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Ein Chamäleon aus Waldenburg

Der technische Explosionsschutz ist nicht das einzige Feld, auf dem es die Stahl AG zu einer führenden Stellung geschafft hat. Er ist genau genommen das, was nach einer mehr als 100-jährigen Erfolgsgeschichte übriggeblieben ist.

Der Funke springt über – eigentlich überall wünschenswert, nur nicht für die Firma Stahl. Das Paar beim ersten Date. Der Verkäufer beim Gespräch mit einem schwierigen Kunden. Der Funke soll überspringen und eine Reaktion in Gang setzen. Doch im chemischen Bereich oder in der Industrie ist das nicht immer gewollt. Dort können große Funken entstehen, etwa beim Schweißen oder wenn Geräteteile aneinander reiben. Und bereits die Betätigung eines Schalters setzt einen für das Auge kaum sichtbaren Funken frei. Sogar Staubschichten können explosiv sein. Jeder noch so kleine Funke hätte fatale Folgen. Ihn einzuhüllen oder gar zu verhindern, hat sich die Stahl AG auf die Fahnen geschrieben.

Hans-Volker Stahl führt die R. Stahl AG in der fünften Generation.

Stahl ist Weltmarktführer für Produkte im Bereich Explosionsschutz. Der Umsatz 2012 lag bei 291 Mio. EUR, erwirtschaftet von 1.600 Mitarbeitern weltweit. Tochtergesellschaften und Vertriebsniederlassungen in mehr als 84 Ländern beliefern Kunden vorrangig aus der Chemie- und Pharmabranche, aber auch Schiffsausrüster, die Nahrungsmittelindustrie und Anlagenbauer. Sie alle produzieren in Umgebungen, wo der entscheidende Funke verheerende Folgen hätte – und ganze Produktionsanlagen in die Luft sprengen könnte.

„Dabei war die Fokussierung auf den Explosionsschutz gar nicht geplant“, erzählt Hans-Volker Stahl lachend. Der 66-Jährige ist Urenkel des Firmengründers und Aufsichtsratsvorsitzender. Ruhig sitzt er da, fast unscheinbar, aber mit der Ruhe und Gelassenheit derer, die auf eine lange Ahnengalerie blicken. Die Firma ist seit der Gründung in Familienhand, Hans-Volker Stahl ist seit 1993 im Amt. Er kennt jede Jahreszahl auswendig.

Fieber der Industrialisierung

Begonnen hat alles 1876 im schwäbischen Bieringen. Hier wird Firmengründer Rafael Stahl geboren, hier macht er seine Lehre als Schlosser. Doch der junge Mann weiß, dass mehr in ihm steckt, nach Wanderjahren und ersten Erfahrungen in einem Stuttgarter Industriebetrieb gründet er 1876 seine eigene Firma. Die sticht von vornherein mit Pionierleistungen hervor, als eine von wenigen stellt sie elektrische Bügeleisen nach amerikanischer Bauart her. Weiter geht es mit Rundwirkmaschinen, auf denen Mieder für Frauen hergestellt wurden. 1888 entwickelt er die größte Rundwirkmaschine der Welt. Doch das Geschäft mit der Mode hält nicht lange an, der Markt bricht zu Beginn der 1890er Jahre zusammen. Die letzten Rundwirkmaschinen werden 1897 nach China geliefert.

 

Es sind die Söhne von Rafael Stahl, die sich nach neuen Geschäftsbereichen umsehen. Nach dem Tod des Vaters stellen sie auf Fördertechnik um. Sie entwickeln elektrische Flaschenzüge, Aufzüge und Kräne. 1901 baut Stahl den ersten elektrischen Personenaufzug, 1902 den ersten Aufzug mit Druckknopfsteuerung. Der ursprünglich handwerkliche Betrieb entwickelt sich mehr und mehr zum Industrieunternehmen. Die Produktion wird schnell erweitert, ab 1908 stellt Stahl auch Personenpaternoster her. „In München fährt heute noch ein Paternoster von uns“, so Hans-Volker Stahl.

Kriegswirren und Wachstumsschock

Die beiden Weltkriege treffen die Firma hart. Die Rückschläge steckt sie durch neue Entwicklungen weg, die sofort nach Ende des Krieges in Serie gehen. Nach einer Werksexplosion 1921 fragt BASF gezielt explosionssichere Ausrüstung nach. Grund genug für die Firma Stahl, sich mit der Technologie zu beschäftigen. Von da an ist sie einer der führenden Anbieter.

Nach dem Zweiten Weltkrieg geht das Wachstum mit nicht gekannter Geschwindigkeit weiter. „Wir entwickelten uns zu Europas zweitgrößtem Hersteller von Aufzügen – nach Schindler aus der Schweiz“, so Hans-Volker Stahl. 1944 wird der Elektrozugbau von Stuttgart nach Künzelsau verlegt. Dorthin, wo die späteren Geschäftsführer von Würth, der Berner Gruppe und EBM Papst in die gleiche Klasse gingen. Doch die Schwaben machen sich auch schnell an den Export. Sie finden Vertretungen in Südamerika, gründen Tochtergesellschaften in ganz Europa. Mit Übernahme der Firma Alfred Zaiser, eines Konkurrenten aus Stuttgart, steigt die Mitarbeiterzahl 1965 auf 2.800. 1968 liegt der Firmenumsatz bei über 100 Mio. DM.Doch dann, inmitten des Wachstumsrausches, kommt der Schock. Die Auftragslage war stabil, das Geschäft brummte, dennoch war die Gesamtfirma defizitär. „Und das in Zeiten des Wirtschaftswunders, das geht ja eigentlich gar nicht“, meint Hans-Volker Stahl. Das Rechnungswesen befand sich noch im Aufbau, die Betriebsabrechnungen waren nicht verlässlich. Schwachpunkt war die Aufzugsparte. Schweren Herzens entschieden sich die Geschäftsführer 1970 zum Verkauf an die heutige Thyssen-Tochter Rheinstahl. „Als letzten Großauftrag statteten wir noch das Klinikum Großhadern in München mit Aufzügen aus“, erzählt Stahl. Als Umsatz wurde der aber nicht mehr verbucht.

Schalterbau für den Explosionsschutz: Hier ein Großauftrag für Samsung.

Neuausrichtung im neuen Jahrtausend

Übrig blieben die Fördertechnik und der Schalterbau für den Explosionsschutz. Durch den Verkaufserlös kann sich die Firma ganz darauf konzentrieren. Der Explosionsschutz wird auch im Ausland immer mehr nachgefragt. 1979 wird dafür eine erste Tochtergesellschaft in den USA gegründet. 1998 ist die Firmengruppe mit den Beteiligungsgesellschaften im Ausland auf 28 Einzelunternehmen angewachsen, der Umsatz liegt bei 446 Mio. DM. Doch eine Krise gilt es noch zu überstehen.

2001, wenige Jahre nach dem Börsengang, kommt die letzte Schieflage. Diesmal ist die Fördertechnik nicht mehr profitabel. Sie wird neu ausgerichtet und restrukturiert, nach zwei Jahren ist das Unternehmen aus der Verlustzone. Doch eine weitere Quersubventionierung nimmt Hans-Volker Stahl nicht mehr hin. „Dass der Explosionsschutz die Fördertechnik dauerhaft stützt, konnte nicht Ziel des Geschäftsbereichs sein“, meint er rückblickend. 2005 verkauft er die Sparte schließlich an den finnischen Marktführer KCI KoneCranes, als letzten der traditionellen Unternehmensbereiche.

Offenheit als Stärke

„Natürlich tut es jedes Mal weh, sich zu trennen“, sagt Hans-Volker Stahl zu den häufigen Verkäufen in der Firmengeschichte. Doch im Zweifelsfall müsse man sich eben auf das konzentrieren, was rentabel ist. Nicht alle Familienunternehmen können so einfach über Teilverkäufe sprechen, schließlich haben sie Geschäftsbereiche oft jahrzehntelang aufgebaut und die Branche geprägt. Doch vielleicht ist bei der R. Stahl AG nichts so wie bei den meisten Familienunternehmen. Das zeigt sich auch daran, dass sie sich 1997 für einen Börsengang entschied – für die meisten Familienunternehmen ein Tabu.Doch die Stahl AG ist von der Börse überzeugt. „Der Bekanntheitsgrad steigt und das Unternehmen wird zu Disziplin in der Buchführung erzogen“, meint Hans-Volker Stahl. Bereits 1993 fand die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft statt. Die Familie war im Aufsichtsrat von vornherein in der Unterzahl, auch heute beschränkt sie sich auf drei Mitglieder. Ein Weg, den Hans-Volker Stahl gut findet. „Bei den meisten Familiengesellschaften ist der Einfluss der Familie sehr groß. Damit sinkt die Chance, Top-Manager für das Unternehmen zu finden, da sie immer befürchten müssen, dass ihnen jemand aus der Familie vorgesetzt wird.“ Das kann bei der Stahl AG nicht passieren, und das wisse jeder, der von außen kommt. Durch die Führung durch externe Manager haben sie auch kein Nachfolgeproblem.

Keine Überraschungen

Heute konzentriert sich die R. Stahl AG ganz auf den Explosionsschutz. Im Fokus des Wachstums steht die weitere Internationalisierung, vor allem in Asien und den USA. Als kleines Unternehmen kann sie es sich dabei leisten, auch ungewöhnliche Wege zu gehen: Als einer von wenigen expandierenden Mittelständlern entschied sie sich für eine Produktionsstätte in Indien, nicht in China. Die Angst vor Produktklau war einfach zu groß. Wettbewerbsnachteile sieht Hans-Volker Stahl dadurch nicht. „Es gibt viele Möglichkeiten, den chinesischen Markt zu bedienen, man muss dafür nicht direkt in China sein“, sagt er schmunzelnd. Wie wichtig die internationale Ausrichtung ist, sah die Firma während der Finanzkrise von 2009: Die hat sie ohne Kapitalerhöhungen überstanden, eben weil sie weltweit aufgestellt war. 2012 wurden 79% der Umsätze im Ausland erwirtschaftet.

Überhaupt musste die Firma bislang noch kein Kapital über die Börse aufnehmen. Eine Tatsache, auf die Hans-Volker Stahl Wert legt. Ihm geht es um Verlässlichkeit, auch für die Anleger. So kommt es, dass er auch beim Thema Nachfolge keine Überraschungen mag. Der Aufsichtsratsvorsitz soll in Familienhand bleiben, einen potenziellen Kandidaten hat er schon im Auge. Doch so etwas geht nicht von heute auf morgen. Der Funke muss erst noch überspringen.

wenzelis@goingpublic.de

 

Kurzprofil R. Stahl AG

Gründungsjahr: 1876
Branche: Explosionsschutz
Unternehmenssitz: Waldenburg (Baden-Württemberg)
Umsatz 2012: 291 Mio. EUR
Mitarbeiterzahl 2012: 1.818 weltweit

www.stahl.de

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