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Expangiert

Die freiwillige Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung gehört seit jeher zum Unternehmertum. Genauso der Gedanke, durch Expansion neue Absatzmärkte zu erschließen. Wohltätiges Engagement in internationalen Projekten kann eine Chance sein, beides zu verbinden. 

Menschen das Sehen ermöglichen ist die Lebensaufgabe von Ulrich Fux. Er ist Chef der Lunor AG, eines Brillenherstellers aus dem Schwarzwald. Sein persönlicher und sozialer Einsatz reicht bis Anfang der 80er-Jahre zurück. Damals übernehmen er und seine Frau ihre erste Patenschaft für ein Kind in Manila. Heute verliert der 65-Jährige schon mal den Überblick über die schulischen Erfolge seiner inzwischen neun Patenkinder weltweit.

In der Firma hat sich Vorstand Fux für ein Spendenprojekt der Christoffel-Blindenmission (CBM) aus Bensheim entschieden. Privat fördert er die CBM schon seit 2009 und ermöglicht damit jährlich je zwei Kindern und Erwachsenen Grauer-Star-OPs. „Das ist eine schöne Ergänzung zu dem, was ich ohnehin täglich mache“, so der gelernte Augenoptikermeister. Im Jahr 2012 übernahm er die angeschlagene Brillenmanufaktur und führte sie auch zu internationalem Erfolg. Bekanntester Kunde war Steve Jobs. 14 Jahre lang soll er ein Modell von Lunor getragen haben – sicher nicht immer das gleiche. Heute tragen auch Hollywoodstars wie Tom Cruise und Meg Ryan die Brillen des süddeutschen Mittelständlers.


„Wer international wachsen will oder ein anderes Land für Produkte erschließen möchte, kann das an der Seite einer weltweit vernetzten NGO tun“

Tanja Spiegel, Leiterin Bereich Unternehmen und Stiftungen, Christoffel-Blindenmission


Sich neue Absatzmärkte erobern und gleichzeitig wohltätig aktiv sein. Beide Dinge in internationalen Projekten zu verbinden kann eine große Chance sein. So sieht das zumindest Tanja Spiegel: „Wer international wachsen will oder ein anderes Land für Produkte erschließen möchte, kann das an der Seite einer weltweit vernetzten NGO tun“, erklärt die Leiterin des Bereichs Unternehmen und Stiftungen. Die christliche Organisation engagiert sich seit mehr als 100 Jahren für bessere Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen, die in den ärmsten Regionen der Welt leben. Aktiv ist die Mission in fast 60 Ländern mit nahezu 630 Projekten in Afrika, Asien und Lateinamerika. Ein Schwerpunkt der Arbeit sind Katarakt-Operationen, die den grauen Star heilen.

Unkomplizierter Einstieg in Kooperation

 Dieses konkrete Angebot war neben der Seriosität des Anbieters für André Domscheit ausschlaggebend bei der Wahl der Hilfsorganisation. Seit gut 20 Jahren spendet der selbstständige Berater und Trainer monatlich einen Teil seiner Einnahmen an die CBM, sowie an World Vision. „In erster Linie ist das eine Herzensangelegenheit“, betont der 52-jährige Sauerländer. Für viele Unternehmen ist die klassische Geldspende ein unkomplizierter und daher häufiger Einstig ins soziale Engagement. Ein wirtschaftlicher Nutzen entsteht dabei durch den Imagetransfer. Die Zusammenarbeit mit einer gemeinnützigen Organisation lädt eine Marke nachweislich positiv auf. Umfragen belegen, dass Konsumenten verantwortungsvolles Handeln würdigen. Laut der Studie Corporate Social Responsibility Monitor 2016 sind 76 Prozent der Befragten bereit, für ein identisches Produkt mehr zu zahlen, wenn sich der Hersteller durch soziale Wohltätigkeit auszeichnet. Auch Domscheit zeigt seine Spenden auf seiner Webseite. Der Marketingzweck sei für ihn jedoch zweitrangig, so der Betriebspädagoge. Dennoch glaubt er, dass sein Engagement seiner Glaubwürdigkeit als Berater nützt.

Die freiwillige Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung gehört seit jeher zum Unternehmertum. Genauso der Gedanke, durch Expansion neue Absatzmärkte zu erschließen. Wohltätiges Engagement in internationalen Projekten kann eine Chance sein, beides zu verbinden. 

„Uns geht es nicht um PR. Wir wollen wirklich helfen“, betont auch Brillenexperte Fux. Der Familienbetrieb spendet daher auch Sehhilfen nach Bangladesch. „Da müssen wir natürlich aufpassen, dass unsere Modelle nicht als Re-Import den deutschen Markt erreichen“, erklärt der Vorstand. Sachspenden sind demnach eine weitere Form des Engagements. Vorteile sind ähnlich wie bei einer Überweisung: Imagetransfer, wenig Aufwand und kurze Vorlaufzeiten. „Ideal für uns sind Zuwendungen, die einen konkreten Bedarf decken, wie im Fall von Geuder“, ergänzt CBM-Frau Spiegel. Der Medizintechnikhersteller besorgte 2008 einen geländefähigen Toyota für ein Projekt in Peru. Damit konnten einheimische Ärzte in Außeneinsätzen Menschen in weit abgelegenen Landstrichen behandeln.

Über NGO Netzwerk aufbauen

Geuder ist ein weltweit agierender Hersteller von augenchirurgischen Instrumenten und Geräten, dessen Engagement 2002 startete. Zunächst punktuell durch Geld- und Sachspenden. „Die Initiative ging anfangs von einzelnen Mitarbeitern im Betrieb aus“, erklärt Elie Atallah, internationaler Verkaufsleiter beim Heidelberger Unternehmen. Zwei Kollegen gründeten nach einer Südamerika-Reise eine Projektgruppe. Diese organisierte zusammen mit der NGO über viele Jahre Spenden, etwa Instrumente im Wert von 500.000 Euro, jenen Geländewagen und Vor-Ort-Schulungen für peruanische Augenärzte in einer eigens dafür errichteten Augenklinik in Cusco.

Blessing aus Uganda: Einen Monat nach seiner Katarakt-OP kann er wieder sehen.

2012 trat CBM an Geuder heran. Die Idee: ein größeres Projekt in einem armen Land zu fördern. Dabei habe man versucht, den eigenen Bedarf mit den wirtschaftlichen Interessen des Partners zu verbinden, erklärt Tanja Spiegel. Bei dem Vorhaben handelt es sich um den Bau eines Phaco-Trainingszentrums. Ausgestattet mit dem Equipment des Herstellers, sollen dort Augenchirurgen lernen, in modernster OP-Technik den grauen Star zu operieren. Bei dieser Krankheit, die bei uns meist im Alter auftritt, trübt sich die Linse. In Entwicklungsländern ist sie aufgrund schlechterer Lebensbedingungen oft angeboren. Betroffene erblinden im Laufe ihres Lebens. Der Plan ist, innerhalb von fünf Jahren 200 Ärzte in der neuen Phaco-OP-Methode auszubilden.

„Natürlich bedeutet für uns so ein Projekt erst einmal viel organisatorische Arbeit“, so Atallah. Dem Unternehmen ist es wichtig, ein Land auszuwählen, in dem die Vertriebsstrukturen passen. Die Medizintechniker entschieden sich für Ägypten. „Dort habe ich einen Händler, auf den ich mich verlassen kann“, erklärt der Verkaufsleiter. Die Geräte können vom Vertriebspartner in Kairo installiert und gewartet werden. Administration, Finanzierung und Aufbau übernimmt die NGO. „Ich hatte großes Vertrauen, dass das läuft“, so Atallah. Seit Sommer finden die ersten Trainings statt.

„Wir erleben immer wieder, dass Ärzte aus den Schulungen sich an Geuder erinnern, wenn sie Jahre später ihre eigene Praxis ausstatten“, berichtet der Vertriebler. Daher stellt das Unternehmen in Indien ebenfalls kostenlos seine Premiumtechnik bereit. Im Sankara Geuder Competence Center (SGCC) in Bangalore erlernen junge Ärzte aus aller Welt an den Geräten des Mittelständlers moderne Augen-OP-Methoden. „Wir machen den Namen Geuder so in der internationalen Community bekannt“, erklärt Atallah, „und freuen uns natürlich, wenn nach Jahren etwas zurückfließt und sich in ein Geschäft umwandelt.“

Die freiwillige Übernahme von gesellschaftlicher Verantwortung gehört seit jeher zum Unternehmertum. Genauso der Gedanke, durch Expansion neue Absatzmärkte zu erschließen. Wohltätiges Engagement in internationalen Projekten kann eine Chance sein, beides zu verbinden. 

Ein weiterer Nutzen für die Firmen ist das weltweite Partnernetzwerk, über das große Organisationen verfügen. „Wir stehen in Verbindung mit Gesundheitsministerien, Krankenhäusern und Ärzten“, sagt Spiegel. Damit könne man den Prozess des Markteintrittes in einem Entwicklungsland unterstützen. Schön sei, dass jedes dieser großen Projekte ein Unikat ist, meint die Bereichsleiterin. Kennen sich die Partner bereits durch frühere Zusammenarbeit, sei das hilfreich. „Die Firmen wissen dann schon, dass Prozesse in gemeinnützigen Organisationen anders ablaufen als in der freien Wirtschaft“, erklärt sie. Das erleichtere die Kommunikation und fördere gegenseitiges Verständnis. Doch auch seitens der Firmen kosten solche großen Hilfsprojekte Zeit. Wenn Unternehmen mit viel Herzblut dabei sind, gestalten sie ihr Engagement gerne partizipativ. Für die Projektgruppe Cusco stellte Geuder beispielsweise regelmäßig Mitarbeiter frei, um Materiallieferungen vor Ort zu begleiten.

 Tue Gutes und profitiere davon

 Zwei weitere Alternativen können dafür sorgen, dass soziales Engagement und wirtschaftliche Interessen Hand in Hand gehen: Cause-related Marketing (CrM) und Payroll Giving sind Formen des Engagements, welche die Abstimmung zwischen Unternehmen und Hilfsorganisation erfordern. Beide sind jedoch einfacher, als ein komplettes Projekt in einem Entwicklungsland zu implementieren. Auch hier lassen sich wirtschaftliche Interessen und gemeinnützige Ziele gut kombinieren. Beim Payroll Giving verzichten Angestellte monatlich auf die Rest-Cent-Beträge ihres Gehalts und spenden diese für einen gemeinnützigen Zweck. Oft stocken Unternehmen die Beiträge auf. „Es geht um Mitarbeiterbindung und positive Wahrnehmung bei potentiellen Arbeitnehmern“, erläutert Spiegel. Studien belegen zudem, dass auch Arbeitnehmer immer bewusster entscheiden, wo sie arbeiten wollen. Speziell die gefragte Generation Y findet sozial engagierte Firmen attraktiv.

Auto-Spende von Geuder: In Persu können Ärzte Menschen in abgelegenen Gegenden behandeln (© Geuder).

Hingegen kann Cause-related Marketing (CrM) absatzsteigernd wirken oder einen Markteintritt unterstützen. Hierbei bindet das Unternehmen den Kunden direkt ins eigene Engagement ein. Spiegel berichtet von der Aktion mit einem Arzneimittelhersteller. Bei dieser gingen beim Verkauf eines bestimmten Produktes 25 Cent direkt auf das Konto der Organisation. 44.000 Euro spielte das ein, mehr als 1.700 Menschen bekamen dafür eine Grauer-Star-Operation. „Solche Aktionen kommen gut an“, weiß Spiegel von den rund 100 Firmen, mit denen sie aktuell zusammenarbeitet. Allerdings seien hier längere Vorlaufzeiten zu beachten. „Wir planen jetzt schon Projekte, die Ende 2018 starten.“

Brillenexperte Ulrich Fux findet Cause-related Marketing auch für Lunor interessant. „Wenn wir dadurch mehr Absatz erzeugen können, ist das doch wunderbar“, überlegt der zum Wirtschaftssenator berufene Schwabe. Steigende Gewinne sieht er jedoch nicht nur durch die unternehmerische, sondern auch durch die altruistische Brille: als Chance noch mehr zu spenden und dadurch noch mehr helfen zu können. Demnächst geht Lunor sogar unter die Imker. Die Firma Beefuture überlässt dem Brillenhersteller einen Bienenstock zur Pflege. Denn auch das fliegende Volk braucht inzwischen die Hilfe von Spendern.

 

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