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„Es geht immer um das große Ganze“

Er spielte unter Herbert von Karajan, ist ein international angesagter Dirigent und Coach: Was können Unternehmer von Gernot Schulz lernen? Im Interview erklärt er, was Führung bedeutet – nicht nur im Orchester.

Unternehmeredition: Herr Prof. Schulz, was hat Orchestrieren mit Restrukturieren zu tun?

Schulz: Ein Orchester befindet sich in einem permanenten Transformationsprozess: Ein sich ständig änderndes Repertoire, wechselnde Dirigenten, immer andere Solisten und – insbesondere auf Tourneen – ganz unterschiedliche akustische Verhältnisse. Im Orchester – wie auch im Unternehmen – bedarf es ganz bestimmter Fähigkeiten, um bei sich permanent verändernden Verhältnissen Höchstleistungen zu vollbringen.

Letztlich ist doch der Dirigent für das Zusammenspiel verantwortlich.

Auch wenn es nach außen den Anschein hat, dass der Dirigent alles vorgibt: Die Feinabstimmung im Zusammenspiel, die Balance und die Leidenschaft – all das kann nicht angeordnet oder von einem Dirigenten diktiert werden. Er muss die Bedingungen dafür schaffen, dass das aus dem Team heraus entsteht. Er muss dafür sorgen, dass aus dem Agieren ein Interagieren wird. Oder wie Sprenger so schön sagt: Führen heißt Zusammenspiel entstehen lassen, wo es ansonsten nicht zustande käme.

Wie finden Unternehmer in der Krise den richtigen Takt?

Krise bedeutet Veränderung. Auch der „richtige Takt“ wird immer wieder ein anderer sein. Den jeweils richtigen zu finden, erfordert vor allem eines: Eine gute Wahrnehmung der Veränderungen und das richtige Reagieren darauf. Wie beim Dirigieren ist transformationelles Führen gefragt: Weg vom Prinzip des Anordnens und Ausführens hin zum Befähigen der Mitarbeiter, aufgrund ihrer Wahrnehmung situativ-intuitiv und eigenverantwortlich die richtigen Dinge zu tun bzw. Entscheidungen zu treffen.

In welcher Situation sollten Unternehmer wie führen?

Sie sollten situativ und mitarbeiterbezogen führen. Der Unternehmer – wie der Dirigent – muss sich im Klaren darüber sein, welche Personen – welches Orchester – er in welcher Situation wie führen muss. Dementsprechend muss er enges und weites Führen justieren. Mit einer zu weiten Führung verbreite ich Unsicherheit. Mit einer zu engen Führung Langeweile, Verdruss und Unaufmerksamkeit.Er spielte unter Herbert von Karajan, ist ein international angesagter Dirigent und Coach: Was können Unternehmer von Gernot Schulz lernen? Im Interview erklärt er, was Führung bedeutet – nicht nur im Orchester.

Wenn Sie an einem Abend mit einem Musiker nicht zufrieden sind, können Sie diesen ja nicht einfach aus dem Orchester werfen. Reagiert manch ein Unternehmer zu schnell mit einer Personalentscheidung?

Häufig liegt es an der Personalauswahl. Für ein Orchester ist diese sehr streng. Im einem Probespiel vor dem gesamten Orchester wird der/die Beste ermittelt. Dann aber kommt das Probejahr. Nur wer beweist, durch gutes Wahrnehmen zu einem guten Zusammenspiel fähig zu sein, wird die dann erforderliche 2/3-Mehrheit der Kollegen bekommen. Nach diesem strengen Selektionsprozess findet ein Austausch so gut wie nicht mehr statt.

Ständiges Feedback zwischen Ihnen und den Musikern ist ein absolutes Muss. Kommt dieses in den Unternehmen häufig zu kurz?

Nach meinen Erfahrungen: Ja – erst recht unter Führungsverantwortlichen. Im Orchester ist Feedback selbstverständlich. Jeder hört jeden und reagiert darauf. Auch ich nehme alles wahr und kommuniziere meine Bewertung. Diese Omni-Transparenz und selbstverständliche Feedback-Kultur ist ein hoher Leistungsanreiz.

Sie müssen aus Solisten eine Gruppe basteln. Das ist in Unternehmen ähnlich – oder?

Könner sind meist Individualisten. Die integrierende Kraft entstehen zu lassen, die den Individualisten sagen lässt: Ich habe zwar meine persönliche Ansicht, aber das gemeinsame Ganze, das hier entsteht, überzeugt und berührt mich so, dass ich alles gebe – das ist die Kunst der Führung. Erst eine  emotional wirkende Sinngebung lässt aus Solisten ein Orchester werden.


Zur Person

(© Privat)

Geboren: 22.02.1952

Beruf: Dirigent, Trainer, Pädagoge

Hobbys: Zeitgeschichte, Sport, Segelfliegen

www.dirigierenundfuehren.com

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