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Distressed M&A-Boom steht kurz bevor – Neue Studien von Ebner Stolz und Falkensteg

© tostphoto – stock.adobe.com

Wie schätzt die Branche von Insolvenzverwaltern und Distressed M&A-Experten die Entwicklung der kommenden Monate ein? Zwei aktuelle Studien haben sich damit ausführlich befasst. Wir stellen die wichtigsten Trends vor. VON ALEXANDER GÖRBING

Sinkende Fallzahlen bei Insolvenzen sind angesichts der dramatischen Auswirkungen der Coronapandemie eher verwunderlich – aber nur auf den ersten Blick. Durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht als Teil der Hilfsprogramme für die deutsche Wirtschaft ist der Rückgang durchaus nachvollziehbar. Eine teilweise Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wurde von der Bundesregierung beschlossen (siehe Seite 15).

Johannes von Neumann-Cosel, Partner Falkensteg

Zahlungsunfähige Unternehmen müssen aber ab dem 1. Oktober wieder einen Insolvenzantrag stellen. Alle Experten sind sich aber einig, dass nach dem Stichtag mit einer Insolvenzwelle zu rechnen ist. So sieht es auch Johannes von Neumann-Cosel, Partner bei Falkensteg: „Die Fieberkurve wird stark ansteigen. Wir rechnen mit einer richtigen Welle, die auf uns zukommt.“ In der Distressed M&A-Studie von Falkensteg geht der überwiegende Teil der 50 befragten Branchenexperten von einem deutlichen Anstieg der Fallzahlen aus.

 

Schon jetzt mehr Insolvenzen bei größeren Unternehmen

Auch wenn die Gesamtzahl der Insolvenzen derzeit weiter sinkt – nach aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts um fast 10% –, nehmen bereits seit 2019 die Pleiten bei größeren Betrieben zu. Von der Öffentlichkeit beinahe unbemerkt er höhten sich die Fallzahlen bei Unternehmen mit mehr als 20 Mio. EUR Umsatz im Jahr 2019 bereits um 39%. Dieser Trend setzt sich nach Aussage von Falkensteg auch 2020 weiter fort, nämlich mit einem Zuwachs von satten 110% im ersten Halbjahr. Bei diesen größeren Verfahren wird sich zudem der Trend zum verstärkten Einsatz der Eigenverwaltung fortsetzen. Von Januar bis Juni 2020 lag deren Anteil schon bei knapp über 50%.

1) Antworten „Weiß nicht“ und „Keine Antwort“ ausgeblendet; Quelle: Ebner Stolz Management Consultants GmbH

Distressed M&A-Fälle werden zunehmen

Angesichts der dramatischen Auswirkungen der Coronapandemie ist nicht weiter verwunderlich, dass die Falkensteg-Studie eine Zunahme der Distressed M&A-Deals erwartet: „Zwei Drittel der befragten Experten rechnen mit einem Wachstum zwischen 10% und 20%“, sagt von Neumann-Cosel. Dies ist ein gegenläufiger Trend zum Gesamtmarkt der M&A-Transaktionen, der seit Jahresbeginn dramatisch eingebrochen ist: Weltweit ging die Zahl um 49% zurück – in Europa sogar um 52%.

Erhebliche Preisabschläge durch Marktrisiken

Michael Euchner, Partner Ebner Stolz

Die coronabedingte Unsicherheit im Markt und die branchenübergreifende Krise werden sich erheblich auf das Preisniveau bei Unternehmensübernahmen auswirken. Potenzielle Käufer haben die Marktrisiken nach der Distressed M&A-Studie von Ebner Stolz Management Consultants schnell eingepreist und fordern Abschläge. „87% der Befragten erwarten sinkende Kaufpreise. Mehrheitlich sehen sich unsere Befragten bereits kurzfristig damit konfrontiert“, erklärt Michael Euchner, Partner bei Ebner Stolz. Trotzdem laufen Verhandlungen und Deals weiter – oftmals auch dem üblichen Zeitdruck in Insolvenz-verfahren geschuldet. 73% der Teilnehmer der Falkensteg-Studie wollen weiterhin oder wieder im zweiten Quartal 2020 investieren. Die laufenden Transaktionen würden kaum beeinflusst.

Welche Branchen sind „Coronagewinner“?

Die Coronapandemie trifft weltweit alle Branchen – aber die Effekte unterscheiden sich teilweise erheblich. Die größten wirtschaftlichen Auswirkungen sehen beide Studien in Gastronomie, Touristik und Textilwirtschaft. „Auch in den Bereichen Automotive und Maschinen- und Anlagenbau ist die Situation ernst. Viele OEMs kämpften schon vor Corona mit rückläufigen Absätzen. Zahlreiche Zulieferbetriebe waren bereits in einer schwierigen Lage – die Coronakrise hat diese Situation massiv verstärkt“, erklärt Euchner. Beinahe unbeschadet überstehen die Pharmabranche sowie der IT- und Softwarebereich die aktuelle Krisensituation. Auch Lebensmitteleinzelhandel, Telekommunikation und der Online-Commerce sind wenig beeinflusst. Diese unter schiedlich starken Auswirkungen haben im Fall einer Krise auch entsprechenden Einfluss auf das Preisniveau bei einem Distressed M&A-Deal. „Investoren suchen nach Nahrungsmittel, Pharmazie und Logistik“, lautet von Neumann-Cosels Fazit.

Quelle: Falkensteg GmbH

Wie sieht die weitere Entwicklung aus?

Durch die Krise werden verlässliche Prognosen schwieriger. „Erfahrungen aus der Vergangenheit sind nicht auf die aktuelle Situation übertragbar“, so von Neumann-Cosel. Neben sinkenden Unternehmensbewertungen erwarten Investoren in Distressed Deals künftig deutlich mehr Sicherheiten von den Verkäufern. Laut der Falkensteg-Umfrage rechnen 76% der Befragten damit, dass Material Adverse Change-(MAC-)Klauseln mit speziellen Formulierungen zur Minderung der Coronarisiken die Kaufverträge ergänzen werden. „Vor dem Hintergrund der Kaufpreisindikation wird es künftig umso wichtiger, das Geschäftsmodell darauf zu prüfen, wie COVID-19-resistent es ist. Denn ist das Unternehmen krisensicher und auch bei einer reduzierten Auslastung in der Lage, in etwa dieselben Margen zu erzielen wie bei Vollauslastung, werden auch dort unabhängig von der Branche die Kaufpreise relativ stabil bleiben“, sagt Euchner über die Entwicklung bei Distressed M&A-Deals.

 

Dieser Beitrag ist erschienen in der Unternehmeredition 3/2020.

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