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„Wir waren beide mit der ‚Brücke‘ sehr zufrieden“

Die Wittenstein SE hat 2016 den familieninternen Nachfolgeprozess abgeschlossen. Im Interview schildern Vater und Tochter die einzelnen Etappen auf diesem langen Weg und erklären, wie sie Rivalitäten innerhalb der Familie und im Unternehmen vorgebeugt haben.

Unternehmeredition:  Herr Dr. Wittenstein, als ehemaliger VDMA-Präsident und prominenter Vertreter des Typus Familienunternehmer lastete sicherlich ein gewisser Druck auf Ihnen, Ihre eigene Nachfolge vorbildlich zu gestalten. Wie akribisch haben Sie diesen Anspruch umgesetzt?

Dr. Manfred Wittenstein: Mit den Überlegungen zur Nachfolge habe ich vor 16-17 Jahren angefangen. Ich hatte damals den Wunsch, die Familientradition fortzuführen. Die Voraussetzungen waren aufgrund der guten Geschäftsentwicklung dafür gegeben.

Was verändert sich in der eigenen Führung und in der Familie, wenn man diesen Wunsch für sich formuliert hat?

Dr. Manfred Wittenstein: Als Familienunternehmer tut man vielleicht etwas mehr, wenn man weiß, dass man das Unternehmen in die Familie übergeben kann, als wenn dies nicht möglich wäre. Den Kindern gegenüber habe ich die Übernahme immer als machbar, ja vielleicht sogar als leicht dargestellt. Meine Sorgen oder die des Unternehmens habe ich deshalb nie nach Hause getragen. Erst als die Kinder die Schule abgeschlossen hatten und die Überlegungen zur Studienwahl anstanden, bin ich näher an das Thema herangerückt. Es könnte ja in der Familie eine Möglichkeit geben, das Unternehmen weiterzuführen. Ich habe die Kinder damals lange darauf hingeführt, dabei aber nie ein konkretes Programm verfolgt. Allerdings würde ich das aus heutiger Perspektive ein wenig anders machen. Dazu bietet sich bei meinen jüngeren Kindern die Gelegenheit. Diese führe ich schon als Jugendliche an die Fragestellungen des Unternehmens heran, allerdings nicht im eigenen Unternehmen, sondern ganz allgemein.

Frau Dr. Wittenstein, haben Sie Ihre Studienwahl als Indikator für eine spätere Nachfolge gesehen?

Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Bei der Entscheidung war mir das gar nicht so bewusst. Das kam dann erst später, im Lauf der Zeit. Ich habe eine humanistische Ausbildung genossen. In der Schule haben mir immer alle gesagt, ich solle Lehrerin werden. Aber ich hatte auch Wirtschaft als Schulfach – das gab bei mir den Anstoß, Betriebswirtschaftslehre zu studieren. Meine Motivation dabei war, in einem Unternehmen zu arbeiten und Menschen führen zu wollen. Sicherlich hatte ich auch unser Unternehmen im Hinterkopf, aber in erster Linie wollte ich meinen Interessen folgen.

Die Wittenstein SE hat 2016 den familieninternen Nachfolgeprozess abgeschlossen. Im Interview schildern Vater und Tochter die einzelnen Etappen auf diesem langen Weg und erklären, wie sie Rivalitäten innerhalb der Familie und im Unternehmen vorgebeugt haben.

Wann haben Sie zum ersten Mal ernsthaft darüber nachgedacht, das Familienunternehmen weiterzuführen?

Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Nach dem Studium war ich schon infiziert vom Gedanken an das eigene Unternehmen, und ich habe mich entschieden, an das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart zu gehen. Ich wusste, dass ich Kauffrau bin, brauchte allerdings noch etwas Stallgeruch. Diesen konnte ich mir über die Promotion im technischen Bereich aneignen.

Dr. Manfred Wittenstein: Über diese Promotion – übrigens zu dem Thema „Bedarfssynchrone Leistungsverfügbarkeit in der kundenspezifischen Produktentwicklung“ – sind wir dann stärker an Themen herangerückt, die die Firma interessieren.

Nach der Promotion war für Sie beide klar, dass die Tochter ins Unternehmen einsteigt und an die Nachfolge herangeführt wird?

Dr. Anna-Katharina Wittenstein: “Für mich war es der berühmte Sprung ins kalte Wasser. Aber den braucht man.”

Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Zunächst war ich da noch relativ offen. Ich habe mich erstmal extern beworben und gute Bewerbungsgespräche geführt. In dieser Phase kamen aber dann schon die Emotionen zum Tragen. Ich war ja kein Berufsanfänger mehr nach fünf Jahren bei Fraunhofer. Also habe ich mich dann für den Schritt ins eigene Unternehmen entschlossen. Ich hätte mich schon sehr schwer getan, zu irgendeinem anderen Unternehmen zu gehen.

Wie sah dieser Einstieg ins Familienunternehmen aus?

Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Ich habe erstmal – über ein Jahr verteilt – Praktika in verschiedenen Bereichen des Unternehmens gemacht. Das war eine relativ freie Stellenbeschreibung für mich. Anschließend ergab sich die Möglichkeit, an unserem Schweizer Standort fest einzusteigen. Mein Vater und ich waren uns einig, nicht in der Unternehmenszentrale anzufangen, sondern an einem anderen Standort selbständig unternehmerisch gestalten zu können.

Dr. Manfred Wittenstein: Da ging es um eine neue Produktion, die organisiert werden musste.

Wie resümieren Sie heute diese erste Aufgabe, Frau Wittenstein?

Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Im Nachhinein war das sicherlich eine gute Wahl, weil es ein in sich geschlossenes Projekt war, also eine unternehmerische Gesamtaufgabe. Ich bekam auf diese Weise einen guten Überblick über alle Prozesse innerhalb eines Unternehmens. Für mich war es der berühmte Sprung ins kalte Wasser. Aber den braucht man, wenn es um einen Nachfolgeprozess geht, man braucht eine Herausforderung, an der man wachsen kann. Ich konnte mich austesten, lernte meine Stärken und Schwächen kennen, und konnte mir dadurch die Frage beantworten, ob ich das, etwas salopp formuliert, auf Dauer machen will. Für mich war danach klar, dass ich nicht nur Eigentümerin sein, sondern auch eine operative Führungsaufgabe übernehmen möchte.

Die Wittenstein SE hat 2016 den familieninternen Nachfolgeprozess abgeschlossen. Im Interview schildern Vater und Tochter die einzelnen Etappen auf diesem langen Weg und erklären, wie sie Rivalitäten innerhalb der Familie und im Unternehmen vorgebeugt haben.

Auf die Schweiz folgte gleich der nächste Auslandsaufenthalt in den USA. Worum ging es bei dieser Aufgabe?

Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Es gab zu diesem Zeitpunkt bei unserer amerikanischen Tochtergesellschaft eine Führungskrise. Zudem waren die USA damals für uns der größte Auslandsmarkt. Das Spannende für mich war dort, nicht operativ tätig zu sein, da meine Position die einer Chairwoman of the Board war. Damit konnte ich ausprobieren, wie ich mittelbar führe und ob mir die Eigentümer-/Aufsichtsratstätigkeit liegt.

Dr. Manfred Wittenstein: Für mich war es wichtig, in Amerika die Produktion aufrechtzuerhalten und als amerikanisches Unternehmen am Markt aufzutreten. Es war Anna-Katharinas Aufgabe, aus dem deutschen Unternehmen in Amerika ein amerikanisch-deutsches Unternehmen zu machen. Ihr ist es gelungen, die Sichtbarkeit des Unternehmens in der Region zu steigern.

Dr. Manfred Wittenstein: “Die Frage war, wie wir die zeitliche Lücke überbrücken könnten.”

Trotzdem haben Sie sich bei der Übergabe der Unternehmensführung für eine Interimslösung entschieden. Warum?

Dr. Manfred Wittenstein: Anna-Katharina war aus unserer Sicht noch nicht so weit. Die Frage war, wie wir diese zeitliche Lücke überbrücken könnten. Auf einem unternehmensinternen Diskussionsforum haben wir uns über die langfristige Vision Gedanken gemacht, und natürlich war meine Tochter auch dabei. Das Ergebnis dieser Tagung war, dass der neue Vorstand den Weg für die neue Generation bereiten sollte. Wir haben uns dann auf dieser Tagung eine Person vorgestellt, die diesen Posten besetzen sollte. Wir wollten jemanden, der souverän ist. Kurz darauf habe ich Dieter Spath (Interimsmanager bei Wittenstein von Oktober 2013 bis September 2016, Anmkerung der Redaktion)  angesprochen, und nach einer Woche Bedenkzeit hat er zugesagt. Durch ihn haben die Mitarbeiter im Unternehmen erkannt und gespürt, dass ich mich tatsächlich stärker zurücknehmen konnte.

Frau Dr. Wittenstein, Ihr Vater sagt, Sie waren damals „noch nicht so weit“, sehen Sie das auch so?

Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Ich war der gleichen Meinung, denn ich bin immer skeptisch gegenüber meiner Führungsleistung. Außerdem hatte ich zu diesem Zeitpunkt zwei kleine Kinder. Zudem war für mich klar, dass ich nicht die direkte Nachfolge meines Vaters antreten wollte, da wir uns charakterlich sehr ähnlich sind. Wir waren also beide mit der „Brücke“ Prof. Dr. Dieter Spath sehr zufrieden.

Die Wittenstein SE hat 2016 den familieninternen Nachfolgeprozess abgeschlossen. Im Interview schildern Vater und Tochter die einzelnen Etappen auf diesem langen Weg und erklären, wie sie Rivalitäten innerhalb der Familie und im Unternehmen vorgebeugt haben.

Neben der Führungsfrage geht es bei der Nachfolge auch um die Eigentümerfrage. Welchen Plan haben Sie hier verfolgt?

Dr. Manfred Wittenstein: Ich habe relativ früh die ganze Familie, meine Geschwister und meine Kinder, in die Frage der Eigentumsnachfolge mit einbezogen. Zu diesem Zeitpunkt besaß ich 90 Prozent der Stimm-und Kapitalanteile. Meine Geschwister waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht beteiligt. Wir haben dann für den Familienzusammenhalt und die Bewahrung der unternehmerischen Unabhängigkeit eine Familiencharta entworfen. Darin haben wir die Familie definiert, also wer dazugehört und wer nicht, was unsere Regeln sind, sodass in Zukunft wenig Konfliktpotential entsteht. Für die Aktionäre gilt zum Beispiel die Gütertrennung. Es wurde auch geregelt, dass alle Familienmitglieder den gleichen Eignungsprozess wie Anna-Katharina durchlaufen müssen, wenn sie sich im Familienunternehmen als Führungskraft oder Gesellschafter engagieren wollen. Durch die Familiencharta wurden aus meiner Sicht faire Regeln geschaffen für den Fall, dass weitere Familienmitglieder durch Vererbung Aktionäre werden.

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Die „Marke Familienunternehmen“ ist Ihnen wichtig, wie wir erfahren haben. Wie wird dieses Selbstverständnis innerhalb der Familie weiter gepflegt?

Dr. Manfred Wittenstein: Wir haben einen Familienrat. Die Familie trifft sich einmal im Jahr. Das organisieren die Familienmitglieder selbst. Damit versuchen wir die Familie zusammenzuhalten, sie zu informieren, und um ganz nebenbei einen gewissen Stolz zu generieren. Diese Familienversammlung ist immer auch an unternehmensbezogene Themen gekoppelt. Mittlerweile sind wir 18 Mitglieder beziehungsweise sieben Aktionäre. Wir haben einen monetären Familientopf zur freien Verfügung. Auf der letzten Versammlung hat sich der Familienrat anerkennend über den Nachfolgeprozess ausgesprochen. Diese Anerkennung ist wichtig für meine Tochter ebenso wie für mich selbst. Wir können uns alle in die Augen blicken – und jetzt ganz konzentriert und neugierig nach vorne.

 

 


Zu den Personen

Dr. Anna-Katharina Wittenstein ist seit Oktober des vergangenen Jahres Vorstandsmitglied der Wittenstein SE. Damit hat sie die Familiennachfolge von ihrem Vater Dr. Manfred Wittenstein übernommen, der bereits im April 2014 aus dem Vorstand in den Aufsichtsrat gewechselt ist. In der Interimszeit (2013-2016) fungierte Prof. Dr. Dieter Spath als Vorstandsvorsitzender. Seit ihrem Mutterschaftsurlaub von Juli bis November letzten Jahres ist Dr. Bernd Schimpf Vorstandssprecher.

Die Wittenstein SE produziert Servo-Antriebssysteme, Medizintechnik, Miniatur-Servoeinheiten, innovative Verzahnungstechnologie, rotative und lineare Aktuatorsysteme, Nanotechnologie sowie Elektronik- und Softwarekomponenten für die Antriebstechnik. Im Konzern arbeiten insgesamt 2.500 Mitarbeiter. Der Umsatz für das Geschäftsjahr 2016/2017 beträgt 339 Mio. Euro.

www.wittenstein.de

 

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