„Globalisierung und globaler Austausch wichtiger denn je“

350 Gäste beim Tag des deutschen Familienunternehmens 2022 in Berlin

v.li.n.re.: Stefan Heidbreder, Geschäftsführer der Stiftung Familienunternehmen und Politik, Rüdiger von Fritsch, der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau, und Dr. Ulrich Stoll, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen und Politik sowie Aufsichtsrat des Familienunternehmens Festo SE & Co. KG; Foto: Unternehmeredition

Beim “Tag des deutschen Familienunternehmens 2022” der Stiftung Familienunternehmen am 1. Juli im Berliner Hotel Adlon diskutierten 350 Gäste aus dem Kreis bedeutender Familienunternehmen mit ranghohen Politikern, darunter Grünen-Parteichef Omid Nouripour, CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz, Bundesminister für Digitales und Verkehr Dr. Volker Wissing, der chinesische Botschafter in Deutschland, Wu Ken, der Staatssekretär und G7-Sherpa Dr. Jörg Kukies sowie der Präsident der Bundesnetzagentur Klaus Müller. Im Mittelpunkt standen brisante Themen wie der Ukrainekrieg und die geänderte geopolitische Weltlage, die Sicherung der Energieversorgung, Inflationsbekämpfung und Lieferkettenproblematik.

 „In diesen schwierigen Zeiten sind die Globalisierung und der globale Austausch wichtiger denn je, insbesondere der Dialog mit China ist in diesen Zeiten für Familienunternehmen elementar“, betonte Prof. Dr. Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen und Politik, in seiner Eröffnungsrede. Durch die Einbindung in den internationalen Handel hätten nicht nur die Industrieländer profitiert. Auch der Wohlstand in den Schwellen- und Entwicklungsländern sei dadurch gestiegen.

Prof. Kirchdörfer lobte das Engagement der deutschen Familienunternehmen in der aktuellen Krise: „Für Familienunternehmen ist es selbstverständlich, die Sanktionen gegenüber Russland einzuhalten.“ Viele gingen sogar weit darüber hinaus. „Für Familienunternehmen hat die Moral Vorrang!“

In Richtung EU warnte Kirchdörfer, dass sich diese nicht weiter zu einem dirigistischen Staatenbund entwickeln dürfe. Taxonomie und umfangreiche Berichtspflichten seien Ausbund einer ausufernden Bürokratie. Auch das Lieferkettengesetz sei für die meisten Familienunternehmen nicht umsetzbar. „Wir sollten den Handel nicht mit Vorschriften überfrachten“, so Kirchdörfer. Und mit Blick auf das gescheiterte Freihandelsabkommen TTIP mahnte er, Europa dürfe sich nicht von NGOs treiben lassen. Notwendig sei nun der Abschluss neuer Freihandelsabkommen. Es sei zu begrüßen, dass die Ampel-Koalition das Ceta-Abkommen mit Kanada verabschieden möchte.

Mehr Tempo beim Bürokratieabbau gefordert

Auch gegenüber der Bundesregierung hagelte es Kritik: Von der Aufbruchsstimmung, mit der die Ampelkoalition gestartet sei, sei wenig zu merken. „Wir brauchen mehr Tempo beim Bürokratieabbau!“, so der Stiftungsvorstand. Auch die Energiewende werde nicht schnell genug umgesetzt. Die deutsche Energiepolitik sei schon vor dem Ukrainekrieg nicht mehr wettbewerbsfähig gewesen, Strom- und Gaspreise zählten zu den höchsten der Welt. Zwar seien die Flüssiggasterminals vergleichsweise zügig realisiert worden, dennoch müsse sich diese Geschwindigkeit auch bei anderen wichtigen Themen zeigen.

Omid Nouripour © Stiftung Familienunternehmen und Politik |Marco Urban

Ob eine temporäre Verlängerung der Atomkraftwerke zur Sicherung der Energieversorgung geeignet sei, war einer der Streitpunkte im Austausch mit dem Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Omid Nouripour. „Die Überreste der Atomenergie können keinen sinnvollen Beitrag leisten können, um die Gasspeicher zu füllen“, sagte Nouripour. Das Wirtschaftsministerium habe das prüfen lassen. Die noch verbleibenden drei Atomkraftwerke würden lediglich rund 5% des Strombedarfs in Deutschland decken. Außerdem müsse man mindestens für drei bis fünf Jahre verlängern, um den Aufwand zu rechtfertigen. Es sei aber geplant, Atomstrom in Frankreich einzukaufen. Angesichts der weiter steigenden Energiepreise kündigte Nouripour weitere Entlastungspakete für die Zeit nach der Sommerpause, insbesondere auch eines für die Wirtschaft im Herbst, an. „Sehr viele Menschen leiden unter den hohen Energiepreisen und sind auf ihr Auto angewiesen“, so der Parteivorsitzende. Es werde deshalb keine weiteren Belastungen für die Zapfsäule geben.

Konjunkturabschwung – Europäer müssen sparen

Maarten Verwey © Stiftung Familienunternehmen und Politik |Marco Urban

Auf die sich abschwächende Konjunktur in Europa ging Maarten Verwey, Generaldirektor für Wirtschaft und Finanzen der Europäischen Kommission, ein. „Die europäische Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen“, so Verwey. „Wir mussten unsere Zahlen nach unten korrigieren.“ Für dieses Jahr erwarte man noch ein positives Wirtschaftswachstum, das aber noch vom Aufschwung des Vorjahres getragen werde. Die nächsten Quartale würden sicher nicht brilliant, und für das nächste Jahr werde sogar mit einem negativen Wachstum gerechnet.

Neben den gestörten Lieferketten benannte Verwey die hohen Energiepreise als Hauptursache des Abschwungs. „Die hohen Energiepreise machen in Europa zwei Drittel der Inflation aus.“ Auf die Energieknappheit gebe es drei Antworten: erhöhte Einsparungen, Diversifikation und den Ausbau erneuerbarer Energien. Um die hohe Abhängigkeit von russischen Rohstoffen zu reduzieren, seien Investitionen aus der Privatwirtschaft unabdingbar.

Den chinesischen Blickwinkel vertrat der Botschafter der Volksrepublik China in Deutschland, S.E. Wu Ken. „Die deutsch-chinesische Wirtschaftszusammenarbeit steht vor neuen Herausforderungen“, sagte Wu Ken. Insbesondere im Verhältnis zu China, der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, dominierten derzeit Ängste und Wettbewerbsbedenken. Der Westen dürfe China jedoch nicht seine Maßstäbe aufzwingen. Vielmehr gelte es, trotz der großen Unterschiede nach Gemeinsamkeiten zu suchen und gemeinsam zu wachsen, appellierte er an die anwesenden Gäste.

Internationale Zusammenarbeit hat hohen Wert für China

Ku Wen © Stiftung Familienunternehmen und Politik | Marco Urban

„China und Deutschland ergänzen sich“, betonte Wu Ken. In den letzten 50 Jahren sei das deutsch-chinesische Handelsvolumen um das 800-fache gestiegen. Zwar sei das chinesische BIP viermal so hoch wie das deutsche, allerdings sei die Bevölkerung 17-mal so groß, sodass das Pro-Kopf-BIP in China weniger als ein Viertel des Deutschen ausmache. China verzeichne in einer Reihe von Wirtschaftszweigen positive Entwicklungen, meistens jedoch in den eher unteren Segmenten der Wertschöpfungskette. „Wir brauchen den Austausch“, so der chinesische Botschafter. An Chinas Politik der Offenheit gegenüber ausländischen Investoren werde sich nichts ändern. Chinas Entwicklung sei auf die internationale Zusammenarbeit angewiesen.

Friedrich Merz © Stiftung Familienunternehmen und Politik | Marco Urban

Was würde die CDU anders machen als die jetzige Regierung war die Frage, der sich CDU-Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz stellen musste. „Ich wünsche mir, dass die Prioritäten neu gesetzt werden“, sagte der CDU-Politiker mit Blick auf Taxonomie, Berichtspflichten zur Nachhaltigkeit und Lieferkettengesetz. Nicht jede vor dem Krieg beschlossene Regulierung müsse weiter fortgesetzt werden. Die CO2-Ziele zu erreichen sei bereits ohne Krise schwierig gewesen, jetzt sei das noch viel schwieriger geworden.
Auf EU-Ebene gelte es zuzulassen, dass vor allem in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik einzelne Länder voranschreiten. „Es können nicht alle 27 Mitgliedsstaaten immer einer Meinung sein“, sagte Merz.

Der CDU-Parteivorsitzende kritisierte u.a., dass die Bundesregierung den Passus „Fördern und Fordern“ aus der Agenda 2010 gestrichen habe. Künftig werde nur noch gefördert und diese Entscheidung sei zu bedauern. Auf die Nachfrage, wo genau bei der CDU die “Kante” läge, antwortete Merz, dass es mit ihm „ein Abrutschen in die staatlich festgesetzte Lohnfindung“ nicht geben werde. Der Staat habe auch nicht die Aufgabe, mit Unternehmensbeteiligungen Geld zu verdienen. Das Eingreifen des Staates dürfe nur eine Ausnahme darstellen, es müsse aber immer eine Exitmöglichkeit geben.

Vollversorgung mit Glasfaser und 5G bis 2030

Verkehrsminister Volker Wissing © Stiftung Familienunternehmen und Politik | Marco Urban

„Die digitale Infrastruktur in Deutschland genügt nicht. In den letzten Jahren ist zu wenig passiert“, sagte Verkehrsminister Dr. Volker Wissing (FDP). Er kündigte an, den Ausbau von Glasfaser und 5G voranzutreiben, damit bis 2030 Vollversorgung in Deutschland erreicht sei. Ein wichtiges Ziel sei es, mehr Daten verfügbar zu machen und auf diese Weise zum Bürokratieabbau beizutragen. Mit digitalen Planungstools ließen sich Planungszeiten um 20-30% verkürzen.

Auch bei der Verkehrsinfrastruktur sieht der Verkehrsminister großen Nachholbedarf. Es gäbe in Deutschland 4.000 marode Autobahnbrücken. Auch das Bahnschienennetz müsse dringend ausgebaut werden.

Das 9-Euro-Ticket bezeichnete Wissing als „Riesenerfolg“. Es seien 31 Millionen Tickets verkauft worden und damit sei der Verkehrsstau in Deutschland um 20% zurückgegangen.

Bei Fragen zur zukünftigen Antriebstechnik für einen CO2-neutralen Individualverkehr plädierte Wissing für eine technologieoffene Herangehensweise. Es gäbe eine Vielzahl klimaneutraler Antriebsmöglichkeiten, darunter zum Beispiel batteriegetriebene Gelenkbusse. Wichtig sei, dass die Menschen in dem jeweiligen Verkehrsmittel einen Fortschritt sähen.

Unterstützung für die Ukraine beim G7-Gipfel

Dr. Joerg Kukies © Stiftung Familienunternehmen und Politik | Marco Urban

Dr. Jörg Kukies berichtete vom G7-Gipfel. Es wäre ein kluger Schachzug von Olaf Scholz gewesen, mit Indien, Indonesien, Senegal, Südafrika und Argentinien fünf Schwellenländer als Gäste hinzuzuladen. „Wir müssen den Klimaclub offen halten“, sagte Kukies. Der Ukrainekrieg sei das beherrschende Dauerthema auf dem Gipfel gewesen. Die Hauptaussage, die getroffen worden sei: „Wir unterstützen die Ukraine, solange es nötig ist“.

Klaus Mueller © Stiftung Familienunternehmen und Politik | Marco Urban

Zur drohenden Gasmangellage beziehungsweise einem befürchteten Totalausfall sprach der Präsident der Bundesnetzagentur Klaus Müller. Deutschland habe viel zu spät Maßnahmen ergriffen. Jetzt müsse schnell gehandelt werden. „In zwölf Wochen beginnt die Heizsaison – das ist praktisch übermorgen!“ Jeder sei aufgerufen zu sparen. „Es liegt an uns allen, dass wir gut durch diesen und den nächsten Winter kommen“, sagte Müller. In der anschließenden Podiumsdiskussion, die von der Wirtschaftsjournalistin Dr. Ursula Weidenfeld moderiert wurde, ging es darum abzuschätzen, wie schlimm sich ein totaler russischer Gasausfall auf die Wirtschaft auswirken würde.

“Wir dürfen die Abhängigkeit von Russland nicht durch eine neue Abhängigkeit von China ersetzen“, mahnte Dr. Hinrich Mählmann, der zugleich Gesellschafter der Otto Fuchs KG, Präsident Aluminium Deutschland e.V. und Vizepräsident der Wirtschaftsvereinigung Metalle ist.

Oliver Hermes, Vorstandsvorsitzender und CEO der Wilo Gruppe berichtete, dass sein Unternehmen bereits versuche, Energie einzusparen. „Wir üben das Ganze und bereiten uns auch auf Crash-Szenarien vor“, so Hermes. „Wir haben sogar eine eigene Wasserstoffproduktion aufgebaut, die im September in Betrieb gehen kann.“

„Die Diversifizierungspolitik voranzutreiben ist das Gebot der Stunde“, sagte der Direktor des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO), Prof. Gabriel Felbermayr. Es sei zudem notwendig, Gas einzusparen, wo es nur geht. „Jede Kilowattstunde, die wir nicht verbrauchen, verschafft der Industrie ein paar Tage mehr Versorgungssicherheit.

Deutschland müsse deutlich resilienter werden, ergänzte Müller. Der Präsident der Bundesnetzagentur wünschte sich eine entsprechende Debatte in Deutschland. Die Gaskrise sei hierzulande nie wirklich durchdiskutiert worden.

Felbermayr kritisierte darüber hinaus die unzureichende Datenlage und verglich die Situation mit der Coronapandemie: „Wir verfügen über viel zu wenig Daten, eigentlich müssten wir einen Überblick darüber haben, wie und wo das Gas eingesetzt wird.“

Auf Putin könnte wieder Putin folgen

Rüdiger von Fritsch © Stiftung Familienunternehmen und Politik | Marco Urban

Eine messerscharfe Analyse der strategischen Hintergründe und Absichten im Kreml präsentierte zum Abschluss der ehemalige Botschafter Deutschlands in Russland, Rüdiger von Fritsch. „Es handelt sich um einen Fall nicht aufgearbeiteter Geschichte“, sagte von Fritsch. Die Sowjetunion sei an ihren eigenen Widersprüchen implodiert. Doch das werde so nicht gesehen, stattdessen würden andere für diesen als „schrecklich“ empfundenen „Verlust“ verantwortlich gemacht. Von Fritsch bezeichnete die Bestrebungen,  Kernrussland wieder zusammenzufügen, als „großrussisch-imperialen Reflex“.

„Russland hat es nicht geschafft, sein antiquiertes Wirtschaftssystem zu modernisieren“, sagt der Botschafter a.D. Das Land sei inzwischen eine Diktatur, in der einige Wenige Gewinne abgreifen würden. „Russland handelt aus einer Position relativer Schwäche“, so von Fritsch. Putin habe sich zudem verkalkuliert, indem er davon ausgegangen sei, dass die ukrainische Bevölkerung sich Russland freiwillig anschließen wolle. Sowohl die ukrainische Widerstandsfähigkeit als auch die Reaktion der westlichen Staaten habe er unterschätzt. Es sei klar, dass sein Modell endlich sei.

Wie und ob Putin abgelöst werden könne, ließ von Fritsch offen. Einen Aufstand der Bürger schloss er aus. Wahrscheinlicher sei da schon ein Aufstand der Generäle. Man möge sich jedoch keinen Illusionen hingeben. Es sei durchaus wahrscheinlich, dass ein potenzieller Nachfolger den autokratischen und imperialistischen Kurs Putins fortführen werde.

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

Vorheriger ArtikelNeuer Partner Distressed M&A bei W&P in Stuttgart
Nächster Artikel„ESG-Themen sind kein Extra mehr“