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“Eine gewisse Stabilität ist erreicht”

Restrukturierungsfirmen gehören gemeinhin zu den ersten, die konjunkturelle Veränderungen wahrnehmen. Unternehmeredition sprach mit Thomas Kolaja, dem neuen Deutschlandchef von Alvarez & Marsal, über die aktuelle Lage und Krisen im Mittelstand.

Herr Kolaja, seit 2010 bauen Sie das Beratungsgeschäft von A&M in Ost- und Zentraleuropa auf. Welche Chancen ergeben sich dort für deutsche Unternehmen?

Wir sehen große Wachstumsmöglichkeiten in Zentraleuropa, auch für deutsche Firmen. Die Märkte haben sich stark gewandelt. Vor allem in den nördlichen Ländern Zentraleuropas ist es für westliche Firmen mittlerweile möglich, ganz normale Geschäfte zu machen. Methoden zur Unternehmensbewertung sind auf einem einheitlichen Standard – das war eines der größten Mankos zu Beginn der neunziger Jahre. Selbst die Börse in Warschau ist auf dem gleichen Stand wie in Wien oder Frankfurt. Auch die verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten sind inzwischen allen Firmen bekannt. Zentraleuropa ist wieder in Europa integriert.

Welche Rolle spielen Missstände wie Korruption?

Korruption ist kein rein osteuropäisches Problem, sondern existiert vermutlich in ganz Europa. Man muss auf der Hut sein und wissen, was man machen kann und was nicht.

Für Deutschland als wirtschaftlich wichtigstes Land der EU wird von vielen Seiten vor einer konjunkturellen Abkühlung gewarnt. Sehen Sie hier bereits Tendenzen?
Eigentlich nicht. Die Lage ist derzeit nicht blumig, dennoch stabil. Alles hängt davon ab, wie es im Herbst in Südeuropa aussieht. Vor allem Frankreich könnte sich zu einem negativen Sonderfall entwickeln.

Inwieweit ist die Übernahme von desolaten Firmen vor allem in Südeuropa für deutsche Mittelständler eine Chance?

Ich denke, der Mittelstand muss sich weltweit nach Möglichkeiten umsehen, nicht nur in Europa oder Asien. Auch in den Vereinigten Staaten gab es über die letzten Jahre teilweise riesige Wachstumschancen, die man wieder mehr nutzen sollte.

Kommt China überhaupt nicht mehr in Frage?
Doch durchaus, aber wir sind sehr stark in den USA vertreten. Außerdem haben sich in China viele Mittelständler schon eine blutige Nase geholt aufgrund der verschiedenen Rechtsnormen. Somit stehen die USA für mehr Sicherheit, allein schon was die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angeht.

Durch welches Fettnäpfchen geraten Mittelständler am ehesten in eine Krise?

Eine oft unterschätzte Gefahr ist, zu viele Schulden anzuhäufen. Das giltauch für Großkonzerne. Eine weiteres Problem besteht darin, nicht schnell genug auf Veränderungen im Markt reagieren zu können. Manchen gelingt das sehr gut, andere habenProbleme mit ihrer Corporate Governance, vor allem, wenn es sich um Familienunternehmen handelt, an denen große und weitverzweigte Teile der Familie etwa mit Aktien beteiligt sind. Hier kommt es oft zu internen Kämpfen, die ein Unternehmen lähmen können und diesem die Flexibilität nehmen. Gleichzeitig werden diese Auseinandersetzungen bei Familienunternehmen um ein Vielfaches emotionaler als bei Großkonzernen geführt.

Wirkt sich der Fall Lehman Brothers negativ auf Ihr Image aus?

Nein, warum sollte er? Wir waren nicht diejenigen, die die Probleme verursacht haben, sondern wurden damit beauftragt, diese zu lösen. Bryan Marsal, bis vor kurzem CEO bei Lehman, hält weltweit Vorträge darüber, was Banken tun können, damit sich solch ein Szenario nicht wiederholt. Unser Imageproblem ist vielmehr der weitläufige Eindruck, dass wir immer erst kurz vor Exitus auf den Plan treten. Aus dieser Ecke müssen wir heraus . Wir versuchen das durch Projekte, die im Bereich Performance Improvement angesiedelt sind. Derzeit stammt weniger als 40% unseres Umsatzes aus Restrukturierungsprojekten – von der Bekanntheit her denken jedoch viele, es seien 90%.

2005 haben Sie bei der Drogeriekette „Ihr Platz“ das erste Insolvenzverfahren in Eigenregie nach Vorbild des US-amerikanischen Chapter 11 durchgeführt. Seit 2012 ist es in Deutschland als das sog. Schutzschirmverfahren eingeführt. Hat sich diese Möglichkeit etabliert?

Wir wissen aus der Kooperation mit Insolvenzverwaltern, dass das Schutzschirmverfahren immer noch sehr stiefmütterlich angewendet wird. In den USA hat esauch sehr lange gedauert, bis sich Chapter 11 durchgesetzt hat. Durch den Vollstreckungsschutz des Schutzschirmverfahrens wird den Unternehmen grundsätzlich geholfen und somit Zeit zur Ausarbeitung eines Insolvenzplans gewährt. Der Vorteil des amerikanischen Chapter 11-Verfahrens ist es, dass das Unternehmen dringend benötigtes Kapital aufnehmen kann. Deshalb wurde Chapter 11 letztendlich in den USA auch so beliebt und so erfolgreich angewendet.

Das Interview führte Verena Wenzelis
wenzelis@unternehmeredition.de

 

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