Digitale Transformation im Mittelstand beherrschbar machen

Um die digitale Transformation beherrschbar zu machen, braucht es etwas mehr als den nervösen Aktionismus ohne effektive Kontrolle.
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Bauchgefühl ade – digitale Transformation wird in vielen mittelständischen Unternehmen zu einem übermäßig komplexen Unterfangen, wenn wirtschaftliche, technische und gesellschaftliche Entwicklungen sowie zahlreiche digitale Initiativen aufeinandertreffen. Oftmals herrscht nervöser Aktionismus ohne effektive Kontrolle: „Wir müssen jetzt digitalisieren. Wir verlieren sonst den Anschluss. Jetzt gilt: Macht irgendwas! Es wird schon etwas dabei herumkommen.“ Doch um digitale Transformation beherrschbar zu machen, braucht es etwas mehr als das.

Viele prominente Ratschläge zur erfolgreichen (digitalen) Transformation helfen mittelständischen Unternehmen nicht unmittelbar weiter, denn sie orientieren sich häufig an Konzernstrukturen: Ein „Transformation Office“ (TO) oder die Position eines Chief Digital Officers (CDO) sind oft nicht etabliert oder übersteigen die Möglichkeiten – und sind häufig auch gar nicht in vollem Umfang erforderlich.

Klare Ziele setzen

Schon wenige, klare strategische Ziele – gekoppelt an die Unternehmensstrategie – helfen, den Überblick zu bewahren, denn von diesen Zielen ausgehend können konkrete Maßnahmen entwickelt und messbare Meilensteine definiert werden. Bestehende Initiativen müssen dafür dann knallhart auf den Prüfstand: Zahlen sie unmittelbar auf die Ziele ein? Sind sie verzichtbar? Das bedeutet Komplexitätsreduktion: Konzentration auf wenige unternehmensrelevante, übergreifende und somit auch verbindende Maßnahmen statt ausuferndem Controlling vieler kleiner Projekte aus einzelnen Fachbereichen.

Strategische Roadmap entwickeln

Das Zielbild und der Fokus auf wenige – dafür unternehmensrelevante – strategische Maßnahmen ermöglicht einen effektiven Dialog über den tatsächlichen Fortschritt.

Eine entsprechende Digitalisierungs-Roadmap bringt Eigentümer, Geschäftsführerinnen, Fachabteilungen, Partner und Dienstleister in die gleiche Spur, um an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten. Bauchgefühl ist da (meistens) fehl am Platz. Die Roadmap bildet die Maßnahmen, die notwendig sind, um die strategischen Ziele zu erreichen − inklusive klarer Verantwortungen.

Das klingt einfach. Es benötigt jedoch Disziplin und enge Zusammenarbeit, um auf der notwendigen Flughöhe zu bleiben, die Ziele konsequent im Fokus zu behalten und gleichzeitig allgemein verständlich und konkret zu sein. Idealerweise lassen sich Maßnahmen und deren Ergebnisse auf einer einzelnen (Bildschirm-)Seite darstellen – Details und Teilprojekte dahinter werden auf dieser Ebene aber ausgeblendet.

Abb. 1: Zeitliche Darstellung einzelner Digitalisierungsmaßnahmen

Abb. 1: Zeitliche Darstellung einzelner Digitalisierungsmaßnahmen

Auf dieser Grundlage gelingt es, die Ziele zu überprüfen und anzupassen, sobald neue Erkenntnisse gewonnen wurden: Je klarer das Zielbild, je verständlicher und übersichtlicher die Maßnahmen, desto einfacher kann nachgesteuert werden. So wird die verbleibende (nicht vollständig vermeidbare) Komplexität beherrschbar.

Adäquate Organisation aufbauen

Ob die allgegenwärtige Schaffung neuer Positionen oder Funktionen wie „CDO“ oder „Transformation Office“ für die erfolgreiche digitale Transformation erforderlich ist, kann nur im konkreten Kontext bewertet werden. Ohne zuvor die strategischen Ziele und einen groben Fahrplan bestimmt zu haben, sind Anpassung und Aufbau der Organisation nicht sinnvoll. Im Gegenteil: Sie führen ohne klaren Auftrag zur Selbstbeschäftigung oder – schlimmer noch – zu Reibung und Konflikten, bevor es überhaupt losgeht.

Zunächst gilt es, die bereits vorhandenen Kompetenzen zu würdigen und zu nutzen, sie also mit klaren Mandaten zu versehen und gegebenenfalls von anderen Aufgaben zu entlasten – schließlich ist Transformation keine Nebentätigkeit. In fast jedem Fall wird es zusätzlich erforderlich sein, in die gezielte Weiterentwicklung der Mitarbeiter zu investieren. Auch dafür muss Raum eingeplant werden.

Nicht alles muss und kann dabei intern geleistet werden. Zum einen braucht es Zeit, neue Kompetenzen aufzubauen und zu gewinnen, zum anderen lohnen sich diese nur dann, wenn auch entsprechend nachhaltiger Bedarf besteht. An einer strategischen Betrachtung der Fragestellung „Vergeben oder Selbermachen?“ geht kein Weg vorbei. Hier geht es einerseits darum, die effektive Kontrolle über (auch zukünftige) Kernkompetenzen zu behalten beziehungsweise aufzubauen, und andererseits um die kosteneffiziente und zeitgerechte Beschaffung notwendiger temporärer Kapazitäten für die Umsetzung. Im besten Fall schafft man schrittweise ein überschaubares Ökosystem von Dienstleistern, die sich – auch untereinander – zur partnerschaftlichen Kooperation und zum Erreichen der strategischen Ziele im Sinne des Unternehmens verpflichten.

Effektive Steuerung anpeilen

Sind die Ziele klar, die strategischen Maßnahmen für alle Beteiligten verständlich und nachvollziehbar abgeleitet und die (Ziel-)Organisation bestimmt, dann kann auch die Steuerung gelingen: Die erreichte Flughöhe erlaubt, den Blick nach vorn zu richten und zu gestalten, anstatt in Projektreports unzähliger Einzelprojekte zu versinken und Verzögerungen und Mehrkosten festzustellen.

Dies ist umso wichtiger, als mit dem Einzug agiler Organisationsformen das „Command-and-Control-Mandat“ klassischer Projektorganisation verschwindet und vermehrt durch Selbstorganisation ersetzt wird. Die erfolgreiche Selbstorganisation im Sinne des Unternehmens kann aber nur gelingen, wenn Ziele und Strategie bekannt sind: im gesamten Unternehmen, aber auch bei den Partnern und Dienstleistern.

Das Steuern schließt hier – ganz entscheidend! – mit ein, die Ziele kontinuierlich zu schärfen, die Maßnahmen (Roadmap) anzupassen und die Organisation sowie effektive Kommunikation und Kollaboration weiterzuentwickeln. Transformation ist ein dauerhafter Prozess, kein abzuschließendes Projekt.

FAZIT

Digitale Transformation ist in den allermeisten Fällen eine komplexe Herausforderung – und damit ist der Mittelstand bei Weitem nicht allein: Vollständige Anforderungen an „die Lösung“ liegen zu Beginn nicht vor, sondern entwickeln sich im Verlauf. Gleichzeitig entwickelt sich der Lösungsraum des technisch und wirtschaftlich Machbaren rasant weiter. Dieselbe Charakteristik hat dazu geführt, dass Softwareentwicklung heute fast ausschließlich agilen Prozessen folgt.

Digitale Transformation wird dennoch beherrschbar, wenn klaren Ziele die notwendige Aufmerksamkeit eingeräumt wird und eine Roadmap die kontinuierliche Abstimmung und effektive Kommunikation über den Weg zum Ziel ermöglicht. Klare Ziele und ein abgestimmtes Vorgehen bilden die Grundlage für die Entwicklung der Organisation und für die Steuerung der Umsetzung.

Autorenprofil
Dirk Heider

Dirk Heider leitet den Bereich digitale Transformation der Dr. Wieselhuber & Partner GmbH. Geleitet von Ergebnisorientierung und Pragmatismus bringt er umfassende praktische Erfahrung in der Entwicklung kundenzentrischer digitaler Produkte und Dienste für namhafte Unternehmen aller Branchen zum Nutzen mittelständischer Unternehmen ein.

www.wieselhuber.de

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