des Discounted Cashflows einen temporär tragfähigen Kompromiss zwischen allen Kapitalgebern zu erzielen. Die abgeschlossene Restrukturierung des Unternehmens bedeutet dabei die Rekapitalisierung der Passivseite.

Mit dem Geschäftsmodell als zentralem Erfolgsfaktor der Sanierung sehen die Prioritäten anders aus: Anforderungen an Finanzierung und Passivseite müssen hieraus abgeleitet, Alternativen und Optionen geprüft und vor dem Hintergrund der Marktvolatilitäten (Materialpreise, Wechselkurse, Absatzeinbrüche …) risikoadäquat ausgestaltet werden. Gleichzeitigkeit und Fristenkongruenz eigenkapitalnaher Finanzierungsinstrumente, wie z.B. Mezzanine-Kapital, sollten dabei gesondert unter die Lupe genommen werden, um dem Henne-Ei-Problem vorzugreifen.

Die Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells entscheidet
Doch welche Kriterien oder Kennzahlen kennzeichnen ein funktionierendes Geschäftsmodell? Zum einen sind es Mehrwert und Zusatznutzen von Produkten und Leistungen für Kunden im Vergleich zum Wettbewerb. Zum anderen sind es Effizienzvorteile, die durch bessere Prozesse, geringere Durchlaufzeiten, weniger Verbrauch, neuere Technologien – also primär durch die Wertschöpfung und ihre Architektur – generiert werden. Folglich muss das „front end“ strategisch stimmen: Auf anwendungsbezogen segmentierte Märkte, entsprechende Vertriebskanäle und auf die Bedürfnisse homogener Zielgruppen abgestimmte Leistungen kommt es an.

Am „back end“ müssen die Wertschöpfungsstrukturen und das -netzwerk rund laufen: Dabei ist der Fußabdruck des Unternehmens auf die sich abzeichnenden Veränderungen der Märkte und die Weiterentwicklung der Wettbewerber auszurichten. Häufig scheitert die Sanierung an diesem Punkt – denn die nachhaltige Anpassung des „back end“ ist teuer, zeitintensiv und mit einem hohen Umsetzungsrisiko verbunden.

Sanierungsfehler: Blinder Aktivismus
Die vom IDW geforderte Wiedererlangung von Wettbewerbsfähigkeit und einer überdurchschnittlichen Branchenrendite erfordert also den Blick in die Zukunft: Wie „ticken“ die Märkte in den nächsten Jahren? Was unterscheidet dann Gewinner von Verlierern? Wie wird das Wettbewerbsumfeld aussehen und welche Bedeutung hat das für das Wertschöpfungsnetzwerk, seinen Kapazitäts- und Technologie-Mix?

Werden Prozesse und deren Potenziale zu wenig berücksichtigt, stehen Strukturen und mögliche Kostensenkungspotenziale im Vordergrund, werden Kapazitäten abgebaut, jedoch zu wenig darauf geachtet, wie es mit Effizienzkomplexität und auch dem Technologie-Mix wirklich aussieht, können Sanierungsmaßnahmen schnell in einer Sackgasse enden. Und auch „schneller, effizienter, besser“ hilft nur dann, wenn es sich um eine operative Krise handelt – nicht jedoch, wenn das Geschäftsmodell selbst angepasst werden muss. Denn werden Prozesse zu schnell und vordergründig optimiert, „Lean Management“ betrieben, ohne Produktstruktur und Wertschöpfungs-Mix auf ihre Zukunftsfähigkeit zu überprüfen, und neue Marktmechaniken außer Acht gelassen, sind die übrigen Sanierungsbemühungen häufig vergebens.

Nur wenn die Kapazitäten in den richtigen Technologien stecken, möglicher Investitionsstau aus der Vergangenheit abgebaut wird, die Prozesse den künftigen Anforderungen entsprechen und die eigene Wertschöpfung einen echten Beitrag zum Kundennutzen leistet, sind „back end“ und „front end“ synchronisiert, das Unternehmen zukunftsfähig und damit der Erfolg der Sanierung gesichert.

Auf die Menschen kommt es an
Keine vorschnelle Managementschelte, doch: Die meisten Krisen sind „hausgemacht“. Deshalb müssen im Rahmen einer erfolgreichen Sanierung andere Spielregeln gelten, Entscheidungswege verkürzt, Entscheidungsgremien verkleinert, Entscheidungen schneller und auch bei „unvollkommener Information“ gefällt werden. Alte Zöpfe müssen ab und mit liebgewonnenen Gewohnheiten muss gebrochen werden. Entscheidend dabei: Nur die richtigen Menschen, der richtige Kopf für die Krisenbewältigung und ein motiviertes „Winning Team“ setzen diese Vorhaben auch in ein erfolgreiches Konzept um.

In aller Regel ist das „Winning Team“ im Unternehmen schnell gefunden: Von der zweiten und dritten Ebene bis hin zu den Mitarbeitern in Produktion, Kommission oder Versand – die meisten können den Status ihres Unternehmens sehr realistisch einschätzen. Die größere Herausforderung liegt darin, den „richtigen Kopf“ im Management zu finden – einen, der frei von Beschränkungen aus der Vergangenheit nach vorne gehen kann. In aller Regel wird dieser ein neuer Kopf sein – ein neuer Geschäftsführer aus den eigenen Reihen oder im Zweifelsfalle ein Chief Restructuring Officer (CRO).

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