ESG: Vom Schlagwort zum Prozess

ESG-Konzepte systematisch erarbeiten und umsetzen/ Finanzinvestoren begleiten ihre Portfoliounternehmen

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Es ist erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, bis aus einem Akronym ein Konzept zur Weiterentwicklung von Unternehmen geworden ist. Für den Begriff ESG, also „Environmental, Social and Corporate Governance“, gibt es weder Urheberschutz noch Markenrechte. Anstelle eher beliebiger Definitionen von Ethik, Nachhaltigkeit oder Verantwortung geht es ganz nüchtern um das Managen finanzieller Risiken sowie um den Einfluss von ESG-Themen auf die Ertragskraft und damit auf den Unternehmenswert. 

Erfunden wurde der Begriff vor fast zwei Jahrzehnten: 2004 erstellte, so berichtet es die Zeitschrift „Insti­tutional Money“, ein Schweizer Unternehmensberater für die Vereinten Natio­nen eine Studie, die erstmals von ESG sprach. Sie beschrieb ein Konzept, das sich vom bis dato dominanten Socially Responsible Investment (SRI) abspaltete.

Doch wie wird aus Schlagworten ein ESG-Konzept – und wie daraus ein Prozess? Die Frage nach dem „Ob“ stellt sich für größere mittelständische Unternehmen längst nicht mehr. Bereits 2025 wer­den Unternehmen und Konzerne, die nach HGB als „groß“ gelten, einen Nach­haltigkeitsbericht veröffentlichen müssen. „Groß“, das bedeutet mehr als 40 Mio. EUR Umsatz, mehr als 250 Beschäf­tigte oder eine Bilanzsumme von mehr als 20 Mio. EUR; zwei der drei Kriterien genügen.

ESG-Konzepte als Mittel zur Steigerung des Unternehmenswerts

Die Berichtspflicht vollzieht nach, was der Markt vorgegeben hat – an der ­Börse lenken Marktkräfte zunehmend Kapital in ESG-konforme Sektoren und Werte. Auch abseits der Börse beeinflussen ESG-Erwägungen die Entscheidungen zahlreicher Investoren. Nicht zu vergessen: Finanzierungen belohnen entsprechende Geschäftsmodelle oder ein ESG-Rating mit einem Zinsabschlag.

Die Erkenntnis, dass ein zukunfts­fähiges ESG-Konzept ein Unternehmen dabei unterstützt, Nachhaltigkeitsziele zu definieren und zu erreichen, für Banken attraktiv zu sein und den Unternehmenswert zu steigern, ist längst weit­verbreitet. Wie wird ein solches Konzept erarbeitet, wie wird es gehandhabt? Vor allem werden sich viele Unternehmer fragen: Machen sich Zeit und Geld bezahlt, die für ein ESG-Konzept aufgewendet werden? Was es bedeutet, ESG gerade in mittelständischen Unternehmen zu etablieren, hat die Deutsche Beteili­gungs AG in den vergangenen anderthalb Jahren in ihrem Portfolio gezeigt, das mittlerweile nahezu 40 Unternehmen umfasst.

Zur Berichtspflicht kommt eine Rechenschaftspflicht

Mit der Unterstützung eines Beraters wurde zunächst analysiert, welche Nach­haltigkeitsaspekte im jeweiligen Unternehmen besonders bedeutsam sind und mit welchen Kennzahlen sie gemessen und gesteuert werden können. Dabei gilt es, jene Aspekte zu identifizieren, die über das Offensichtliche hinausgehen: In der öffentlichen Diskus­sion stehen Treibhausgasemissionen im Vordergrund. Fragen zu Diversität, vor allem zur Geschlechtergerechtigkeit folgen mit bereits großem Abstand. Je nach Geschäftsmodell spielen auch Abfall, Wasserversorgung oder Einhaltung der Menschenrechte in der Lieferkette eine Rolle. Unternehmen müssen sich zu diesen Themen erklären und – siehe die erwähnte Berichtspflicht – künftig auch Rechenschaft ablegen.

Eine solche Wesentlichkeitsanalyse wird sich nicht allein damit befassen, welche Kriterien die Stakeholder eines Un­ternehmens als relevant bewerten. Die­se können als Pflichtprogramm gelten: Arbeitnehmer, Kunden, die Nachbarschaft fragen zunehmend danach, welchen Beitrag ein Unternehmen zu einer klimaneutralen Wirtschaft leistet. Dass Chancengleichheit unter den Geschlech­tern gefördert werden muss, gilt als selbstverständlich. Die Grundzüge einer guten Unternehmensführung stehen nicht zur Diskussion.

Fallbeispiel Cartonplast: ESG als Teil der Unternehmens-DNA

Neben der Pflicht steht die Kür: Was ist für den Erfolg eines Unternehmens künftig entscheidend und beeinflusst so dessen Wert? Cartonplast ist ein mittelständisches Unternehmen, knapp 100 Mio. EUR Umsatz, 830 Mitarbeiter, 18 Standorte weltweit, überwiegend in Europa, aber auch in Nordamerika, Südamerika, Südafrika und Australien. Es beschäftigt sich hauptsächlich mit der Vermietung wiederverwendbarer Kunststoffzwischenlagen, die als „Sandwich-Platten“ zwischen Schichten von Lebensmittelbehältern (hauptsächlich Glas) auf Paletten für den Produkttransport verwendet werden. Dazu kommen die damit verbundenen Dienstleistungen wie Logistik, Transport, Reinigung und Recycling – ein gewissermaßen „natürlich nachhaltiges Unternehmen“, wie es auf der Website heißt, denn die wiederverwertbaren Transportverpackungen vermeiden die Entstehung von Müll.

Innovative Waschanlage, die strengen, internationalen Kriterien entspricht zur Sicherstellung hygienischer Sicherheit; Foto: © DBAG/Nils Hendrik Müller

ESG kann so als Teil der Unternehmens-DNA gelten. Doch gerade in einer vordergründig komfortablen Situation gerät die Herangehensweise an ESG-­Aspekte weniger systematisch, sondern in­tuitiv. Warum etwas analysieren und ver­ändern, das offenkundig ESG-konform ist? Cartonplast hat dennoch, beglei­tet durch seinen Mehrheitsgesellschafter, ­eine systematische Untersuchung gestar­tet. Herausgekommen sind zwölf ESG-­bezogene Trends und Themen, die das Geschäft beeinflussen werden. Zu den besonders wichtigen darunter gehören der Klimawandel und damit verbunden das Energiemanagement des Unternehmens, aber auch die Frage nach dem Produktdesign: Ermöglicht es eine Kreis­laufwirtschaft, und ist es kohlenstoff­effizient?

Transparenz schaffen durch Lebenszyklusanalyse

Cartonplast hat deshalb eine Lebens­zyklus­analyse seiner Produkte und Dienst­leistungen durch Berater erstellen lassen. Jetzt kann das Unternehmen exakt sagen, wie viel Treibhausgasemissionen durch die Verwendung der Zwischenlagen im Vergleich zu Kartonagen vermieden wer­den und um wie viel niedriger der Wasser­verbrauch ausfällt. Solche Informationen bestimmen zunehmend die Kaufentscheidung der Kunden. Der intu­iti­ve ­Ansatz – „unser Produkt ist umweltfreundlich“ – wird durch einen wissenschaftlichen ergänzt. Voraussetzung für die Lebenszyklusanalyse war unter anderem, die Emissionen im Unternehmen erst einmal zu erfassen – das hilft auch, die Berichtspflichten zu erfüllen.

Manuelle Überprüfung und Sortierung der Kunststoffzwischenlagen nach Durchlauf der Waschanlage; Foto: © DBAG/Nils Hendrik Müller

Die Untersuchung hat nicht nur Ansatzpunkte für eine bessere ökologische Performance geliefert. In der Personal­arbeit werden jetzt qualitative Aspekte verstärkt, die in Phasen starken Wachstums nicht im Mittelpunkt standen: Es gibt mehr Mittel zur Weiterbildung, die Zufriedenheit der Mitarbeiter wird systematisch erhoben, um Ansatzpunkte für weitere strukturelle Veränderungen zu identifizieren. Abgesehen davon, dass auch bei Cartonplast Fachkräfte knapp sind, gilt, dass nur zufriedene, motivierte Mitarbeiter einen reibungslosen Geschäftsbetrieb ermöglichen und Inno­vationen entwickeln. Zu den rechtlichen ESG-Trends gehört nicht nur die bereits erwähnte Berichtspflicht, sondern auch das Lieferkettengesetz. Es nimmt Unternehmen für das Handeln ihrer Zulieferer in die Verantwortung. Auch hier gilt es, sich so aufzustellen, dass das Unternehmen den Erwartungen seiner Kunden entsprechen kann.

FAZIT

ESG ist kein „Nice-to-have“, sondern Voraus­setzung, um die Wettbewerbs­position zu halten und zu verbessern. Der angemessene Umgang mit umweltbezogenen und sozialen Risiken aus der Unternehmensführung ist eben nicht nur richtig, sondern ein grundlegender wertbildender Faktor – und damit erfolgsentscheidend.

Autorenprofil
Thomas Weber

Thomas Weber ist Mitglied der Geschäftsleitung der Deutschen Beteiligungs AG und verantwortet das Ressort Business Development.

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